Virtualienmarkt

Neue Nutzungsmodelle für Google-Laptops

Von Rüdiger Wischenbart
12.06.2007. Richard Charkin, oberster Boss des zur Holtzbrinck-Gruppe gehörenden Wissenschaftsverlags Macmillan, hat vor gut einer Woche auf der BookExpo America in New York am Google-Stand zwei Laptops geklaut - und wieder zurückgegeben. eine kleine Performance, die der Kulturindustrie zu denken geben sollte.
Richard Charkin, oberster Boss des zur Holtzbrinck-Gruppe gehörenden Wissenschaftsverlags Macmillan, hat vor gut einer Woche auf der BookExpo America in New York am Google-Stand zwei Laptops geklaut.

Ich kann das ganz unbesorgt hinschreiben, ohne das kleinste Risiko für den Perlentaucher einzugehen, mit Klagen von Charkin oder Holtzbrinck überzogen zu werden, denn 1) hatte ich von der skurrilen Episode noch am 'Tatort' von einem unmittelbar Beteiligten erfahren, 2) hat Charkin selbst am Tag darauf ausführlich und stolz in seinem Blog über seinen Beutezug berichtet, und 3) hat die Geschichte, neben ihrem Unterhaltungswert, durchaus das Zeug zur anschaulichen Wegmarke im Dickicht der Auseinandersetzung um Urheberrecht, Googles Digitalisierung von Büchern und die neuen Umgangsformen von Usern mit urheberrechtlich geschützten Inhalten.

Charkins Argument ist simpel: An den Laptops, die für Präsentationszwecke aufgebaut waren, war kein Schild mit dem Hinweis, man möge sie nicht stehlen, angebracht, also habe er sie unter den Arm geklemmt, sich damit an einen leeren Tisch am Google-Stand gesetzt und gut eine Stunde lang Businesstermine abgehalten. Als dann eine Google-Dame auf ihn zukam und höflich fragte, ob dies seine, Charkins, Laptops seien, habe er sie lächelnd zurückgegeben.

Charkin im Originalton: "The owner of the computer had not specifically told us not to steal it. If s/he had, we would not have done so. When s/he asked for its return, we did so. It is exactly what Google expects publishers to expect and accept in respect to intellectual property.?

Der Reiz der Episode ist wohl nicht so sehr die rein juristische Frage, ob diese Analogie tatsächlich hält. Viel spannender ist für mich, dass das so spielerische Scharmützel ganz ungeahnte Perspektiven zum experimentellen Ausloten der Zukunft enthält in einem Streit, der üblicherweise meist einem Labyrinth aus argumentativen Betonmauern gleicht, die von Anwälten, Gerichtsurteilen, Lobbyistenvorstößen und Corporate Communications Füchsen aufgeführt werden.

Aber der Reihe nach.

In den unmittelbaren Reaktionen auf Charkins Blog wurde natürlich erst einmal geunkt, wie sinnvoll es sei, wenn sich Verlagsmanager aufs Niveau von Pennälern begeben ("Charkin, are you stuck in Junior High? Come on!?). Irgendwer schmuggelte auch Links auf Pornoseiten auf Charkins' Blog. Origineller war schon der Hinweis, Charkin hätte nicht den Laptop klauen, sondern dessen gesamte Festplatte kopieren und im Web veröffentlichen sollen. Nicht fehlen durfte auch der Hinweis, Charkin sei "an artifact of a time passed and need to make room for visionaries with foresight and intelligence to take your place.?

Gefragt sind aber vielleicht weniger 'Visionäre', als die Bereitschaft, endlich einmal zwischen den Extrempositionen des umfassendsten Schutz aller Inhalte einerseits und der pauschalen Warnung vor Anarchie und Piraterie neue Wege auszuprobieren.

Denn wenn Charkin nicht einfach der Spielteufel der Provokation geritten hat, kann sein Auftritt durch nur eines sein: Eine Einladung zu experimentieren, und dabei auch die eine oder andre Bauchlandung in Kauf zu nehmen. Dann kann dieser Aufbruch ins Wagnis auch nicht auf mächtige Unternehmensbosse beschränkt bleiben, die ohne Rücksicht auf Ahndung an Normen rütteln. Nein, ein solcher Anlauf, gemacht mit solchem Aplomb, kann in unseren Umbruchszeiten nur als breite Ermutigung verstanden werden, kreativ nach den Widersprüchen zwischen alter (Buch- und Inhalte-) Kultur und nach den neuen Herausforderungen Ausschau zu halten.

Dann freilich muss man, ehrlicherweise und auf gut wienerisch, auch anmerken: "Wenn Sie's nur aushalten", die Manager der Contentwirtschaft, nervlich, branchenpolitisch, und strategisch.

Man muss sich nicht gleich die leer geräumten Hallen auf der nächsten Frankfurter Buchmesse ausmalen, wenn jeder Besucher auch nur ein Buch, das gerade kein "Bitte nicht stehlen" Schild hat, vorübergehend 'ausleiht'.

Oder fürchten, dass bei der nächsten Aktion Scharf der Film- oder Musikindustrie gegen Downloadbörsen ein gewitztes Kid darauf hinweist, es habe doch nur gemacht, was durchaus branchenüblich sei, und gegebenenfalls würde es alle Songs und Filme ja wieder an die Eigentümer retournieren.

Aber auch die heiße Verlagsdebatte rund um den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen ('Open Access') könnte ganz neue Dynamik bekommen, wenn Macmillan, bei dem etwa das weltweit angesehene Nature erscheint (Jahresabo: 199 Dollar), künftig mit der Öffnung seiner Journals experimentiert und damit in die kontroverse Diskussion mit seinen Konkurrenten Wiley oder Elsevier einsteigt.

Im Ernst, wenn Verlage (und idealerweise auch noch Film- und Musikwirtschaft) zehn Prozent des Geldes, das sie für Anwälte, Klagen und Verfahrenskosten ausgeben, für die Erkundung neuer Nutzungsmodelle ausgäben, und zwar nicht nur in Form von Aufträgen an sündteure Kreativagenturen, sondern für Ideenwettbewerbe und Gespräche mit unterschiedlichsten Gruppen ihres Publikums, und wenn Richard Charkin seine Verlagskollegen ermuntern könnte, ein Jahr lang einen Tag die Woche für diese mutigen Erkundungen aufzuwenden - dann könnte das Bücher, Web, Verlage, Autoren und Lesende ziemlich durcheinander wirbeln, helfen einige alte Zöpfe abzuschneiden und ein neues Verständnis hervorbringen, worum es in Sachen Geistiges Eigentum und kultureller Alltag heute tatsächlich geht.

Lawrence Lessig, Professor an der Standford Law School und unermüdlicher Kritiker bestehender Copyright Zwänge, hat in seinem Blog ebenfalls auf Charkins Aktion reagiert und geduldig einmal mehr zu erläutern versucht, was den Unterschied ausmacht zwischen dem Klauen eines Laptops und dem 'Ausborgen' oder Aneignen von geistigen Inhalten. Lessig schreibt, Thomas Jefferson zitierend: "Its peculiar character, too, is that no one possesses the less, because every other possesses the whole of it." Kurzum, wenn jemand einen Laptop von Google ausborgt, kann Google diesen Laptop nicht benutzen. Wenn Google hingegen ein Stück geistiges Eigentum digitalisiert und auffindbar macht, behindert dies keineswegs den Zugriff von jemand anderem.

Die Crux ist gewiss, am Ende des Weges wirtschaftliche Modelle zu entwickeln, die diesem Paradox standhalten. Dies erfordert durchaus Charkins ebenso fröhlichen wie forschen Mut zum Experiment. Wir werden ihn weiter beobachten und über seine nächsten Abenteuer gerne berichten. Denn wir nehmen selbstverständlich an, dass Mr. Charkin längst schon die nächsten Streiche ausheckt.