Mord und Ratschlag

Die Krimikolumne.
Leseprobe: 'Der melancholische Mörder' von Francois Emmanuel

Francois Emmanuel: "Der melancholische Mörder". Roman
Aus dem Französischen von Bernd Wilczek.
Antje Kunstmann Verlag, München 2002
Gebunden, 200 Seiten, 16,90 Euro



Klappentext:
"Menschen umzubringen, ist nie meine große Stärke gewesen? Hass liegt mir nicht, und wenn ich Blut sehe, wird mir schwindlig." Wider Neigung und Natur sieht sich der Büroangestellte Leonard Gründ mit einem Mordauftrag betraut. Unauffälligkeit und Diskretion, das ist ihm klar, helfen hier nicht weiter, und um den Auftrag einfach abzulehnen, ist es zu spät. Aber richtig vertrackt wird die Sache erst, als Leonard feststellen muss, dass der Mann, den er aus dem Weg schaffen soll, Bescheid weiß - und sich ebenso wenig wie sein potenzieller Killer erklären kann, warum er sterben soll.

Zum Autor:
Francois Emmanuel, geboren 1952 in Belgien, lebt als Psychiater und Psychoanalytiker in der Nähe von Brüssel. Er hat in Frankreich bereits mehrere Romane veröffentlicht. Für "La Passion Savinsen" erhielt er 1998 den renommiertesten belgischen Literaturpreis "Prix Victor Rossel".



Leseprobe:

"Es ist schlichtweg unbegreiflich, Mr. Gründ. Dass man Sie für einen Mörder gehalten hat, ist nun wirklich völlig unverständlich ?"
"Und warum wollen sie, dass ich Sie töte?" 
"Sie müssen zugeben, dass Sie diese Frage wohl eher beantworten können als ich." 
"Es muss sich um ein Missverständnis handeln." 
"Nein, es muss einen Grund dafür geben. Einen guten Grund. Einen gewichtigen, vernünftigen Grund. Ein Auftragsmörder kostet Geld. Und diese Leute verschwenden kein Geld." 
Er war trübsinnig geworden. 
"Ich möchte ja nicht indiskret sein, aber wie sollen Sie mich umbringen?"
Ich reichte ihm das kleine Fläschchen, er öffnete es sehr vorsichtig, roch ausgiebig daran, schaute durch es hindurch. 
"Der reine Tod", sagte er. 
Dann drehte er es wie ein Kaleidoskop vor seinem Auge, gab es mir zurück, damit ich es ihm nachtue. Hinter dem reinen Tod, hinter den schmutzigen Scheiben des Iglus entzündete die Stadt ihre lumineszierenden Höhlen, ihre roten, grünen, gelben Schachbrettmuster, ihre Phosphorschweife und Feuerbänder. 
Ich steckte das Fläschchen wieder in meine Tasche und sah, dass in seinem Blick, wie auch schon am Morgen, ein ganz klein wenig Angst zu erkennen war. 
"Ich möchte Sie ja nicht bedrängen, Mr. Gründ, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen kleinen Hinweis auf die Person geben könnten, die den Mord an mir in Auftrag gegeben hat ?"
"Ich kenne sie nicht." 
"Und der Mann, der Sie beschäftigt?" 
"Anatol Stukowski." 
"Stukowski ? Nein, der Name sagt mir nichts." 
"Vielleicht handelt er auch nur auf Anordnung." 
"Natürlich, Mr. Gründ. Heutzutage ist es selten, dass der Tod sich offen zu erkennen gibt. Aber Sie werden zugeben, dass das bedauerlich ist. Ich durchstreife die Stadt nun schon seit mehreren Jahren, um einen winzigen Hinweis auf mein früheres Leben zu finden. Und es steht fest, dass derjenige, der Sie beauftragt hat oder derjenige, der denjenigen beauftragt hat, der Sie beauftragt hat, irgendetwas wissen muss. Glauben Sie mir, wenn er Geld dafür ausgibt, mich töten zu lassen, dann müssen wir uns irgendwie kennen. Weshalb sollte man sonst für einen Vagabunden wie mich die kostspieligen Dienste eines Auftragsmörders in Anspruch nehmen?" 
Er starrte mich mit entsetzlicher Intensität an. 
"In dieser Geschichte geht es um irgendeine obskure Erinnerung, deren einsamer Zelebrant Sie sind, Mr. Gründ. Ein Mann erinnert sich an mich, er glaubt, dass ich mich an ihn erinnere und will mir jede Hoffnung darauf rauben, diese Erinnerung zu nutzen. Deshalb hat er Sie damit beauftragt, mich auszulöschen. Aber am Ende des Auftrags, im allerletzten Augenblick taucht da dieses kleine, unvorhersehbare Detail auf, und zwar unsere Begegnung. Und für einen Moment hakt der Mechanismus, der Abend ist mild, die Stadt beinahe schön, wir unterhalten uns unter dem erhobenen Arm des Todes, reden über Gott und die Welt, die Liebe, eine singende Frau. Nur glaube ich leider, dass der Aufschub, den man uns gewährt, sehr kurz ist, denn der Mechanismus ist nur kurzzeitig blockiert. Er ist erbarmungslos, man könnte bestenfalls versuchen, auf gut Glück seine Laufrichtung umzukehren. Kehren wir den Lauf der Dinge probehalber um, Mr. Gründ ?" (Er war näher zu mir herangerückt. Mit einem Mal sprach er sehr leise.) "Versuchen Sie bei Ihrem Stukowski den Grund dafür herauszufinden, warum mich jemand beseitigen will, und falls möglich auch den Namen des Jemand. Vielleicht verbinde ich mit dem Namen ja ein Gesicht und, wer weiß, ein Stück meines Lebens. Ich bin sicher, dass mir die Dinge danach in einem angenehmeren Licht erscheinen werden."

Mit freundlicher Genehmigung des Antje Kunstmann Verlags