Mord und Ratschlag

Gegenseitige Selbstzerstörung

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
11.07.2013. Mit seinem dritten Spionagethriller um den CIA-Agenten Milo Weaver, "Die Spinne", zeigt Olen Steinhauer: Echte Spitzenkräfte arbeiten in diesem Metier nicht nur für eine Seite. Und Adrian McKinty schickt einen "Katholischen Bullen" zwischen alle Fronten im Belfast des Jahres 1981.
Es sind schlechte Zeiten für Spione. In der Realität taugen sie höchstens noch als Whistleblower zu Helden. Im Genre behaupten sich Agenten im Wahnsystem Geheimdienst vor allem dann, wenn sie besonders schizophren-paranoid veranlagt sind (wie Carrie Mathison in der Serie "Homeland"). Doch auch Olen Steinhauers in dieser Hinsicht fast ein wenig altmodischer, dennoch grandioser Spionagethriller "Die Spinne", in dem zwei Supermächte ihre Spionageapparate gegeneinander in Stellung bringen, verschafft einem sehr erhellende Einblicke in eine Welt der Täuschung und des Verschweigens, wie sie der Guardian nicht besser enthüllen könnte.

"Die Spinne" ist der dritte Roman um den Agenten Milo Weaver, der einst zur geheimsten aller geheimen CIA-Abteilungen gehörte, der Abteilung "Tourismus", die selbst gegenüber den eigenen Leuten nicht vor schmutzigen Tricks zurückscheute, geschweige denn vor ihren Gegnern. Weaver gehört einerseits nicht mehr dazu, weil er nach schwerer Verwundung aus dem unangenehmen Geschäft ausgestiegen ist, andererseits weil die Abteilung fast komplett ausgelöscht wurde: 33 Agenten wurden in einem beispiellosen Massaker auf einen Schlag umgebracht. Kurz zuvor war bereits einer der Superagenten aufgeflogen, der für Peking arbeitete.

Auftritt des Genossen Oberst Xin Zhu, Chef des sechsten Büros im chinesischen Ministerium für Staatssicherheit: Spionageabwehr. Ein Koloss von einem Mann. Die Kurzform des chinesischen Geheimdienstes, Guoanbu, sollte man sich wohl merken. Xin Zhu hat das Gemetzel in Auftrag gegeben, nachdem sein Sohn im Sudan umgebracht worden war, wo eben die "Touristen" der CIA die Rebellen gegen die chinesischen Berater des Regimes in Khartoum aufgestachelt hatten. Mit diesem Racheakt beweist Xin Zhu gern seine Liebe zu seinem Sohn, schließlich hat er danach dessen junge Frau geheiratet. Außerdem hat er jetzt den Aufsichts- und Verbindungsausschuss der Partei im Nacken wie auch die Oberste Volksstaatsanwaltschaft. Den Glauben an die Überlegenheit des eigenen Systems hat er zwar längst verloren, doch sein ausgeprägter Wille zur Macht, sein Überlebensinstinkt und die Logik des Apparats halten ihn bei der Stange.

Milo Weaver und weitere drei überlebende Touristen sollen nun ihrem früheren Chef Alan Drummond helfen, dem gefürchteten Oberst in Peking das Handwerk zu legen. Man könnte meinen, dass hier eine Spirale der Vergeltung eskaliert, aber es ist schlimmer: Alan Drummonds Gegenschlag ist rein politisch motiviert, wobei man nicht genau weiß, wer was wann und warum entscheidet. Trotzdem setzen die Apparate ihre Operationen in Gang, in aller Welt schalten sich befreundete und gegnerische Dienste ein und dazwischen, die inneren Abteilungen suchen die Maulwürfe, die wie immer am tiefsten graben und am schnellsten aufsteigen. Niemand weiß, was für ein Spiel gespielt wird und vor allem wessen. Die Agenten wechseln auf jedem zweiten Flughafen ihre Pässe, und mit ihrer Identität auch ihre Loyalitäten und Allianzen. Aber nicht ihre innere Logik und nicht ihre Techniken.

Milo Weaver, der aus diesem unendlichen Kreislauf aus Misstrauen, Betrug und Verrat aussteigen wollte, wird sozusagen von beiden Seiten zum Weitermachen gezwungen. Seine Frau und seine Tochter sind entführt worden, aber da er nicht weiß, welcher Geheimdienst sie in seiner Gewalt hat, ist er durch beide erpressbar. Wenn Milo Weaver handelt, dann um seine kleine Patchworkfamilie zu schützen. Dass Steinhauer die Kleinfamilie zum Fixpunkt von Identität und moralischer Selbstbehauptung macht, ist allerdings selbst für heutige postideologische Verhältnisse ein politischer Tiefschlag.

Eine weitere Schwäche ist die fehlende Tiefe der meisten Figuren. Weil Steinhauer die Geschichte aus wechselnden Perspektiven erzählt, muss er notgedrungen vieles im Unklaren lassen. Erzähltechnisch ist all die Undurchsichtigkeit sinnvoll, nicht unbedingt psychologisch. Aber vielleicht trifft Steinhauer mit dieser fehlenden Komplexität seiner Protagonisten ja auch eine gewisse Wahrheit, schließlich arbeiten nicht nur George Smileys bei den Nachrichtendiensten. Wenn Steinhauer nämlich sehr einleuchtend schildert, wie sich der BND mit Lieferwagen vom HIT Verbrauchermarkt tarnt, dann denkt man glatt, dass Steinhauer sein Know-how nicht nur den Romanen seines Vorbilds John Le Carrés entnimmt.

Olen Steinhauer: Die Spinne. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader. Heyne Verlag. München 2013, 490 Seiten, 16,99 Euro.

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Belfast 1981. Nordirland ist in Aufruhr. Im berüchtigten Maze Prison ist die IRA-Ikone Bobby Sands gerade seinem Hungerstreik erlegen. Nacht für Nacht brennen auf den Straßen die Barrikaden gestohlener Autos, marschieren Hundertschaften der Polizei auf und kreisen die Hubschrauber der Armee in der Luft. Die Terrorakte der IRA werden vergolten von den Paramilitärs der Ulster Volunteer Force oder der Ulster Defence Association. Das Terrain wird Straße um Straße verteidigt, doch mit den konfessionellen Grenzen werden auch die Drogengeschäfte verteidigt. Die Unruhen grenzen an einen Bürgerkrieg, in unübertroffener Verdrängungsleistung nennen es die Engländer "The Troubles".

In das Chaos schickt Adrian McKinty seinen Helden Sean Duffy, der als katholischer Polizist im Belfaster Vorort Carrickfergus den Beweis antreten will, dass die Royal Ulster Constabulary mehr ist als nur nur eine weitere Partei im Konflikt. Bei seinen protestantischen Kollegen muss er ebenso Spießrutenlaufen wie bei seinen verdrießlichen Nachbarn in der Coronation Road, die IRA hat auf "Verräter" wie ihn ein Kopfgeld ausgesetzt. Keine zwei Monate im Dienst muss Duffy gleich einen unappetitlichen Fall übernehmen: Ein IRA-Mann wird tot aufgefunden, seine Hände sind abgehackt und im Hintern steckt ihm ein Notenblatt mit der Puccini-Arie "Wie eiskalt ist dies Händchen." Kurz darauf wird ein weiterer Toter entdeckt, ein Musiklehrer und Opernliebhaber. Beide Opfer waren schwul, doch es stellt sich sehr schnell heraus, dass Hinweise auf einen schwulenfeindlichen Serienmord nur Tarnung sind. Es geht um Abrechnungen in höchsten IRA-Kreisen, die Spur führt zu ihrer militärischen Innenrevision, der FRU, doch die Ermittlungen enden meist mit den falschen, das heißt richtigen, Anfragen in London. Noch so ein Fall von geheimdienstlicher Gegenaufklärung.

McKinty hat bereits in seiner furiosen Todestrilogie den Kleingangster und V-Mann Michael Forsythe durch die Abgründe der nordirischen Geschichte gejagt, doch seinem "Katholischen Bullen" (der im englischen Original den weniger plakativen Titel "Cold Cold Ground" trägt, nach einer von Tom Waits' düsteren Balladen) merkt man deutlich den literarischen Ehrgeiz an, den Nordirland-Konflikt neu zu schreiben. Zwar ist sein Held Sean Duffy natürlich ganz der schlagfertige und witzige Charmebolzen, auf den McKinty geeicht ist, aber als studierter Psychologe doch arg reflektiert und moralisch geradezu unangreifbar, trotz eines gewissen Alkoholproblems. Und obwohl Duffy nicht weiß, welche Rolle er hier spielt - Gandhi oder den Sheriff von Nottingham - tut er dies auf Augenhöhe mit den ganz Großen: Erst hat Margaret Thatcher einen Cameo-Auftritt, dann trifft Duffy auf die hungerstreikenden Iren und nimmt es schließlich sogar mit Sinn-Fein-Chef Gerry Adams und dem homophoben Unionisten George Seawright auf.

Überzeugender ist McKinty, wenn er die bedrückende Atmosphäre jener Jahre beschreibt, die Armut, Rohheit und Gewalt: "Coronation Road. Torfqualm, der ur-irische Gestank, steigt auf und vermischt sich mit dem Regen. Licht und Angst und Depression fielen durch die Netzgardinen." Und über allem die "Hubschrauber, deren Suchscheinwerfer sich wie Liebende im Jenseits begegneten." Solche Szenen machen den "Katholischen Bullen" zu mehr als nur einem etwas überambitionierten Vergnügen.

Adrian McKinty: Der katholische Bulle. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 383 Seiten, 19,95 Euro