Post aus Köln

Wat wellste maache?

Von Frieder Reininghaus
18.03.2002. Gerade in Köln herrscht traditionell das kundigste Verständnis des etablierten Systems, also vom Ineinandergreifen öffentlicher und privater Finger sowie von den Usancen direkter und indirekter Aufbesserungen der Mandatsträger im Öffentlichen Dienst.
Die Stadt, der Müll, das Geld und die Kultur

Köln ist nicht wirklich erschüttert. Der Kölsch-Aus­schank nimmt ebenso seinen ordnungsgemäßen Fortgang wie der Frohsinn. Heitere Artikel über die (nur gelegentlich unerträgliche) Leichtigkeit des Unrechts haben Konjunktur. Seit vierzehn Tagen im Visier: die Sozialdemokraten, die so lange die Stadt- und Landespolitik bestimmten. Gelassenheit herrscht in den Kreisen, in denen seit Jahren immer vernehmlicher über die Peinlichkeiten, Pannen und Pleiten der SPD gemurrt wird, weil sie die kommunalen und regionalen politischen Belange seit Menschengedenken regelte, nach der Meinung dieser "Mitte" der Gesellschaft auch weiter regeln sollte, aber nicht geregelt bekommt. Et kütt, wie et kütt. Sie sagen das mit fröhli­chem Sarkasmus: Irgendwann musste das Fass ja richtig aufgehen...

Es ist, als habe das kollektive Bewusstsein, das es hin und wieder wohl doch gibt, längst auf diese Implosion gewartet. Aber nur insgeheim. Langanhaltender Leidens­druck führt zur Abstumpfung. Wat wellste maache? Vom Bau- bis zum Kulturamt, von der Medien-Ansiedlung bis zur Abfallentsorgung und den Verkehrsbetrieben: die übliche Palette. Freilich extra breit und besonders bunt: Desorganisation und Des­information, alltägliche Misswirtschaft und Postengeschacher, windige Privatisierung und in ihrem Gefolge Insidergeschäfte, Vorteilnahme und Schwarze Kassen, Betrü­gereien und Steuerhinterziehung. Notfalls auch mehr oder minder sanfte Erpres­sung: Wenn Du nit wells - ich kann och anders.

Nur Leute mit krankhaftem Bluthochdruck konnten sich zuletzt noch ereifern über den beispielhaften Niedergang der einstigen SPD-"Hochburg" Köln. Der notorisch erfolg­reiche Anwalt beispielsweise, der zu Beginn der Fastenzeit nach dem fünften Glas Medoc eine "Revolution" forderte. Auf die Rückfrage nach dem revolutionären Subjekt aber offenbarte er aber mit treuen Hundeaugen stille Ratlosigkeit. Die gleiche wie die Redakteure, die in der Inkubationszeit der "Affäre" nur abwinkten und "den ganzen Schlamassel" weiter keiner kritischen Anmerkung für wert erachteten: "Es stimmt: Köln stinkt zum Himmel. Aber senden möchte ich den Kommentar nicht". Skandal? Et es, wie et es, meinen die notorisch coolen Medienmacher (und meistens müssen sie es noch nicht einmal aussprechen): Es seien eben die altbekannten Strukturen, nicht der Rede wert; jetzt werde da doch nur "etwas hochgezogen", damit am Ende Stoiber Kanzler wird. Kann auch bald wieder ganz anders kommen. Do laachste dich kapott!

Kölner Pragmatismus

Allen, aber auch allen ist in groben Konturen seit langem bekannt, wie die Kugeln in Köln geschoben werden. Die Spielregeln und Fouls werden alljährlich genüsslich auf den "Stunksitzungen" angeprangert, den Hochämtern des besonderen Humors. Und in den übrigen vier Jahreszeiten halten die ortsansässigen Kabarettisten gleichfalls Wissen und Verdacht am Köcheln. Dat bliev äver unger uns!

Auch die traditionell der Sozialdemokratie verbundenen Medien - vornan der Kölner Stadtanzeiger - bequemen sich inzwischen dazu, täglich "neue Beweise für Korruption" zu präsentieren. Schließlich spielte sogar die im Herzen Kölns mit ihrem Mutterhaus verankerte Landesrund­funkanstalt WDR den "Fall" nicht mehr ganz herunter. Hörbar aber wirkte da lange noch das zusammenschweißende siebte Gebot des Klüngels: Dä Dingens soll sich ens janz bedeckt hale, dä hätt jo domols och! Und so wurde eine der "dicken Kröten" nach der anderen geschluckt, welche die Genossen servierten. Denn erstens sind wir hier nicht in Preußen, zweitens hammer do all jet vun und drittens hätt et noch immer jot jejange.

Zur Erinnerung: Auf dem Umweg über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mannheim zu "Unregel­mäßigkeiten" beim Bau eines Müllofens in Böblingen kamen auch Erkenntnisse über rheinische Geschäftsbräuche ans Licht. Das gab den Auftakt zu dem, was in der offiziösen Terminologie (verniedlichend) "Kölner Spen­denaffäre" genannt wird. In deren Brennpunkt steht der Bau der eine Milli­arde Mark teuren und für die regionalen Bedürfnisse viel zu groß dimensionierten Müllverbrennungsanlage (MVA) im Stadtteil Niehl von 1988 bis 1998. Die Betreiber des Projekts folgten der bewährten Devise: Dat klapp! Und wenn nit, krieje mer et an et klappen! Der Bau wurde - offensichtlich mit der Rückendeckung der Landesregierung von Johannes Rau (und nachmals Wolfgang Clement) - vom damaligen Oberstadtdirektor Ruschmeier und Regierungs­präsidenten Antwerpes (alle SPD) durchgeboxt - mit den Stimmen der SPD- und CDU-Stadträte, gegen heftige Widerstände in der Bevölkerung, bei den kleinen Parteien und zeitweise der Umweltministerin Bärbel Höhn ("Die Grünen").

Den Zuschlag für den Bau der MVA erhielt das - mittlerweile juristisch stark be­drängte - Unternehmen L+C Steinmüller (ansässig in Gummersbach bei Köln) - ob­wohl zwei günstigere Angebote vorlagen. Dat läuf! Die Kölner Müllgebühren kletter­ten Ende der Neunziger Jahre in die bundesdeutsche Spitzengruppe. Egbert Bi­schoff (Schulleiter und CDU), 1992 in den Aufsichtsrat der zur Steuerung der Abfall­wirtschaft gegründeten AVG delegiert, wechselte zur Firma Trienekens und wurde deren Sprecher in Köln. Franz-Josef Antwerpes ging nach getaner Arbeit in Pension. Der Verwaltungschef Lothar Ruschmeier wechselte an die Spitze der privatisierten "Köln-Arena", dem großen Sport-, Kultur- und Entertainment-Palast, den sich "die Stadt" genehmigte. Zuvor aber unterschrieb er noch rasch eine Reihe für die Kommune ungünstige Mietverträge mit der Köln-Arena (für die Kultur im engeren Sinn erwies sich die in erster Linie für die Eishockey-Haie ausgelegte Halle inzwischen als völlig ungeeignet). Im September 2000 beschloss dann der Stadtrat - ohne Aus­schreibung und ohne ernsthafte Verhandlungen mit einem Entsorgungsunternehmen, das ein günstigeres Angebot eingereicht hatte - 49,9 Prozent der kommunalen Abfallwirtschaft an Trienekens zu geben.

Die mit Hauptsitz in Viersen abgesiedelte Firma bedankte sich mit offiziellen Spenden an die im Kölner Rat vertretenen Parteien. Und, wie die Enthüllungen und Ermittlungen sukzessive ergaben, mit noch einigem mehr. Einer der besonders Begünstigten war der SPD-Fraktionsvorsit­zende Norbert Rüther. Die Staatsanwaltschaft geht derzeit davon aus, dass er wenigstens 830.000 Schwarzmark entgegennahm. Der Nervenarzt und Monopoly-Spieler Rüther zeichnete sich zu keinem Zeitpunkt durch Zimperlichkeit aus. Schon sein politischer Aufstieg war von unschönen Nebenerscheinungen gepflastert, z.B. juristisch höchst anfecht­baren Brachial-Entmietaktionen in Lindenthal. Inzwi­schen hat er seine stillen Gönner und Kumpane bei der Schmiergeldaffäre an die Staatsanwaltschaft verpfiffen. Dank seines raschen Parteiaustritts steht er jedoch für die von der SPD-Führung angekündigte lücken­lose Aufklärung nicht mehr zu Verfügung. Die Landes-Parteispitze drohte ihm mit "Beugehaft" - eine leere Geste. Denn die traditionell sozialdemokratisch geprägten Organe der Rechtspflege scheinen mit der Auskunftsbereitschaft des Spendenkanalarbeiters zufrieden und sehen (anders als bei federführenden Managern der Abfallwirtschaft) keinen Anlass, den schweren Jungen der Kommunalpolitik in Gewahrsam zu nehmen. Er kündigte an, nun wieder als Psychiater tätig werden zu wollen.

Soviel steht fest: Von dem an Rüther gezahlten Bestechungsgeld gelangte zumindest ein wesentlicher Teil in die Parteikasse der Kölner Sozialdemo­kraten. Und die verwaltete Oberstudienrat Manfred B. - zum Rollenspiel gehört auch die "ehrliche Haut". Unklar ist derzeit nur noch, ob beim Transfer tatsächlich das sechste Gebot des Klüngels zur Anwendung gelangte: Dä Dingens bruch nit Bescheid ze wesse! oder doch das fünfte: Dä Dingens weiß Bescheid!

Höhere Mathematik einer kleinen Nummer

Rechenlehrer B. hat nach eigenem Bekunden die groß portionierten industriellen Zuwendungen in Tranchen geschnitten (ein Lob der Teilmenge!), diese dann als "Spenden" etikettiert und zur "Be­glaubigung" die Quittungen ein paar Dutzend ausgesuchten Genoss(inn)en als "Honorare" für die Parteiarbeit angedient (auf dass sie diese zur "Steuerverkürzung" einsetzen). Solche Selbstbewilligung ist für die "Fortentwicklung" des staatsbürgerlichen Selbstverständnisses der "NRWSPD" symptomatisch: Land und Partei erscheinen nicht nur auf den Plakaten als verwachsen. Auch die Parteiarbeit, die ja schon dem Begriff nach auf besondere Interessen gerichtet ist, versteht sich da als purer Dienst an Stadt und Land - an der Allgemeinheit. Ist ergo nach der Auffassung der guten Genossen auch uneingeschränkt verdienstwür­dig und mit öffentlichem Geld abzugelten. So definierte der Pädagoge beiläufig neue Qualitäten "politischer Kultur".

Das wird honoriert. Die Steuerfahndung ließ Manfred B. denkwürdige Schonung zuteil werden und nach seinem öffentlichen Schuld-Eingeständnis drei volle Tage Zeit zum Putzen der Festplatte bzw. "Aufarbeiten" der Unterlagen. Und die Dienstaufsichtsbehörde, das Regierungspräsidium, hat nach Mitteilung des Stadtanzeigers zwar "disziplinarische Vorermittlungen" eingeleitet; die aber könnten "im schlimmsten Fall zu einer dreimonatigen Suspendierung führen". Das Gnadenmaß steht wohl schon fest, bevor auch nur die Tatsachen richtig ermittelt wurden.

Es gehört gerade in windigen Zeiten zu den Kölner Tugenden, zusammenzustehen. Und Manfred B. ist wirklich ein Mann, mit dem man dies kann. Er wirkt überaus vertrauenswürdig. Im Laufe der Jahre wurde er in sieben Ratsausschüsse gewählt, federführend für die Verkehrsbetriebe zuständig (und eines Tages konsequenterweise zum Aufsichtsrat der KVB gekürt). Insbesondere galt sein Ehrgeiz der Kunst. Neben dem Notar Konrad Adenauer IV. leitete er bis zum Jahrtau­sendwende-Wahldebakel der SPD den Kulturausschuss. Als Ende 1998 die Kulturdezernentin Dittrich van Wering untragbar wurde, brachte er sich selbst als Nachfolger ins Gespräch. Doch sein Obmann Klaus Heugel, bald darauf als Oberbürgermeister-Kandi­dat der SPD über Aktien-Insidergeschäfte gestürzt, drückte die kulturpolitisch noch unerfah­renere Marie Hüllenkremer durch. Die Umwidmung dieser Redakteurin der tonangebenden ortsan­sässigen Tageszeitung (und Vertrauten des mächtigen Verlegers und Handelskam­merkapitäns) schien der lokalen Partei- und Verwaltungsspitze eine loyale Presse zu sichern.

Manfred B. segnete - mit Versprechen bezüglich Parlamentsmandat bedacht - die Miss-Wahl ab (wider besseres Wissen und trotz einer besser qualifizierten weiteren Kandidatin im Köcher). Was im Schauspiel- und Opernhaus inzwischen angerichtet wurde, geht auf keine Kuhhaut (und B., der das selbst so sieht, hielt still - wie er heute sagt "aus falscher Rücksichtnahme"). Auf den unter einem Dach vereinigten Städtischen Bühnen lasten derzeit fünf konkurrierende und untereinander zerstrittene Direktoren, aber es fehlen ein Steuermann und Perspektiven; das Unternehmen, einst eine erste Adresse in Europa, wird in die zweite Liga absteigen. Auch die Aufsicht über die Museen fiel dilatorisch aus. Das Kölner Schenkungs- und Spendensystem scheint sich auch auf sie ausgeweitet zu haben. Ernsthaft hadern sollte die Öffentlichkeit mit dem unsäglichen kulturpolitischen Pfusch der Clique - da steht rasche Schadensbegrenzung auf der Tagesordnung.

Die übel riechende Achse des Abfalls

Doch zur "Schlüsselfigur" des Skandals taugt Manfred B. kaum. Er wusch die schmutzigen Hände, welche die Zuwendungen der einseitig bevorzugten Müll-Entsorger lenkten, offensichtlich aus Konformitätsdruck und Schwäche - ver­führt von windigen Zusagen. Und er tröstete sich im Unglück selbst: Manchmal sei man eben "von einer Sache so überzeugt und glaube, die Ziele seien so hervorragend und gut, dass man sich über geltendes Recht hinwegsetze" (Kölnische Rundschau). Auf ihn, einen der Buchhalter der Korruption, kommen wohl in jedem Fall erhebliche Geldstrafen und womöglich ruinöse Regressforderungen zu.

Vernünftigerweise freilich kann niemand davon ausgehen, dass er dem eigentlichen Täterkreis auch nur angehörte. Beim zu großen Kölner Müllofen und seiner Auslastung, zu der unter anderem auch Hausmüll aus Neapel herbeigekarrt wird, handelt es sich um ein Milliardengeschäft in internationalem Ausmaß. Und dergleichen wird nicht von einem namenlosen Rechenlehrer am Schiller-Gymnasium eingefädelt und "betreut". Die Bundes-CDU weiß nur zu gut, warum sie wenigstens den nordrhein-westfälischen SPD-Großmogul Müntefering im Bundestags-Spendenausschuss in die Zange nehmen will.

Die Achse des Abfalls, die da den Geschäften auf rheinisch-demokratische Weise mit Schmiermitteln in Millionenhöhe nachhalf, dürfte nicht nur einen Südpol in den Kölner Untiefen haben, sondern auch ein anderes Ende - sehr viel weiter oben. Aber dies liegt - zumindest momentan noch - im Dunst journalistischer und juristischer Unerreichbarkeit. Besonders heiter stimmen mag dieser Tage die Forderung von Johannes Rau nach hartem juristischem Durchgreifen - der jetzige Bundespräsident war vor seiner Wahl ins höchste Staatsamt ja nicht nur Oberpräzeptor der (gleichfalls dutzendfach in Korruption verfilzten) Wuppertaler Sozialdemokraten, sondern besaß als "Landesvater" in Düsseldorf auch die Richtlinien-Kompetenz für die Struktur-Politik der Region. Alaaf und Helau!

Bürger des Landes: Seht auf diese Stadt!

Wie kaum eine andere Ortschaft repräsentierte Köln die "alte" Bundesrepublik. Hier war Konrad Adenauer Oberbürgermeister, der starke Wille des Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz formulierte - der Kanzler, der das junge Staatsgebilde auf konsequenten Westkurs brachte und auch die informellen Usancen demokrati­scher Politik prägte. Eine weit verbreitete These in der Republik lautet jetzt: die Köl­ner - und nicht nur die eben erwischten sozialdemokratischen Schelme - hätten das demokratische Parteiensystem irgendwie missverstanden, gar gründlich missbraucht.

Diese These ist falsch. Gerade in Köln herrscht traditionell das kundigste Verständnis des etablierten Systems, also vom Ineinandergreifen öffentlicher und privater Finger sowie von den Usancen direkter und indirekter Aufbesserungen der Mandatsträger im Öffentlichen Dienst. Im Sinne eines allgemeinen laissez-faire haben Sein und Schein harmonisch zusam­menzuspielen: in der großen konzertierten Aktion der Reichen und Mächtigen mit den Karnevalsprinzen, Künstlern, Medienmachern und Politikern. Wobei letztere um des "Standorts" willen die Aufgabe haben, dem "objektiv Nötigen" mit geeigneten Entscheidungsvorlagen auf den rechten Weg zu verhelfen, unschöne Nebenwirkungen wegzudiskutieren und Reibungswiderstände gegen unternehmerische Dynamik abzuschleifen. Solche Dienstleistungen haben überall ihren Preis im Ausverkauf der Welt. Köln ist auf seine Weise einer der ehrlichsten Flecken. Und gerade auch von daher so liebenswürdig. Vielleicht sollte man die Stadt insgesamt einfach nur in eine GmbH & Co. KG umwandeln. Hand drop!