Maria Stepanova

Winterpoem

20/21
Cover: Winterpoem
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518225479
Gebunden, 119 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Der Ausbruch der Covid-Pandemie setzte im März 2020 einem Aufenthalt Maria Stepanovas im britischen Cambridge ein Ende. Zurück in Russland, verbrachte sie die folgenden Monate in einem Zustand der Erstarrung - die Welt hatte sich vor ihr zurückgezogen, die Zeit war "ertaubt". Als sie aus diesem Zustand auftauchte, begann sie Ovid zu lesen. Motive fanden zueinander, die lange in ihr gewartet hatten. Wie schon in Der Körper kehrt wieder verwandelt sie historische und aktuelle Kataklysmen in ein ungemein feingliedriges, bewegliches Gebilde aus Rhythmen und Stimmen. Das Poem, das in einer rauschhaften poetischen Inspiration entstand, spricht vom Winter und vom Krieg, von Verbannung und Exil, von sozialer Isolation und existentieller Verlassenheit. Stepanova findet grandiose Bilder für das Verstummen: wenn etwa Worte, die wir einander zurufen, in der Luft gefrieren und unser Gegenüber nicht mehr erreichen. Das Werk verwebt Liebesbriefe und Reiseberichte, chinesische Verse und dänische Märchen in eine vielstimmige Beschwörung der gefrorenen und langsam auftauenden Zeit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.06.2023

Rezensentin Marie Luise Knott bewundert "große Zartheit" und "rauschhafte Inspiration" in diesem Gedichtband der russischen Dichterin Maria Stepanova. Die Gedichte entstanden während des Lockdowns, den Stepanova auf ihrer verschneiten Datscha verbrachte, lesen wir, in einem Moment des Stillstands also. Einen "Hallraum" für die Erfahrung der Isolation fand die Lyrikerin in Ovids Gedichten aus der Verbannung, die sie als Zitat neben Texten von Puschkin und Mandelstam, und vielen anderen kunstvoll in ihre Lyrik einwebt, so die Kritikerin. Im zweiten Teil lässt die Dichterin die Stimmen mythologischer Frauenfiguren wie Penelope und Ariadne hörbar werden. Die Kritikerin hat ihre Freude daran, wie Stepanova Pathetisches in "koboldeskem Spiel" dekonstruiert und lobt darüber hinaus, wie Übersetzerin Olga Radetzkaja Stepanovas Sprache "mit enormer Kraft" ins Deutsche überträgt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.04.2023

Rezensent Helmut Böttiger bespricht das neue Buch von Maria Stepanova vor dem Hintergrund ihrer Ehrung mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, die der Kritiker nur begrüßt. Denn Stepanovas Stimme eines "nichtimperialen Russlands" tritt für ihn nach ihrem Erfolgsroman "Nach dem Gedächtnis" auch deutlich aus ihrem neuen Buch hervor: dem "Winterpoem", verfasst noch vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine, in dem die Autorin das alte russische Motiv des Winters aufrufe, dann aber zu einem ewigen, lähmenden historischen Zustand ausweite. Wie Stepanova dabei auf kaum 100 Seiten (sogar in zweisprachiger Version) in jeder Zeile historische und literarische Tiefenschichten freizulegen vermöge, beeindruckt den Kritiker. So findet er in Stepanovas lyrisch anmutenden Ausführungen "Politisches und Existenzielles", Verweise auf E.T.A. Hoffmann, Ovid oder Ossip Mandelstam und eine "starke sinnliche Prägnanz", in deren Freiräumen sich ein Einspruch gegen die Übermacht Russlands finde. Auch die Sprachsensibilität der Übersetzerin Olga Radetzkaja lobt Böttiger.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.04.2023

Noch nie hat Rezensentin Ilma Rakusa so "berührend und hellsichtig" über die Zeit der Pandemie gelesen, wie in diesem Gedichtband der russischen Autorin Maria Stepanova. Um dem gesellschaftlichen und dem eigenen Zustand der Erstarrung zu entgehen, greift die Autorin während des Lockdowns, den sie auf ihrer Datscha in Schnee und Kälte verbringt, zu den Werken des Ovid, berichtet die Rezensentin. Wenn sie unter anderem den römischen Dichter sowie die Frauen seiner "Heroides", aber auch Puschkin oder Hans-Christian Andersen, nun in ihrer Lyrik zu Wort kommen lässt, dann bringt Stepanova römische Historie mit der politischen Gegenwart zusammen, so Rakusa. Als wahre "Zauberin des Wortes" schafft sie es, nicht nur sprachlich originell und auf höchstem Niveau, die unterschiedlichsten Stimmen literarischer Größen in ihrer Lyrik zu vereinen, bewundert Rakusa. Sie kreiert auch, weit ab von "Bekenntnislyrik", eine Sicht auf die Pandemie und Putins völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die im Nachhinein eine "visionäre Kraft" entwickelt. Mit Bravour hat auch die Übersetzerin Olga Radetzkaja diese Herausforderung gemeistert, so die Kritikerin.