Virtualienmarkt

Print minus 20 Prozent

Von Rüdiger Wischenbart
09.02.2011. Zwischen den USA und Europa tut sich ein großer Graben auf: der eBook-Graben. Während in Amerika schon in drei Jahren mit digitalen Bücher ebenso hohe Umsätze erwartet werden wie mit gedruckten, versucht Kontinentaleuropa den digitalen Wandel durch hohe und festgefügte Preisdämme aufzuhalten.
Vor gut einer Woche verkündete eine auch hier zitierte Studie von Forrester Research, dass voraussichtlich in drei Jahren in den USA etwa ebenso hohe Umsätze mit digitalen wie mit gedruckten Büchern gemacht würden.

Etwa zeitgleich bilanzierten die Anbieter von digitalen Lesegeräten in Deutschland zwar gute Absätze im Weihnachtsgeschäft. Doch genaue Absatzzahlen wollte niemand publizieren, und die Umsätze mit eBooks, also mit elektronischen Büchern für diese Lesegeräte, liegen immer noch unter der statistischen Wahrnehmungsschwelle.

Das Interessante an den US Zahlen ist, dass es sich dabei längst nicht mehr um Zukunftsforschungsprosa handelt, sondern um Vorschauen, die die Chefs der größten Verlagskonzerne mit zustimmendem Nicken und Sätzen wie "Es kommt alles noch viel schneller, als selbst wir dachten" unterlegen. Nachdem der Online-Händler Amazon im Vorjahr mit der Meldung für Schlagzeilen gesorgt hatte, wonach mehr eBooks als gebundene Titel verkauft würden, legte der in Seattle beheimatete, mittlerweile wohl unbestritten weltgrößte Buchhandelskonzern Anfang 2011 nach, nun hätten eBooks auch die Taschenbuchumsätze getoppt.

Die amerikanische digitale Lesetsunami hat unterdessen auch Großbritannien und damit alle englischsprachigen Lesemärkte erfasst. Wie aber sieht es am alten Kontinent aus?

Ein kleiner Rundruf bei einem informellen Treffen mit Branchenjournalisten quer durch Europa und den USA brachte dieser Tage doch einige Klarheit ins Bild und die Einschätzungen.

Bis vor einem Jahr etwa war die Killerfrage in Europa jene nach den verfügbaren Titeln in der jeweiligen Lokalsprache und nach der Verfügbarkeit von Lesegeräten. Doch dies ist zunehmend gelöst. Lesegeräte sind verfügbar. Sony's eReader war unlängst in Österreich sogar vorübergehend ausverkauft. Vor allem bei den populärsten neuen Titeln in Belletristik und Sachbuch stimmt auch schon weitgehend das Angebot.

Interessant ist, dass es in Deutschland ähnlich wie in Frankreich die jeweils führenden Handelsketten - also Thalia, Weltbild und Fnac - waren, die Mitte 2010 den Stillstand ungeduldig durchbrochen haben, indem sie Lesegeräte anboten und darüber auch die dazugehörigen eBook Titel auf den Markt brachten und ihre mächtigen Marketingmaschinerien anwarfen - mit, wie gesagt, aus ihrer Sicht guten ersten Resultaten.

Im nächsten Schritt führt Thalia nun eben ein runderneuertes Lesegerät der zweiten Generation ein, mit dem ohne Zusatzkosten jederzeit und überall über das Handynetz eBook Titel gekauft und sofort auch bereitgestellt werden können.

Das Motto "Lesestoff auf einen Click, immer und überall" hatte in den USA den Durchbruch gebracht. Zu erwarten ist, dass in den nächsten Monaten nun auch der US Marktführer Amazon seinen "Kindle Shop", der diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllt, nach einiger Verzögerung in einer deutschsprachigen Version eröffnet - ein Schritt, der in seiner Tragweite kaum hoch genug einzuschätzen ist. Bislang hakte es in den Verhandlungen mit deutschen Verlagen an der Hoheit über den (gesetzlich gebundenen) Buchpreis, doch dürfte auch dafür eine Lösung gefunden werden.

Womit das Thema "Wieviel darf ein eBook kosten" in den Vordergrund drängt. Der Preis, das ist die zentrale Schwelle, das Nadelöhr, aber auch der mächtigste Hebel. Ein eBook ist nun einmal nur ein relativ kleines digitales Dokument, etwa so groß wie ein Song, meist sogar kleiner, das mit einem von vielen Nutzern wie auch vom Handel wenig geliebten digitalen Schlüssel vor Raubkopien geschützt wird. Wieviel werden nun Leser bereit sein, dafür zu bezahlen?

Quer durch die nicht-anglophonen Länder in Europa zieht sich ein Konsens wenigstens bei den Verlagen, wonach sich der Preis von eBooks nach den gedruckten Ausgaben richten sollte, mit einem Abschlag von maximal um die 20 Prozent.

In Frankreich hat ein Gesetz zur Preisbindung schon die ersten parlamentarischen Hürden geschafft, auch wenn Branchenkenner zweifeln, ob sich solch ein Gesetz angesichts viel schwerer zu vereinheitlichender elektronischer Ausgaben überhaupt werde anwenden lassen.

In Deutschland spiegelt sich der lieblose Umgang mit dem Thema in eBook-Preisen, die mitunter sogar ein paar Cent über dem einer gedruckten Ausgabe liegen. Das liegt einerseits an der Umsatzsteuer, die für gedruckte Bücher herabgesetzt ist, aber beim eBook mit vollen 19 Prozent anschlägt. Und wenn ein Verlag ohnedies nicht an digitale Erlöse glaubt, und seine eBooks nicht einmal im Verlagsprogramm ausweist, dann kann schon mal ein Endpreis von seltsamen 13,87 Euro rauskommen.

Wichtiger als die Groschen aber ist wohl die Erosion in der Glaubwürdigkeit gegenüber den Konsumenten. Diese waren bislang gewöhnt, dass ein Buch nun einmal genau einen vom Verlag festgesetzten Ladenpreis hat, egal ob der Titel im Internet, im Supermarkt oder im Buchladen im Kiez nebenan erstanden wird.

Wer jedoch Dan Browns neuesten Schmöker "The Lost Symbol" beim deutschen Amazon nachschlägt, bekommt mehr als eine Handvoll stark divergierender Preise ausgewiesen, alle nebeneinander und auf einen Blick: Eine deutsche gebundene Übersetzung steht da neben der US Taschenbuchausgabe und dem englischen eBook. Und um die Verwirrung komplett zu machen, kostet das Hörbuch auf CD, die ja noch aufwendig verpackt und ausgeliefert werden muss, um ein Drittel weniger als das Hörbuch zum direkten Download.

Darüber werden sich bald nicht nur Buchkäufer wundern. Auch wenn man Branchenexperten oder Verlagsmitarbeiter fragt, stellt sich rasch ein prekärer Konsens ein: Kaum jemand hält einen Preis von um die 20 Euro für ein eBook - also eine Datei - für durchsetzbar beim Publikum. Und doch besteht die Branche, nicht nur in Deutschland, sondern eben auch in Frankreich, Schweden, oder Italien, auf einer Faustformel von "Print minus 20 Prozent".

Der Wunsch nach solch einer Faustformel ist durchaus nachvollziehbar, betrachtet man den überaus hohen Anteil, den gebundene (Erst-) Ausgaben bei Belletristik und Sachbuch gerade in Deutschland halten. Ein massiverer Preisabschlag würde das über Generationen aufgebaute und von vielen Seiten abgesicherte Gerüst der Buchpreiskultur in seinen Grundfesten erschüttern.

In den USA gab es im Frühjahr 2010 einen ersten Showdown zwischen den Verlagen und Amazon über die Hoheit bei der Festlegung des Preises, den die Verlage mit einem kleinen Bravourstück des amerikanischen Statthalters der Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe, John Sargent, gewonnen haben. (Zu Holtzbrinck gehören in den USA etwa Macmillan, Farrar Strauss Giroux oder Henry Holt, in Deutschland Traditionsverlage wie S. Fischer, Rowohlt oder Kiepenheuer & Witsch). Doch änderte dies nichts an der Tatsache, dass heute der Regelpreis für eine Neuerscheinung als eBook eher bei den von Amazon gewünschten 9,99 Dollar liegt, und nicht bei den von den Verlagen angepeilten rund 13,99 Dollar.

Klar ist, dass sich die wenigen marktdominierenden Konzerne in Deutschland - wie Holzbrinck, Random House (Bertelsmann) oder die unter schwedischer Flagge von Bonnier segelnden Häuser Ullstein, Carlsen, Piper) - hier leichter tun, erst einmal überhaupt in die Bereitstellung von Neuerscheinungen als eBook wie in Print zu investieren wie auch danach allfällige Preiskämpfe einigermaßen schadlos zu überstehen. Selbst bei mittelgroßen, konzernunabhängigen Verlagen, die sich mit dem Thema insgesamt spürbar schwerer tun, bleiben Angebot wie Engagement bislang arg begrenzt. Die wirtschaftliche Anfälligkeit für anstehende Turbulenzen ist indessen in diesem Mittelfeld besonders groß.

Zum anderen sind es, wie schon erwähnt, die dominierenden Handelsketten und Amazon, die den größte Druck in Richtung eBook aufbauen - wohl nicht zuletzt, weil sie bei den Lesenden weniger Angst vor dem Neuen als Bereitschaft und Neugierde orten. Mit den Tablets wie Apples iPad gibt es überdies nun auch noch eine schicke Flunder, die das Buch mit allen anderen digitalen Inhaltsangeboten in einen Korb wirft, gegenseitige Ablenkung und Konkurrenz mit einbegriffen.

Kurzum, was auf den ersten Blick - im Wettjargon gesprochen - ? als eine sichere Bank erscheinen mag, nämlich den digitalen Wandel durch festgefügte Preisdämme fest im Griff zu behalten, mag tatsächlich eine Strategie mit besonders hohem Risiko sein.

Denn zumindest eines lässt sich aus den amerikanische Erfahrungen mit dem eBook durchaus mit Sicherheit auf Europa übertragen: Die ersten, die sich tatsächlich auf elektronische Lesegeräte einlassen, sind die Vielleser, die schon beim gedruckten Buch den Löwenanteil am Umsatz insbesondere bei Neuerscheinungen und teuren Büchern hinlegen. Dazu gehören die gut ausgebildeten über Vierzigjährigen ebenso wie berufsbedingte junge Vielleser, etwa Studierende. Diese Gruppen aber finden beim Gebrauch von digitalen Lesegeräten besonders viele Vorteile, wenn sie weniger Gewicht herumschleppen müssen, rasch mal ein Buch aus dem Netz laden können, und dies vorzugsweise über marktbeherrschende Seiten tun, insbesondere jener von Amazon. (Diese Annahmen wurden für die USA unlängst durch eine umfassende Umfrage von Bowker massiv untermauert).

Diese Zielgruppe ist jedoch auch besonders flexibel wie ungeduldig, sucht folglich, wenn sie die gewünschte Information als Sachbuch nicht findet, rasch auch nach alternativen Quellen, oder kauft einen - übersetzten - Roman auch auf Englisch, wenn er auf Deutsch nicht verfügbar ist. Diese Gruppe weiß auch (nicht zuletzt aus Erfahrungen mit Musik und Filmen), wo sich Inhalte abseits des legalen Angebotes finden lassen, auch wenn ihre Präferenz vermutlich deutlich bei legalen Buchhandelsangeboten liegt. Doch sollte man diese Treue nicht überbeanspruchen.

Die zweite Gemeinsamkeit zwischen amerikanischen und europäischen Lesern, und damit schließt sich ein weiter Bogen, ist als entscheidendes Kriterium für den Kauf von digitalen Büchern, der Preis, sowie die flexiblen Möglichkeiten, die digitale Inhalte bieten, eben die gute allzeitige Verfügbarkeit, der flexible Umgang, und etwa Möglichkeiten wie die, einzelne Kapitel vorab gratis einsehen zu können.

Vor diesem Hintergrund darf man getrost wetten, dass die großen Handelsketten, die nun seit dem Herbst 2010 auf die digitale Zukunft setzen, gehörig Marktdruck aufbauen werden. Denn das eBook erweist sich damit als mächtiges Werbemittel für das Thema Buch und Lesen insgesamt.

Dennoch waren sich, bei der informellen Rundfrage, die Branchenjournalisten einig, dass für das nichtenglischsprachige Europa 2011 noch nicht der Durchbruch - oder, metaphorisch überhöht gesprochen, der 'Dammbruch' - zu erwarten sei. Aber ein Jahr der wichtigen Weichenstellungen dürfte es allemal werden. Ob diese Differenzierung auch für 2012 noch angebracht sein wird, darauf hätte es in der Runde keine allzu hohen Wetteinsätze gegeben.

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