Vom Nachttisch geräumt
Katzen, Maschinen und ein Baby
Von Arno Widmann
20.11.2018. Vom Babytalk zur Welterfahrung der Fledermäuse: Karl Ove Knausgård wechselt in seinem Jahreszeiten-Zyklus sprunghaft das Niveau.![](/cdata/K3/T73/A10499/fruhlingx.jpg)
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Und so geht es weiter: "Du bist drei Monate alt und in alltägliche Abläufe gehüllt, liegst tagein, tagaus auf einem Lager aus immer Gleichem, denn du hast keinen Kokon wie die Raupen…" Ich weiß, dass die Unterbringung der Knausgård-Tochter doch etwas abwechslungsreicher war als der Kokon einer Raupe, denn ich habe weitergelesen und der Autor wird nicht müde, uns zu erzählen, wie er immer wieder seine Tochter frisch wickelt. Aber immer noch auf der ersten Seite erzählt er uns noch, das Kind wachse so langsam, "dass niemand es merkt". Das ist allerdings eine originelle Beobachtung. Ich habe noch keinen Vater, keine Mutter gesprochen, die das über ihr drei Monate altes Kind gesagt hat. Am Ende der Seite steht dann noch die Behauptung, das Baby wende sich zunächst nur der Außenwelt zu, "und erst, wenn du dies etwa ein Jahr lang getan hast und die Welt eingerichtet ist, entdeckst du nach und nach, was dich selbst erfasst, und du wächst auch nach innen, zu dir selbst."
Das war der Satz, an dem ich das Buch noch vor ein paar Jahren angeekelt - von so viel Mangel an Neugierde - weggelegt - sehr vornehm ausgedrückt - hätte. An diesem Sonntag auf dem Balkon blätterte ich noch ein wenig in dem Buch, stieß auf ein paar Seiten über Knausgårds Aufenthalt auf Bergmans Insel Fårö. Ich hatte dort gerade ein paar sehr ergreifende Tage verbracht, als ich Linn Ullmanns Buch über das Sterben ihres Vaters Ingmar Bergman "Die Unruhigen" (ebenfalls bei Luchterhand) las. Ich mochte in Knausgårds "Im Frühling" diese Stelle: "Im Osten war der rote Streifen gewachsen, und seine Farbe war nicht mehr so konzentriert, es sah aus, als hätte man sie verdünnt, während der Himmel über ihr blasser geworden war. Die Erde, die sich zu allen Seiten hin flach ausbreitete, reflektierte das Licht noch nicht, sowenig wie die Bäume im Garten, im Gegenteil, sie saugte es gewissermaßen an, so dass die Schwärze langsam von gräulichen Körnern gefüllt wurde, vor Dunkelheit fast berstend." Das war auf Seite 17. Da las ich weiter, aber es fiel mir schwer. Vergleichbares kam nicht mehr, stattdessen dieses dauernde Eingequatsche auf das Baby. Ich freute mich auch, dass er Ingmar Bergmans Romane lobte. Ich dachte, ich wäre der einzige, der sie mag. Aber viel weiter kam ich dann doch nicht.
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Dass er gleich zu Beginn des Bandes Katzen beim Beobachten beobachtet und so von der Idee Abschied nimmt, sie seien instinktgesteuert, nimmt mich sehr für ihn ein. Ein paar Seiten weiter aber steht wieder ein so völlig ahnungsloser Satz, dass man sich fragt, ob Knausgård nicht besser aufhören sollte, sich über sein Kind auszulassen, "dessen deutlichste Eigenart darin besteht, dass es nichts verbirgt, dass es keine Geheimnisse hat". Woher weiß er das? Glaubt er ernsthaft, das Kind hätte nur das zu sagen, was er versteht? So naiv kann doch niemand sein. Und nun gar ein Autor, der Hunderte von Seiten über Empfindungen gefüllt hat!
"Fast alles von Menschenhand Erschaffenes erinnert in irgendeiner Form an etwas in der Natur." Wie kann ein Autor einen solchen Satz schreiben? Das ist der Satz eines Menschen, der nicht schreibt. Wer schreibt, dem fällt zum Beispiel die Hobelbank ein und er streicht den Satz. Aber ihn so windelweich zu formulieren mit diesem "fast" und dann noch der weiteren Einschränkung "in irgendeiner Form", das ist Politikerprosa, das ist der Satz eines Menschen, der nicht sagen möchte was ist, sondern recht behalten. Drei Seiten weiter dann die großartige Passage, in der Knausgård uns zeigt, dass wir, als wir Maschinen erfanden, die uns Arbeit abnahmen, "auch gleichzeitig uns erfanden", denn davor war uns nicht klar, dass alles, was wir tun auch ein Verbrauch von Energie, ein Verbrennen von Kraft ist. In der und durch die Maschine erkannten und erkennen wir uns selbst.
Karl Ove Knausgård: Im Frühling, mit Bildern von Anna Bjerger, 250 Seiten, 22 Euro und "Im Sommer", mit Bildern von Anselm Kiefer, 490 Seiten, 24 Euro, beide übersetzt von Paul Berf und beide erschienen im Luchterhand Verlag.
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