Mord und Ratschlag
Er kämpfte fair. Ich nicht.
Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
30.03.2011. In Stuart Nevilles Nordirland-Thriller verlieren sich alte IRA-Kämpfer zwischen Terror und Politik, Wahnsinn und Vernunft, Alkohol und Drogengeschäft. In Ken Bruens "London Boulevard" verliert ein ausgekochter Profigangster gegen eine alternde Diva und ihren ungarischen Butler.![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K2/T22/A6779/1301486641288.jpg)
Gerry Fegan säuft, um den Gespenstern seiner Vergangenheit zu entkommen. Es sind seine Opfer, die ihn nicht in Ruhe lassen, die Menschen, die er für die IRA getötet hat: fünf Soldaten, einen Polizisten, zwei loyalistische Paramilitärs, einen Metzger, einen Jungen und eine Frau mit ihrem Baby. Sie verfolgen ihn. Denn gebüßt hat er für diese Taten nicht wirklich, allenfalls zwölf Jahre als "politischer Gefangener" im Gefängnis gesessen. Kaum war er draußen, haben ihn seine alten Kampfgenossen, pardon seine Parteifreunde, mit einer schönen Wohnung und einem bequemen Job in der Stadtverwaltung versorgt.
Kurz bevor er ins Delirium fällt, stürzt er sich in den Wahnsinn: Ihm geht auf, dass seine Verfolger, diese Manifestationen seiner Schuld, sich nicht mit Alkohol wegspülen lassen, und er beginnt, an denjenigen Rache zu nehmen, die ihm einst die Befehle zum Morden gaben und die heute auf lukrativen und respektablen Posten vom Frieden in Nordirland profitieren wie einst vom Terror. Sie wollen ihn nun gleichermaßen aus dem Weg räumen lassen und beauftragen damit einen anderen Profi, David Campbell. So wie Fegan zwischen Wahnsinn und Vernunft pendelt, so hat Campbell als Doppel- und Dreifachagent jede Orientierung und sich selbst verloren. Aus diesem Geflecht von alten Freunden und neuen Feinden ragt allein die Frau heraus, die es immer wieder wagte, den Herren von Belfast Paroli zu bieten. Marie heißt sie und verheißt Erlösung.
Nein, nicht immer ist Neville ein subtiler Erzähler. Seine psychologischen Konstruktionen halten nicht besser als eine Koalition aus Protestanten und Katholiken, und ganz sicher überschreitet er die Grenzen zum Kitsch häufiger als jeder Belfaster die Peace Line. Und trotzdem hält er einen bei der Stange. Denn Neville erzählt schnell, spannend und mit Witz das Drama von Nordirland, von den Gewinnern des Terrors, den Verlierern des Friedens, den großen Zynikern und kleinen Wendehälsen. Und ganz wunderbar auch von britischen Politikern, die nichts mehr fürchten als einen Nordirland-Posten. Denn der bedeutet totalen Karriereabsturz.
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![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K2/T22/A6779/1301486662169.jpg)
Mitch, gerade aus dem Gefängnis entlassen, möchte sein Leben ändern. Eigentlich haben seine alten Kumpane alles für ihn geregelt, ein nobles Appartement, einen Schrank voller Designer-Klamotten und einen krisenfesten Job als Geldeintreiber in Brixton. Sogar für Spaß ist gesorgt: "Ich hatte Heroin, eine Knarre und eine halbe Tüte Koks. Gott, was will man mehr?" Eine Frau natürlich, geregelte Arbeit und Kinder. Mitch ist eben nicht mehr der Jüngste, und wenn im Radio Trisha Yearwood läuft, wird er ganz gefühlig: "Sehnsucht. Wehmut. Reue." Also tritt er in die Dienste der in die Jahre gekommenen Schauspielerin Lilian Palmer, erst als Handwerker, dann als Chauffeur und Liebhaber. Derweil kümmert sich Jordan - Madames ungarischer Butler und Ehemann - um für dieses Arrangement alles Nötige. Man kennt die Geschichte. Abgesehen vom Wahnsinn der Diva und ihrer regen Libido besteht der Haken an der Sache darin, dass Mitchs Freunde glauben, er sei ihnen noch etwas schuldig, Respekt natürlich, aber vor allem den Rolls-Royce.
Während er also den wachsenden Ansprüchen der Diva gerecht werden muss, zieht ihn sein altes Leben zurück, um Schuldner zu verprügeln oder Banken ausrauben. Nebenbei muss er sich um seine verrückte Schwester Briony kümmern und bei seiner neuen Flamme Niveau vorgeben. Er tut was er kann, aber die Dinge entwickeln sich ungünstig. An einer Stelle gibt Ken Bruen als seine Referenzgrößen James Sallis, Charles Willeford und Fred Willard zu erkennen: Hard-boiled soll es sein und rasend komisch. Und tatsächlich: Bruens Roman ist rasend komisch. Er hat Tempo und Rhythmus, manche Dialoge sind so geistreich, dass man sie auswendig lernen möchte.
Aber hard-boiled ist er höchstens im Tarantino-haften Sinne. Natürlich sagt Mitch Sachen wie: "Er kämpfte fair. Ich nicht." Oder er erklärt, dass nur die zarten Gemüter bei einem Überfall auf verbalen Terror setzen, sein Freund Jeff dagegen erschießt den erstbesten Kunden. Aber diese Härte ist nur Geste, nur Behauptung, Zitat. Die Ironie ist immer mit eingebaut. Irgendwann liegt sogar ein totes Tier unter Mitchs Bettdecke, aber all das Blut und Gedärm wecken nicht das mindeste Entsetzen. Und bevor sich Mitch mit Brutalitäten unsere Sympathien verspielen könnte, sichert er sie sich mit der nächsten schlagfertigen Pointe, zitiert Rilke oder Dominick Dunne. Oder Virginia Woolf, deren versnobte Lästereien über James Joyce natürlich jedem irischen Autor zum Ruhm gereichen: "Alles Bücher von Autodidakten aus der Arbeiterschicht, und man weiß ja, wie erschreckend die sind, wie ichbezogen, penetrant, derb, auffallend und ekelerregend."
Stuart Neville: Die Schatten von Belfast. Roman Aus dem Englischen von Armin Gontermann. Rütten und Loening. Berlin 2011, 441 Seiiten, 19,95 Euro.
Ken Bruen: London Boulevard. Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 268 Seiten, 8,95 Euro
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