Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2023

Hier das Solide, da die verwegenen Stimmen

28.02.2023. Der Tagesspiegel wüsste gern, wie im Berlinale-Wettbewerb wieder das Kino von morgen laufen könnte. Artechock sorgt sich um den deutschen Film. Die taz porträtiert die ukrainische Modedesignerin Kristina Bobkova. In der NZZ beklagt der ukrainische Kunstkurator Konstantin Akinsha Ignoranz und Duckmäusertum westlicher Museen. ZeitOnline entdeckt mit Algier den Soundtrack zu den Krisen der Gegenwart.

Bewacht der Eichelhäher den Schrank?

27.02.2023. Sehr unzufrieden bilanzieren die Filmkritiker den Wettbewerb der Berlinale: "Zusammengewürfelt", nennt ihn der Standard, "glanzlos und enttäuschend", der Tagesspiegel. Den Goldenen Bären für Nicolas Philiberts Dokumentation "Sur L'Adamant" werten sie als Beleg, dass unter den Spielfilmen einfach keiner herausragte. Außerdem: Nachtkritik und FAZ erinnern sich leicht beschämt mit Rainald Goetz' "Johann Holtrop" am Kölner Schauspiel an die Jahre der New Economy. Die FR feiert die Wiederentdeckung von Georges Bizets Oper "Ivan IV." am Meininger Staatstheater. Hyperallergic sucht den Unsinn in den Bildern Trevor Winkfields

So viel Uneingelöstes

25.02.2023. Die Berlinale ist vorbei. Nach der FAZ gestern kann sich nur der Tagesspiegel zu einem Resümee aufraffen: Große filmische Erfahrungen hat er nicht machen können. Immerhin: im "symbolisch-politischen Bereich" war man "auf Höhe einer äußerst schwierigen Weltlage", lobt die taz. Zwei sehr lesenswerte Theatertexte heute: Die FAS besucht in München die Proben zu einem Theaterstück über den Genozid an den Jesiden. In der nachtkritik erzählt Regisseurin Anastasiia Kosodii von ihrer Theaterarbeit in der Ukraine. Die SZ fragt sich, wie Pink zur Farbe der Saison werden konnte. Monopol bewundert den Postkolonialismus der 15. Biennale im Emirat Schardscha, hätte aber auch gern etwas über die Arbeitsbedingungen von Migranten in den Emiraten gelernt.

Gott in Kätzchengestalt

24.02.2023. Morgen abend endet die Berlinale. Die FAZ ist nicht glücklich: sie sah nur ein Kunterbunt des Mittelmäßigen. Die taz unterhält sich mit der ukrainischen Regisseurin Alisa Kovalenko über ihre Filmdoku "My ne zgasnemo" und über ihren Fronteinsatz. Die SZ freut sich über die Wiederauferstehung von Rainald Goetz in Berlin, der neuerdings Verhaltenslehren der Wärme predigt. Der Tagesspiegel geht "Chez Icke", wo man die schönsten Kneipenfotos bewundern kann.

Wer braucht schon Schärfe

23.02.2023. Ein Sommernachtstraum! Die Filmkritiker feiern auf der Berlinale Christian Petzolds Wettbewerbsfilm "Roter Himmel". Der Tagesspiegel lobt die cézannehafte Unschärfe von Hong Sang-Soos Film "In Water". Die FR betrachtet im Städel Museum ein sehr stilles Italien. Monopol fröstelt bei der Vorstellung, in der saudischen Stadt "The Line" zu leben. In der nachtkritik packen Apiyo Amolo und Thomas Schmidt bedauernd ihre Toolbox für das Zürcher Schauspielhaus ein. Die neue musikzeitung warnt: Wenn der ORF sich aus der Finanzierung des RSO Wiens zurückzieht, verzichtet er auf sein musikalisches Lebenselexier.

Die Liebe zu Licht und Schatten

22.02.2023. Auf der Berlinale lief Angela Schanelecs Film "Music". Die FR feiert größte Filmkunst, aber ihr elliptisches Kino stößt auch auf Vorbehalte. In der FAZ rekonstruiert der litauische Schriftsteller Marius Ivaškevičius die Ermordung des Filmemachers  Mantas Kvedaravičius durch russische Soldaten. Standard und Tagesspiegel diskutieren die Glättung von Roald Dahls Geschichten: Liegt's an politischer Logik oder dem Markt? Bei den Händel-Festpielen in Karlsruhe genießt die FR barocke Leidenschaft. Die SZ schwärmt von Brad Mehldaus neuem Album "Your Mother Should Know".

Die Moral-Domestizierung der Kunst

21.02.2023. Roald Dahls Bücher werden von Sensitivity Readern durchkämmt. Absurde Zensur, findet Salman Rushdie auf Twitter. Die SZ staunt: Hexen können gar nicht durch Haareausreißen erkannt werden? FR und Tagesspiegel lauschen hingerissen Vera-Lotte Boeckers golden glänzendem Sopran in Richard Strauss' "Daphne". Die SZ findet den Berlinale-Wettbewerb ziemlich toll.  Im Standard spricht Architekt David Chipperfield über seine innere grüne Wende.

Die Zähigkeit all dieser Menschen

20.02.2023.  Auf der Berlinale stört Sean Penn mit seiner Ukraine-Doku "Superpower" die Kritiker auf. Die FAZ zieht ein erstes Zwischenfazit des Wettbewerbs und erkennt auf ziellosen ästhetischen Ehrgeiz. In der FAS erinnert die ukrainische Schriftstellerin Iryna Tsilyk ihren Sohn daran, dass es nicht normal ist, keine Angst vor Bomben zu haben. Die FAZ stellt sich im Museum Frieder Burda Louisa Clements Maschinenfrauen. Die FR lauscht im Staatstheater Wiesbaden den Klängen zum Ende der Welt à la Margaret Atwood.

Irgendetwas ist immer am Klöppeln

18.02.2023. Auf der Berlinale erzählt Regisseurin Steffi Niederzoll der taz, wie es kam, dass ausgerechnet sie eine Doku über die in Teheran hingerichtete Studentin Reyhaneh Jabbari drehen konnte. Die Berliner Zeitung lernt aus Sepideh Farsis Animationsfilm "La Sirène" (Panorama), dass selbst der Krieg manchmal schön aussehen kann. Die SZ sieht den Frühling auf der Bühne - in Gestalt der Sopranistin Vera-Lotte Boecker als "Daphne". Die taz porträtiert das koreanische Duo Salamanda als Alternative zum K-Pop.

Geprüft und geprüft und nochmals geprüft

17.02.2023. Die Filmkritiker winden sich bei Rebecca Millers Berlinale-Auftaktfilm "She Came to Me". Die Zeitungen diskutieren über Claudia Roths Reform der Filmförderung: Die FAZ ist jetzt schon gespannt auf diverse Filme über Clanmafias in Neukölln, die ohne sexistische Sprüche und Verbrenner-Karren auskommen. Die SZ stellt sich in Paris in die Schlange, um ein von Yayoi Kusama gestaltetes Louis-Vuitton-Kofferset für 51.500 Euro zu bewundern. In der taz erzählt die Schriftstellerin Sarah Elena Müller von sexuellen Übergriffen in der linksalternativen Szene. Und ZeitOnline flaniert dank Deichkind mit Kim Jong Un durch den Stadtpark.

Gewimmel der Flachbauten

16.02.2023. Die Volksbühne soll wieder besetzt werden, die Welt zuckt die Schultern: Eine Idee für ein neues Theater haben weder Pollesch noch die Besetzer. Das Zeit Magazin freut sich schon auf "cooltivierte" Louis-Vuitton-Daunenjacken von Pharrell Williams. In der taz erklärt Kuratorin Julia Meer, warum das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe mehr Guerilla Girls braucht. Die Filmkritiker versuchen sich trotz Baustellenslaloms für die Berlinale zu begeistern.

Gestritten wird eh

15.02.2023. Der Guardian stellt die Künstlerin Alice Neel vor, die Kritiker einfach sexy fand. Die FAZ berichtet von den ideologischen Säuberungen in Russlands Museen. Die NZZ ist froh, dass sie von einigen Regisseuren nur manipuliert und nicht mit Elektroschocks behandelt wird. In der Welt bewundert Alexander Kluge, wie Friederike Mayröcker die Revolte der Wörter anführte. In ZeitOnline fordern die Schauspielerinnen Gesine Cukrowski, Jasmin Tabatabai und Ruth Reinecke neue Rollenbilder für Frauen über 50.  Im Tagesspiegel empfiehlt Farangies Ghafoor den BerlinerInnen, zur Aufpeppung ihres Kleidungstils den Besuch einer afghanischen Hochzeit.

Gut besprochen, vorgestellt und bejubelt

14.02.2023. Nach der Hundekot-Attacke auf eine FAZ-Kritikerin ist Hannovers Ballettchef Marco Goecke erst einmal suspendiert. Die SZ fragt, woher die Verachtung der Kunst für die Kritik rührt: Liegt es an der Schwäche des Gegners? Der Standard vermutet eher das schlechte Gewissen des reichen Vetters. Die taz bedauert das Ende eines Choreografen, dessen Arbeit immer gut und manchmal sensationell war. NZZ und FAZ schwärmen außerdem von der unglaublichen Klangsinnlichkeit der Pianistin Martha Argerich, die Luzern mit einem ihrer seltenen Konzerte beglückte.

In dieser internen Personalsache

13.02.2023. In Hannover sorgt Ballettchef Marco Goecke für einen riesigen Eklat: Er bewirft die Kritikerin Wiebke Hüster vor einer Premiere mit Hundekot. Die FAZ ist außer sich vor Wut, die Staatsoper versichert, ein Ort des respektvollen Miteinanders und Austauschs zu sein. Die taz sucht lieber Humor und Schönheit in der Architektur Aldo Rossis. Der Standard huldigt schreibenden Brüdern, die nicht voneinander loskamen. Die Filmkritik trauert um den spanischen Regisseur Carlos Saura. Die FAS erklärt den unwahrscheinlichen Erfolg des Festivals von Sanremo.

Unsere derzeitigen deutschen Debatten

11.02.2023. In der FAZ wünscht sich Art Spiegelman mehr Krawall im New Yorker. Annie Ernaux hätte in der SZ hingegen gern mehr Ruhe. Der Tagesspiegel schaut in der Zitadelle Spandau erschüttert auf Häute von Kriegsgefangenen und Narben in Großaufnahme. artechock ärgert sich über die Auswahl der Berlinale: Mindestens Dominik Grafs schmerzhaft schöner Film "Jeder schreibt für sich allein" hätte in den Wettbewerb gehört. Die SZ rät: Einfach keine Konzerte von Roger Waters mehr besuchen.

Regulatorische Guillotine

10.02.2023. Der Guardian schwelgt in der White Chapel Gallery in den Farben und Emotionen der abstrakten Expressionistinnen. Der Tagesspiegel will den Streit um das frühere Al-Qaida- und Taliban-Mitglied Mohamedou Ould Slahi Houbeini als Leiter des African Book Festivals ins Programm integriert sehen. Die FAZ wirft einen Blick auf die russischsprachige Literatur in Zeiten des Krieges. Die Musikkritiker trauern um Burt Bacharach, dessen unendlich komplizierte und kühne Songs die FAZ feiert.

Radikal schöne Idee

09.02.2023. Die NZZ bestaunt die "Milles Arbres", mit denen der japanische Architekt Sou Fujimoto den Périphérique in Paris überbauen möchte. Gustavo Dudamel ist der neue Chef der New Yorker Philharmoniker: Die Welt winkt ab, alles nur Diversity-Opportunismus. Dunkle Liebesmystik durchlebt die FAZ mit Dominik Grafs Film "Gesicht der Erinnerung". Standard, Zeit und SZ sind hingerissen von der Ereignislosigkeit in den Bildern Vermeers. Warum ein Comic für einen Hedgefond plötzlich Millionen wert ist, erklärt in der SZ der Comichistoriker Alexander Braun.

Immer miteinander verbunden

08.02.2023. Die Expertenkommission legt ihren Bericht zum Antisemitismus auf der Documenta fifteen vor: Die Feuilletons sehen schön sortiert, wie viel Ignoranz, Verharmlosung und Abwehr am Werk und wie bedenklich das Kollektiv-Prinzip war. Auch, dass Handeln eine gedankliche Grundlage braucht, hält das Gremium fest. Der Guardian delektiert sich an Vermeers sublimen Alltagsszenen. Welt und Tagesspiegel bewundern Sarah Polleys Drama "Die Aussprache" über Missbrauch und Emanzipation in einer Mennoniten-Gemeinde.

Messerscharf exekutiert

07.02.2023. Im Tagesspiegel wehrt sich Carlo Chatrian gegen Vorwürfe, mit fünf deutschen Filmen im Wettbewerb die Berlinale zu einem regionalen Schaufenster zu machen. FAZ und NZZ jubeln über Inga Kalnas und Stephen Costello in einer Zürcher Inszenierung von Donizettis Tudor-Oper "Roberto Devereux.  SZ und Nachtkritik können sich nicht wirklich darüber empören, dass Zürich die Intendanten Stemann und Blomberg ziehen lässt. Die taz fragt, ob Kunsthäuser mit dem Emirat Schardscha kopperieren sollten. Außerdem: Grammyregen für Beyoncé und Harry Styles.

Kein Sex, aber viel Essen

06.02.2023. Im Standard entdeckt Clemens J. Setz im parallelen Denken Poesie und Messiness. Die taz entdeckt die Künstlerin Margaret Raspé, die einst das dumme Huhn in sich tötete. In der SZ glaubt der Dramaturg Roland Zag nicht, dass eine Reform der Förderung den deutsche Film poetischer oder radikaler machen wird. Der Tagesspiegel stellt fest, dass Berlin literarisch unattraktiv geworden ist. Die FAZ mischt sich bei der Hamburger Biennale für Neue Musik unter das endlich wieder junge Publikum. Und alle trauern um den Theatermacher Jürgen Flimm.

Diesen Ort gibt es nirgendwo sonst

04.02.2023. Die gute Nachricht des Tages: Jafar Panahi wurde gegen Kaution freigelassen. In der FAZ erklärt Karl Ove Knausgård, warum der Roman wichtig ist: Er betrachtet die Welt von innen. Die Welt hat erst einmal genug von Schamexzessen in der Literatur. In der FAS wünscht sich Virginie Despentes mehr Sanftheit und Zärtlichkeit. Der Tagesspiegel trifft in München auf Killertulpen. Und die NZZ lernt auf der Fotobiennale in Bamako, wie sich Mali selbst dekolonialisiert.

Sinnlose Streifzüge durch Schwabing

03.02.2023. FAZ und FR lernen in der Frankfurter Schirn, dass Niki de Saint Phalle nicht nur poppig war, sondern auch eine große, politisch denkende Künstlerin. Im Kunstforum Wien kann man ähnliches bei Kiki Kogelnik entdecken, die lange als Spaßmacherin galt, versichert der Standard. Die SZ plädiert im Namen der Kunstfreiheit auf zwei Seiten dafür, endlich Maxim Billers Roman "Esra" lesen zu dürfen. Die FR berichtet vom Hungerstreik Jafar Panahis, der immer noch im Gefängnis sitzt, obwohl das Urteil gegen ihn verjährt ist.

Paradiesische Rottöne

02.02.2023. Die SZ berauscht sich an der tahitischen Phantasmagorie, die Albert Serra in seinem Film "Pacifiction" ausmalt. Die NZZ bewundert in einer Berner Ausstellung die Alterswildheit Joan Mirós. Und sie stellt fest: Der Rollkragenpullover erlebt ein Comeback bis in die höchsten Führungsebenen. Die FAZ hört dreieinhalb Stunden Prokofjews Monumentaloper "Krieg und Frieden" in Budapest. Ein hingerissener Tagesspiegel durchwandert mit Davide Ferrarios Dokumentation "La Bibliotheca del Mondo" die Bibliothek Umberto Ecos. Van wüsste gern von den Berliner Philharmonikern, ob sie wirklich keine einzige Komponistin aus den 50er- und 60er Jahren kennen?

Seelenwelt in Flammen

01.02.2023. Tagesspiegel und epdFilm feiern Park Chan-wooks sinnlich-lyrisches Kriminaldrama "Die Frau im Nebel". Der Standard freut sich im Kunstforum Wien über Kiki Kogelniks feministische, aber quietschbunte Ästhetik. Die FAZ erinnert an den Fall des Burgschauspielers Alfred Lohner, dessen Pädophilie noch den missbrauchten Mädchen als Massenpsychose angekreidet wurde. SZ und Welt melden, dass der 34-jährige Lahav Shani neuer Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker werden soll.