9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Wissenschaft

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.03.2023 - Wissenschaft

In der FAZ verteidigt Thomas Thiel einen Artikel des Migrationsforschers Stefan Luft, der, neben anderen Autoren des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", in dem Band "Wissenschaftsfreiheit" die Einseitigkeit und ideologische Tendenzen der Migrationsforschung beklagt hatte. Dafür war das Netzwerk kürzlich im Tagesspiegel von den Kulturwissenschaftlern Simon Strick und Johanna Schaffer angegriffen worden: Es sei rechts. Zumindest was Luft angeht, findet Thiel diesen Vorwurf abwegig. "Die behauptete Einseitigkeit demonstriert Luft an den Publikationen und Projekten des Deutschen Zentrums für Integration und Migrationsforschung (Dezim), das 2017 gegründet wurde und vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Fast die Hälfte aller Projekte sei dem Jahresbericht 2020 zufolge dem Thema Rassismus gewidmet, kaum oder keine Forschung gebe es zu Islamismus oder der Bedeutung kultureller Prägungen für die Eingliederung. Beinahe alles werde unter die Perspektive eines ubiquitären Rassismus gestellt. So komme man zu der Schlussfolgerung, dass 'Rassismus für eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland eine allgegenwärtige Erfahrung' sei. ... Die zitierten Aussagen machen den von Luft geäußerten Vorwurf plausibel, die Wissenschaft produziere hier jene 'Narrative', die von der deutschen Politik parteiübergreifend erwartet würden - und erhalte im Gegenzug reiche Förderung."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.03.2023 - Wissenschaft

In der New York Times ordnet David Wallace-Wells ein, was die neueste Recherche-Arbeit des amerikanischen Energieministeriums bezüglich der Theorie bedeutet, das Corona-Virus könnte versehentlich aus einem Labor entkommen sein. Er legt klar, dass andere amerikanische Regierungsinstanzen diese "Lableak-Hypothese" eher nicht unterstützen und sieht sie selbst nicht als sehr wahrscheinlich an. Die Hauptfrage ist für ihn eher, ob und wie solche Erkenntnisse umgesetzt werden, um die Sicherheit von Laboren zu optimieren: "Wäre es nicht besser gewesen, selbst auf die kleinste Möglichkeit eines Lableaks hin mit der simplen Aussage zu reagieren, 'Lasst uns alles in unserer Macht stehende tun, dass sowas nicht wieder vorkommt'? Oder zumindest dafür zu sorgen, dass wir alles tun, um Überwachung und Regulation der Labore sicherzustellen, sodass wir beim nächsten Mal wirklich wissen, woran es lag?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.02.2023 - Wissenschaft

Die FAZ bringt ein Pro & Contra ihrer Wissenschaftredakteure zur Atomenergie. Manfred Lindinger argumentiert dafür mit dem Klimaschutz: "Denn der CO2-Fußabdruck der Kernenergie ist laut einer Studie des Weltklimarats aus dem Jahr 2018 ähnlich hoch wie der der Windkraft, nämlich rund zwölf Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde. Überzeugend ist auch die Effizienz: Aus einem Kilogramm spaltbares Uran-235 lassen sich rund acht Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen, während dieselbe Menge Steinkohle nur rund zweieinhalb Kilowattstunden Strom erbringt."

Joachim Müller-Jung hält dagegen: "Wer heute auf die Karte Atomkraft setzt, um die globale Klimakatastrophe einzudämmen, setzt nicht auf Fortschritt, Freiheit oder Markteffizienz, sondern plädiert für das genaue Gegenteil. Atomenergie ist rückwärtsgedacht, zentralistisch und ökonomisch ein Milliardengrab."
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Stichwörter: Klimaschutz

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.01.2023 - Wissenschaft

Grundsätzlich sinnvoll findet Felix Schwarz in der FAZ auch den Vorschlag des Klimaforschers Hans-Joachim Schelnnhuber, ein individuelles CO2-Budget von verträglichen drei Tonnen pro Jahr einzuführen, sieht aber kaum Realisierungschancen: "Das Problem: Der CO2-Verbrauch eines Deutschen lag 2021 bei durchschnittlich etwa acht Tonnen pro Jahr. Und im Durchschnitt steigt der CO2-Abdruck mit dem Einkommen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.01.2023 - Wissenschaft

Warum macht eigentlich heute jede kulturwissenschaftliche Strömung was Kritisches? Kritische Soziologe, kritische Weißseinsforschung, kritische Menstruationsforschung, kritische Migrationsforschung? Für Lucas Rudolph ist das reines Marketing. "Mainstream sind immer die anderen", spottet er in der Jungle World. "Der Konformismus des 21. Jahrhunderts heißt Selbstüberhöhung, und die ist am leichtesten zu haben, wenn man sich in Opposition zu übermächtigen Gegnern wähnt. Darum bauschen Dr. Hinz und Dr. Kunz ihre austauschbaren Lieblingstheoretiker zum dringend notwendigen und kritischen Korrektiv auf. Unter der Hand schwindet dabei Kritik, die den Namen verdient hätte. Auch das verrät schon die Selbstbezeichnung. Wer kritische Soziologie oder kritische Ökonomie betreibt, hat nämlich keine Kritik der Soziologie vor Augen und keine Kritik der Ökonomie. Stattdessen schielt man auf eine irgendwie andere, irgendwie linke und natürlich höchst innovative, also bessere Soziologie oder Ökonomie. Der kleine sprachliche Unterschied zwischen dem Substantiv 'Kritik' und dem Adjektiv 'kritisch' ist inhaltlich entscheidend: Eine Kritik der Naziphilosophie Heideggers ist etwas ganz anderes als eine kritische Heidegger-Lektüre. Das eine Mal kommt so etwas wie der 'Jargon der Eigentlichkeit' dabei heraus, das andere Mal der Poststrukturalismus."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.01.2023 - Wissenschaft

Es gibt eine intensive Kooperation deutscher Universitäten und Forschungsinstitute mit chinesischen Stellen, berichtet der Wissenschaftsjournalist Hinnerk Feldwisch-Drentrup in der FAZ. Diese Kooperationen würden zwar verstärkt auf den Prüfstand gestellt, aber teilweise lässt sich der miltärische oder repressive Charakter der Forschung nicht verbergen, so Feldwisch-Drentrup, der sich auf einen gerade veröffentlichten Bericht des US-Sicherheitsexperten Jeff Stoff bezieht: "Stoffs Bericht führt auch 450 problematische Artikel zum Maschinellen Sehen an. Kürzlich wurde etwa ein Artikel von Bernt Schiele, Direktor des Max-Planck-Instituts (MPI) für Informatik, veröffentlicht, bei dem es um die Identifizierung von Personen über mehrere Kameras hinweg geht - diese Technik sei für Überwachungssysteme wichtig, etwa zur Verfolgung von Personen und der Analyse ihrer Aktivitäten, so die Studie. Seine Partner: Forscher einer Universität in Schanghai, von der laut Experten Cyberangriffe ausgehen, und des chinesischen Digitalkonzerns Alibaba, der in vielen Städten Chinas eingesetzte Überwachungssysteme entwickelt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.12.2022 - Wissenschaft

Die Pandemie ist vorbei und jetzt eine Endemie, so sieht's zumindest im Augenblick aus, sagen Christian Drosten und andere Virologen bis hin zur WHO. Viele sind jetzt durch Impfungen geschützt, offen ist noch, ob das Coronavirus in China, wo die Ansteckungen Höchstraten erreichen, in eine neue gefährliche Variante mutiert. In einem "Thema des Tages" zeichnet Christina Berndt (SZ) noch einmal den Verlauf der jüngsten Welle nach, die glimpflicher ablief als befürchtet: "So klingt das Jahr 2022 pandemiemäßig recht beschaulich aus, jedenfalls gefühlt. Denn tatsächlich bringt das Virus immer noch viel Leid über das Land. Täglich sterben mehr als 100 Menschen direkt an Covid-19, viele weitere an den Folgen der Infektion wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Hinzu kommt Long Covid. Und auch die vielen Fälle anderer Infektionskrankheiten wie Influenza und RSV, die das Land im Dezember heimgesucht haben, könnten mit der Pandemie zu tun haben, sagt [die Immunologin] Christine Falk. Nicht nur, weil das Immunsystem wegen der Corona-Maßnahmen zwei Jahre lang kaum Begegnungen mit diesen Viren hatte und sich deshalb nicht mehr so gut an sie erinnert. 'Immer mehr Daten zeigen zudem, dass eine durchgemachte Infektion mit Sars-CoV-2 das Immunsystem lange beeinträchtigen kann. Man kann noch viele Monate danach eine geringere Immunkompetenz haben, das Immunsystem ist weniger schlagkräftig.'"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.12.2022 - Wissenschaft

Andrian Kreye hat für die SZ mit dem Chatbot Chat GPT über Wittgenstein geplaudert. Das war amüsant, aber beweist es Intelligenz? "Die Erklärung liefert Chat GPT gleich selbst. Auf die Frage, wie viele Parameter er selbst habe, weicht er höflich aus: 'Als Sprachmodell habe ich keine physischen Synapsen wie ein menschliches Gehirn. Ich existiere lediglich als eine Sammlung von Algorithmen und Daten, die es mir ermöglichen, Text zu verarbeiten und zu generieren.' Hätte man nicht besser formulieren könne. Uff."

Auf Zeit online möchte Eike Kühl festhalten, dass auch dieser Chatbot nicht wirklich intelligent ist, sondern ihm nur besonders viele Daten eingespeist wurden: "Tatsächlich gibt es gefühlt für jede beeindruckende Antwort von ChatGPT ein Beispiel für eine Antwort, mit der das System daneben liegt, mit teils lustigen Ergebnissen. Nicht nur scheint ChatGPT so seine Probleme mit Matheaufgaben und Grundschulrätseln zu haben, auch simple Fragen etwa nach dem größten mittelamerikanischen Land, das nicht Mexiko heißt, oder nach dem schnellsten Meeressäugetier kann das System nicht richtig beantworten. Es versucht dann lieber, den Wanderfalken, der zwar im Sturzflug das schnellste Tier der Welt, aber weder Meeres- noch Säugetier ist, als die richtige Antwort zu argumentieren." Das klingt nicht intelligent, aber sehr menschlich.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.12.2022 - Wissenschaft

Auch die Mathematik wird in Großbritannien jetzt postkolonial neu aufgestellt, berichtet Gina Thomas in der FAZ. Sie bezieht sich auf Richtlinien der Qualitätssicherungsagentur für Hochschulen (Quality Assurance Agency, QAA): "Die jüngsten Empfehlungen fordern eine von den Studenten mitbestimmte multikulturelle und entkolonialisierte Sicht auf die Fächer. Studenten müssten auf problematische Fragen in der Entwicklung der ihnen beigebrachten Inhalte aufmerksam gemacht werden, wie etwa darauf, dass Pioniere der Statistik die Rassenhygiene gefördert hätten und dass Mathematiker mit dem Sklavenhandel, dem Rassismus oder dem Nationalsozialismus verstrickt gewesen seien."
Stichwörter: Sklavenhandel, Rassismus

9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.11.2022 - Wissenschaft

Der amerikanische Historiker Timothy Snyder steht dafür in der Kritik, dass er als Botschafter einer Fundraising-Plattform um Spenden für das ukrainische Drohnenabwehrsystem "Shahed Hunter" wirbt (Unser Resümee). Auch für Michael Hesse in der FR stellt sich nicht nur deshalb die Frage, ob das, was Snyder macht, nun Wissenschaft oder Politik ist. "Im letzteren Fall würde man Snyders Publikationen deutlich anders bewerten müssen. Seine Aussage, dass die Russen einen Völkermord in der Ukraine planen, müsste in dem Fall als Aussage eines Ukraine-Aktivisten, aber nicht als ein ausgewogenes Urteil eines Wissenschaftlers angesehen werden."
Stichwörter: Snyder, Timothy