Post aus Neapel

Ein Linker fürs Herz: Sergio Cofferati

Von Gabriella Vitiello
17.01.2003. Sergio Cofferati will die Linke mit der Piazza vereinigen. Aber dabei spaltet er die linken Parteien, deren Führungsriege sich von einem populären Helden bedroht sehen.
"Eigentlich wollte ich nur moderieren, aber dann erfuhr ich aus den Zeitungen, dass ich auch was Inhaltliches sagen sollte. Also habe ich ein paar Zeilen vorbereitet." Seit der Regisseur Nanni Moretti (mehr hier) vor knapp einem Jahr in Rom seinem politischen Unbehagen gegenüber der zerstrittenen linken Führungsspitze spontan Luft gemacht hatte (siehe auch unsere Post aus Neapel vom 6.2.02), erwarten Presse und Publikum nun von ihm ständig originelle Stellungnahmen, wenn die außerparlamentarischen Protestbewegungen (movimenti) sich treffen. Elf Monate nach seinem legendären "Es tut mir leid, es sagen zu müssen, aber mit diesem Vorstand werden wir niemals gewinnen" und nach vielen folgenden Demonstrationen gegen die Politik Berlusconis, sprach Moretti am 10. Januar der Zivilgesellschaft und einigen Vertretern der No-Global mal wieder aus der Seele.

In Florenz hatten die Vereinigungen Arci (associazione di promozione sociale), Aprile (kulturpolitische Vereinigung aus dem linken Parteiflügels der Democratici di Sinistra/Linksdemokraten, hier die Zeitschrift von Aprile) und Laboratorio per la Democrazia unter dem Titel "Politica e Movimenti" zu einer regionalen Versammlung eingeladen. Dabei sollte der Ehrengast Sergio Cofferati, ehemaliger Sekretär der größten italienischen Gewerkschaft Cgil, über den Dialog zwischen movimenti und Partei nachdenken. Das aktuelle Motto heißt "democrazia partecipata" und steht für die Frage, wie die mobilisierte Piazza mehr Einfluss auf die zerstrittenen Polit-Profis des Mittelinks-Bündnisses Ulivo nehmen kann. Unter dem tosendem Beifall der 8.000 Versammelten begrüßte Moretti vor der Diskussion Cofferati zunächst einmal (hier das Video von Radioradicale, hier die Liste aller Videos und Beiträge); und machte den ehemaligen Gewerkschaftler in seiner kurzen Einleitung nicht nur zur Leitfigur der Movimenti: Er "sollte sich von uns nicht auf die Rolle reduzieren lassen, nur unser Leader zu sein", sondern "er sollte auch zu allen anderen sprechen können, nicht nur zur radikalen Linken". Damit erklärte der Filmemacher den Ex-Gewerkschaftler zum neuen Führer der gesamten italienischen Linken (hier das Video von Morettis Rede, hier Bilder von Moretti und Cofferati).

Das Treffen der Florentinischen Girotondini (hier zwei wichtige websites der movimenti: Girotondi und Centomovimenti) wurde schon vor der Eröffnung zum Ereignis. Kostenfreie Werbung lieferten einige linke Spitzenpolitiker, unter denen sich Gereiztheit und Panik breit machte. Piero Fassino (homepage) der Generalsekretär der Linksdemokraten (DS) beschränkte sich nicht nur auf Kritik an Cofferati. Fassino sprach fix vom "Cofferatismus" und attackierte so gleichzeitig einige Parteikollegen, die Movimenti und auch die parteinahe Tageszeitung Unita, weil sie in seinen Augen alle versuchten, die Parteispitze abzusetzen: Sie behaupten zuerst, "dass wir keine richtige Opposition machen wollten. Dann, dass wir für den Krieg seien und jetzt auch noch, dass wir faule Kompromisse mit der Rechten eingingen: das ist ein Versuch, den Parteivorstand zu entlegitimieren. Aber wenn dieser Vorstand nach Hause geschickt wird, bedeutet dies, dass alles auseinander fällt... Von dieser Art der Politik habe er die Nase voll." Doch wer so um seinen Posten bangt wie Fassino, scheint eher die Hose als die Nase voll zu haben. (Hier der Bericht in La Repubblica mit Links zu archivierten Artikeln zur Krise der Linken.)

Auch Fausto Bertinotti, Generalsekretär der Rifondazione Comunista, wurde nervös und beschuldigte Cofferati zum einen, dass er die Movimenti aufspalte; und zum anderen, dass Cofferati sich gleichzeitig der Illusion hingebe, das Mittelinks-Bündnis (dem Bertinotti mit der Rifondazione nicht angehört) könne sich in eine ernstzunehmende Opposition verwandeln. Dieses Verhalten analysierte die Grande Dame der italienischen Linken, Rossana Rossanda mit kühlem Kopf in der Tageszeitung il manifesto als eine typische Schwäche Bertinottis. Dieser werde unsicher, sobald er feststelle, dass der linke Flügel der DS den Dialog mit Cofferati und den Movimenti suche; denn Bertinotti nahm bislang für seine Partei in Anspruch, dass nur sie in der Lage ist, die neue politische Existenz der Movimenti anzuerkennen - so Rossanda.

Kreative Kritik übte der Präsident der Linksdemokraten, Massimo D'Alema (homepage), an Cofferati nach dem Treffen in Florenz. Dabei ließ er sich von Cofferatis Spitznamen inspirieren und verwandelte den besonnenen 'Chinesen' (wegen der Form seiner Augen) in einen wilden Mongolen. "Wir brauchen jemanden, der einigt, aber keinen Dschingis Khan", sagte D'Alema und bezeichnete Cofferatis Engagement als eine "Eroberungskampagne" - Cofferati als mongolischer Herrscher, der mit seinen wilden, ungezügelten Horden (den Movimenti) das feindliche Gebiet (Mittelinks) erobern will.

Aber was hat der 'Chinese' wirklich vor? Seitdem Cofferati im September 2002 die Cgil verlassen hat, nimmt die Irritation innerhalb der DS ständig zu. Die verschiedenen Parteiströmungen beäugen einander misstrauisch. Viele unterstellen Cofferati, er wolle die DS spalten, eine neue Partei gründen oder eine Art Partei in der Partei durchsetzen. Unterdessen setzt die Regierung Berlusconi ihren aggressiven Führungsstil fort. Gerade wurde eine Untersuchungskommission über Mani Pulite - die Ermittlungen der vermeintlich "kommunistischen" Mailänder Staatsanwaltschaft gegen die Korruption in den 1990er Jahren und gegen den "politischen Gebrauch der Justiz" - beschlossen, statt über die Korruptionsskandale selbst. Aber die Opposition übt kaum Druck auf Berlusconi aus. Was ohne ein überzeugendes, einstimmiges Programm auch schwierig sein dürfte.

Cofferati jedoch geht es um das Programm und die politische Linie der Linksdemokraten, deren Parteibuch er selber besitzt. Gemeinsam mit den Movimenti will er ein "Projekt entwerfen, das aus Inhalten besteht", sagte er in Florenz und betonte, dass er dabei "niemanden ausschließen" werde (hier und hier die Beiträge Cofferatis als Videos). Er ist davon überzeugt, dass die Ex-Kommunisten nur eine politische Chance gegen Berlusconi haben, wenn sie eine klare linke Politik vertreten, zu der die Zivilgesellschaft und die No-Global derzeit wichtige Anstöße liefern.

Rossana Rossanda erklärt den Ansatz Cofferatis so: "D'Alema, Amato und sogar Prodi glaubten, dass sie gegen Berlusconi, Fini und Bossi vorgehen könnten, ohne eine wirkliche Linke, ganz gleich ob radikal oder nicht. Berlusconis 'Casa delle Liberta' wird sich jedoch nie vom Zentrum aus besiegen lassen (...). Nicht nur weil die Mitte unweigerlich die Wähler am linken Flügel verliert, sondern auch wegen der kategorischen Instabilität der Mitte. Und das ist der Grund, warum die Movimenti eine Aufmerksamkeit verdienen, die weit über den gewöhnlichen Stimmenfang hinaus geht. Man muss verstehen, wie Krieg, Globalisierung, Neoliberalismus, das Aushebeln der Gewerkschaften, die Stärkung der Staatsapparate, das Ende der Rechte, des Wohlfahrtsstaates und die Privatisierung fundamentaler Güter (wie Schule und Gesundheitswesen) demselben Plan gehorchen. Cofferati hat das verstanden." Die Kurzversion aus seinem Mund lautet so: "Wer die Wahl hat zwischen Original und Kopie, wird sich immer für das Original entscheiden - also für Berlusconi."

Deshalb - argumentiert Rossanda weiter - wehrt sich Cofferati auch gegen eine Gesellschaft, die nur auf den Markt und das Kapital reduziert wird, und hält daran fest, dass jedem Bürger nicht nur politische, sondern auch soziale Rechte zustehen. Sobald die sozialen Rechte beschnitten werden, verringern sich auch automatisch die politischen. Damit ähnelt die Position Cofferatis der von Jean Pierre Fitoussi und Joseph Stiglitz - meint Rossanda.

Was Cofferati verstanden hat, können die Polit-Profis in der linken Führungsetage offenbar nur sehr langsam einsehen. Sie hinken der Zeit hinterher, weil sie die Bewegung der Globalisierungskritiker und die außerparlamentarische Opposition der sehr weit gestreuten Zivilgesellschaft (noch) nicht als Ressource verstehen, die der Linken aus der Krise helfen oder sie zumindest ein wenig orientieren könnte.

Zudem passt das sehr pluralistische oppositionelle Engagement der Piazza und der Intellektuellen nicht so recht in das Parteischema der linken Führungsriege, die gerne betont, dass die Politik im Parlament stattfindet. Cofferati hingegen hat zwar ein Parteibuch, aber kein offizielles Amt innerhalb der Linksdemokraten. Seit September verdient er seinen Lebensunterhalt wieder als Angestellter bei Pirelli (hier ein kompaktes Porträt Cofferatis), seinem ehemaligen Arbeitgeber, und leitet die Cgil-nahe Stiftung di Vittorio (mehr hier). Bislang lehnte er alle Angebote von D'Alema und Fassino, dem Führungsgremium der DS beizutreten, dankend ab, wohl weil er dahinter Versuche vermutete, ihn einzuengen und kaltzustellen.

Auch das Angebot, in einem geplanten Programmbüro des Mittelinks-Bündnisses zusammen mit einigen wenigen führenden Parteiköpfen an einem neuen inhaltlichen Konzept zu arbeiten, sieht Cofferati kritisch: "Ich teile zwar die Idee, aber nicht die Art und Weise der Realisierung: sie kommt mir vor wie maßgeschneidert für die Führungsriege, wie eine Einrichtung, welche die vielen verschiedenen kulturpolitischen Strömungen von Mittelinks nicht berücksichtigt. Ich bin nur zur Mitarbeit bereit, wenn in dem neuen Programmbüro alle Vertreter der Movimenti sitzen." (hier Cofferatis O-Töne in La Repubblica)

Trotzdem versuchte D'Alema wenige Tage nach dem Florentiner Treffen den berühmtesten Angestellten von Pirelli wieder auf seine Seite zu ziehen. Im politischen Magazin Ballaro (mehr hier, inklusive Sende-Videos) auf RAI 3 begegneten sich D'Alema (im Studio) und Cofferati (aus Mailand zugeschaltet) zum TV-Show-Down und verkörperten zwei völlig verschiedene Auffassungen von linker Politik.

Nach dem Dschingis Khan-Affront des DS-Präsidenten ließ sich Cofferati auf keine versöhnlichen Angebote ein, sondern kommentierte trocken: "Seit einigen Tagen bin ich eine Ressource der Mongolei und stehe unter dem Verdacht, spalten zu wollen." Dem unterkühlten Scherz folgte Cofferatis beharrliche Wiederholung seiner Leitmotive: den Dialog mit den Kräften außerhalb des Parlaments zu führen und die Linke zu einigen. Doch gerade die Fernseh-Debatte hat den Kampf um die Linke neu entfacht. (Hier der Bericht zur Ballaro in La Repubblica)

Während Cofferati die Movimenti politisch stärken will, um so auch soziale Inhalte voranzutreiben, träumen manche Linksintellektuelle - wie Moretti - weiterhin von der neuen Symbolfigur der Linken. Die Ressentiments der Polit-Profis gegen den außerparlamentarische Oppositionspluralismus - "Mit Führern, die nur das Herz erwärmen, lassen sich keine Wahlen gewinnen" - schrecken Moretti und die Piazza nicht ab. "Immer noch besser als eine Führungsspitze, die das Herz kein bisschen erwärmt und auch noch verliert" - antwortete der Regisseur. Insgeheim hoffen Moretti und viele andere girotondini für die nächsten Parlamentswahlen auf ein neues Winnig Team: Sergio Cofferati-Romano Prodi. Aber Prodi ist noch in Brüssel und empfiehlt sich derweil einer ganz anderen überparteilichen Autorität: "Nur Gott weiß, wie es weitergeht."