Judith Butler

Die Macht der Gewaltlosigkeit

Über das Ethische im Politischen
Cover: Die Macht der Gewaltlosigkeit
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518587553
Gebunden, 250 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Reiner Ansén. Gewaltlosigkeit wird häufig als eine Praxis der Passivität verstanden, welche die ethische Einstellung sanftmütiger Einzelpersonen gegenüber existierenden Formen von Macht reflektiert. Dieses Verständnis ist falsch, wie Judith Butler in ihrem neuen Buch darlegt. Denn Gewaltlosigkeit kann durchaus eine aktive, ja aggressive Form annehmen, zudem ist sie ebenso wenig wie die Gewalt eine Angelegenheit einzelner Individuen, sondern stets eingebettet in soziale und politische Zusammenhänge. Auch deshalb gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, wo die Grenze zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit verläuft sowie durch wen und wann Akte der Gewalt gerechtfertigt sind. Mit Foucault und Fanon arbeitet Butler die Widersprüche und exkludierenden Phantasmen heraus, die häufig am Werk sind, wenn Akte der Gewalt legitimiert oder verdammt werden. Und mit Freud und Benjamin macht sie deutlich, dass wir noch grundsätzlicher fragen müssen: Wer sind wir und in welcher Welt wollen wir leben? Butlers kraftvolle Antwort lautet: in einer Welt radikaler sozialer Gleichheit, die getragen ist von der Einsicht in die Abhängigkeiten und Verletzlichkeiten menschlicher Existenz. Diese Welt gilt es, gemeinsam im politischen Feld zu erkämpfen - gewaltlos und mit aller Macht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.01.2021

Rezensent Thomas Ribi hat bald raus, dass es Judith Butler nicht darum geht, das Prinzip der Gewaltlosigkeit in sozialen Bewegungen zu verfestigen. Butler ist nicht Gandhi, sie hält eine gewisse "Aggressivität" im Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Antiegalitärismus für durchaus notwendig und legitim, wie der Rezensent erklärt. Ihr geht es um etwas anderes, das der Rezensent nicht ganz dingfest machen kann, in dem er aber eine politische Ethik sieht, die sich vom Individualismus verabschiedet. Butler fordere eine "Perspektive radikaler Demokratie", in der jedes menschliche Leben gleichermaßen gewertschätzt werde. Die Gewalt, gegen die Butler hier anschreibe, erkennt Ribi in der Politik, mit der Europa und die USA versuchten, sich weiß und männlich zu halten.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 02.01.2021

Wie die Rezensentin Dorothea Dieckmann es von ihr gewohnt ist, legt Judith Butler in ihrer neuesten Publikation zunächst dar, wie ihr Thema, hier Gewalt, sprachlich konstruiert wird. Dann ruft die Autorin der Kritikerin zufolge zu einer zivilen Übereinkunft auf Gewaltlosigkeit auf, deren Möglichkeit sie in Auseinandersetzung mit Benjamin und Freud entwickelt. Dieser letzte Teil erscheint der Rezensentin gehetzt, unausgegoren und verzweifelt. Sie fragt sich, ob Butler angesichts der Katastrophen auf dem Mittelmeer, des Präsidenten Trump und dergleichen selbst an der Möglichkeit der Gewaltlosigkeit zweifelt. Lesenswert findet Dieckmann die Schrift dennoch.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.12.2020

Dem Rezensenten Micha Brumlik zufolge versucht Judith Butler hier, den Problemen einer Ethik der Gewaltlosigkeit - darf man zur Selbstverteidigung Gewalt anwenden? - zu entkommen, indem sie eine metaethische Ebene aufmacht: Sie reflektiere die Betrauerbarkeit, die ihr zufolge auch dem Feind zustehe, und komme damit zu einer Haltung, in der der Kritiker Nietzsches "Fernstenliebe" widergespiegelt sieht. Wenn Butler damit verkünden wolle, dass in einer Welt, in der alle ihre grundsätzliche Interdependenz erkannt haben, das Gewaltproblem ohnehin verschwinde, habe das schon etwas Messianisches, findet Brumlik.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 24.11.2020

Rezensent Günter Kaindlstorfer liest Judith Butlers Schrift "Die Macht der Gewaltlosigkeit" zusammen mit Elsa Dorlins "Selbstverteidigung". Während die französische Poststrukturalistin Militanz als legitimes Mittel im Kampf gegen Unterdrückung ansieht, plädiert Butler für unbedingte Gewaltfreiheit. Auch wenn sie vielleicht nicht ganz so streng in ihrer Definition von Gewalt ist, wie Kaindlstorfer informiert, so bleibt sie zumindest darin eisern, dass sich die Gewalt eines repressiven Regimes nicht unbedingt unterscheidet lässt von der Gewalt, mit der dieses bekämpft wird. Stattdessen setzt Butler auf "aggressive Gewaltlosigkeit", führt der Rezensent aus, der allerdings Butlers These bezweifelt, dass man mit "konfliktbereiter Friedfertigkeit" am weitesten kommt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.11.2020

Rezensent Gerald Wagner stellt klar, dass Judith Butler Buch nichts mit den Protestbewegungen zu tun hat, die sich gerade in Belarus oder Hongkong gegen repressive Systeme erheben. Ebenso wenig geht es ihr um Gewaltlosigkeit als politische Strategie. Butler geht es darum, die Gewaltlosigkeit als Machtmittel derer zu entlarven, die von einem repressiven System profitieren, erkennt Wagner und liest mit Erstaunen weiter, dass die Philosophin aus Berkeley damit vor allem die Durchschnittseuropäer meint, die Migranten von ihrem Kontinent fernhalten wollen, um ihn "weiß" zu halten. "Maßlos, wütend und extrem" erscheint Wagner, wie Butler hier alles als repressiven Rassismus brandmarkt, was nicht ihrer Utopie einer totalen Freizügigkeit und Gleichheit entspricht.
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