Maluma und Takete

Dies nicht und jenes auch nicht

Die Kunstkolumne. Von Ulf Erdmann Ziegler
29.04.2015. Isa Genzkens grelle Kunst ist ohne jede Aura. Vielleicht muss oder soll das so sein. Es gibt darin irgendeine Art von Verweigerung. Aber welche? Ist es Weltschmerz? Wo soll das hin? Eine Begehung ihrer "New Works" im Frankfurter Museum für Moderne Kunst.
Um etwas über den Menschen zu sagen, seine Tätigkeit oder seine "conditio", braucht es in der Kunst keine menschliche Figur. Lässt man sich aber auf die Figur ein, steht man sogleich in ihrer Tradition und damit vor der Aufgabe, sie zu verwandeln oder zu negieren. Die Figuren von Duane Hanson waren so ein Neubeginn um 1970, traditionell insofern, als der Maßstab zum Modell 1:1 war, und etwas verstörend, weil man einen ganzen Raum durchschreiten konnte, glaubend, dass auf der anderen Seite jemand Lebendiges steht.

Die gezielt unterkühlt "New Works" benannte Ausstellung von Isa Genzken zeigt fast ausschließlich Figuren, mehrere Dutzend. Sie bespielt die ganze erste Etage des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt, bis ganz nach hinten in den spitzen Raum, der für den Besucher die ungewöhnliche Wirkung hat, dass er glaubt, auf sich selbst zu treffen. Auf sich selbst: auf "seine" oder "ihre" Annahmen, Bezüge, Schlüsse.

So vertrackt das Museum von Hans Hollein entworfen wurde, habe ich selbst in jenem spitzen Raum noch nie eine Gruppe von Kunstwerken eingerichtet gesehen, die ihre Wirkung nicht ausspielen konnte oder geradezu verfehlte. Bei Isa Genzken ist das der Fall. Die Beziehung ihrer Figuren zum Raum ist nahe null. Sie haben keine Aura.

Über Isa Genzkens Kunst etwas Negatives zu sagen, ist deshalb schwierig, weil ihre Kunst geladen ist mit negativen... Annahmen, Bezügen und Schlüssen. Vielleicht auch nur Annahmen. Ihre neuen Arbeiten sind weder wirklich raumgreifend noch Miniaturen. Es handelt sich schlicht um Schaufenster- und Präsentationspuppen für den Verkaufsraum, alle mit Kopf, die Genzken weiter nutzt, jedenfalls eher umnutzt als wirklich bearbeitet. Wie in ihrer ursprünglichen Verwendung stehen sie, hier allerdings in Gruppen. (Nur eine liegt.) Manche Gruppen bilden einen Kreis. Sie sind, im Prinzip, bekleidet und mit Gadgets ausgestattet, um nicht zu sagen überladen.

Kleidung war übrigens nicht die starke Seite der hyperrealistischen Figuren von Duane Hanson. Anatomie, Haut und Haare waren so intensiv dargestellt, dass die Textilien dagegen eher zu unbelebt wirkten. Das lag daran, dass es sich um echtes Pret-à-porter jener Zeit handelte, also nicht in anderem Material kunstvoll imitiert worden waren. Nach zwanzig Jahren schon gab es da so einen gewissen Altkleidermuff. Während die gänzlich in weißen Gips gegossenen Figuren George Segals, entstanden in derselben Zeit, an Wirkung nichts eingebüßt haben.

Aber Isa Genzken nun stülpt ja nicht interessante Accessoires über kommerzielle Maquetten; auch kleidet sie nicht faszinierende Puppen in Allerweltsgarderoben. Weder sind diese Figuren genuin aus der Welt des Gefundenen geschöpft, noch sind sie substanziell von Hand hergestellt. Dieses nicht und jenes auch nicht. Das ist typisch für diese Künstlerin, die vor fünfundzwanzig Jahren mit Betonstelen die Aufmerksamkeit entscheidender Kuratoren auf sich lenken konnte, Stelen, die irgendwie metallgefasst waren und dann auch wieder nicht, eine Arbeit im Ungefähren, der die Verweigerung eingeschrieben war. Oder nicht die, sondern eine Verweigerung. Irgendeine.

Das Naheliegende wäre, in den grotesk ausgestatteten Figuren von Erwachsenen und Kindern eine Kritik an Mode und Outfit zu sehen. So ist zum Beispiel die Brust einer weiblichen Figur links und rechts mit je einem 20-Euro-Schein zugeklebt. Die liegende Figur schaut einer stehenden von unten zwischen die Beine. Das Geschlecht der liegenden Figur ist rot besprayt - nur ist es kein Geschlecht, sondern der Unisexwulst, das, was man bei Kinderpuppen in der pädagogischen Debatte "anatomisch nicht korrekt" genannt hat. Die Figuren sind quasi per Schrottdiskurs desexualisiert.


Isa Genzken, Schauspieler II, 2014: Courtesy Galerie Buchholz, Berlin, Köln, Hauser & Wirth, Zürich/London, David Zwirner, New York

Es gibt auch einige Bilder zu sehen, an die Wand gehängt und am Boden unter Plexiglas. Auch hier übt sich Genzken daran, am Genre zu nagen; es sind irgendwie Assemblagen oder Collagen, es ist möglicherweise eine Schnipselkunst im Wettbewerb mit einem Zitatzwang. Aber auch wieder nur vielleicht. Fest steht, dass Genzken von ihrem Ebenbild fasziniert ist, besonders, insoweit es Portraits ihrer Person von Wolfgang Tillmans sind. Auch wird von den Kuratoren, die keinen Katalog zur Ausstellung erarbeitet haben, per Fernsehvideo behauptet, die Garderobe der Figuren (Hunderte von Teilen in allen Größen) sei eigentlich Genzkens eigene.

In der Bodencollage, die Zitate barocker Kunst - oder sagen wir, wüst beschnittene Billigrepros - mit einschließt, hat die Künstlerin auch die vergrößerte Fassung einer handschriftlichen Notiz mit aufgenommen, von einer Cora, die bedauert, bei Genzkens Eröffnung nicht anwesend sein zu können. Das auf MoMA-Briefpapier; und tatsächlich hatte Genzken dort kürzlich eine Retrospektive. Auf diese Weise gratuliert sie sich noch einmal selbst.

Da ihre Kunst kein Rätsel birgt, ist das eigentliche Rätsel ihr Erfolg am Kunstmarkt. Die Präsenz ihrer Portraits und ihres Namens im Werk reicht nicht für eine autobiografische Spur. Das Zitat ist hier keineswegs die letzte, raffinierteste Variante des Zitats. Das Lässige ist bei Kippenberger lässiger, das Schrille bei Mariko Mori schriller, das Abjekte bei Mike Kelly allemal abgründig - und bei Isa Genzken eben nicht. Rosemarie Trockel mag ein wenig kühl rüberkommen, aber es ist eben doch spannend zu beobachten, wie sie ihre Sache intellektuell einfädelt. Und Genzken? Der Gestus des Verwerfens, der Abscheu und des Weltschmerzes ist spürbar, aber ungefähr so, wie Tom Waits gesagt hat: "There is nothing wrong with her that a hundred Dollars won"t fix."

Eine interessante Theorie des Sozialen lautet, es gebe in der Politik keine Lücken. Immer wo sich eine auftue, werde sie sofort von anderen Akteuren besetzt. So ähnlich stelle ich mir das System der zeitgenössischen Kunst auch vor. In welche Nische Isa Genzken vorgestoßen ist, bleibt dennoch fraglich. Ihre Kunst hat keinen Charme, stellt nichts Relevantes dar, brilliert nicht durch Abstraktion und löst auch keinen Schock aus. Sie ist überflüssig wie ein Kropf. Ist es dies, was der Kunstmarkt an ihr ausagiert: ein Akt des Selbsthasses in grellsten Farben? Oder soll bewiesen werden, dass es nichts gibt, was nicht geht? … Vielleicht.

Ulf Erdmann Ziegler

Isa Genzken: "New Works." 14. März 2015 - 31. Mai 2015. MMK Frankfurt. Link zur Ausstellung.