Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2023

Da thront sie im Goldkostüm

31.01.2023. Die NZZ lässt sich von Peter Knapps Fotografien an die Zeit erinnern, als junge Mode noch den Alltag und Zukunft gestalten wollte. Die Nachtkritik feiert die Lebendigkeit des polnischen Theaters, das sich allen Tabus und politischen Widerständen widersetzt. Die taz bewundert, wie die ukrainische Bildhauerin Zhanna Kadyrova die Schrecken des Krieges bändigt. Die FAZ erkennt das klare Süd-Nord-Gefälle in guter Architektur. Die SZ huldigt der Saxofon-Königin Lakecia Benjamin. Eher gähnen muss die FR über einen im Netz aufgetauchten Porno mit Michel Houellebecq.

Mit glazialer Geschwindigkeit

30.01.2023. Die taz fragt in der Debatte um Florian Teichtmeister, was in der Kunst über Glaubwürdigkeit entscheidet: Die Hierarchie oder das Marketing? Die FAZ berichtet vom Comicfestival in Angoulême, bei dem der Skandal um den Comic-Autor Bastien Vivès tobt, dem die Verharmlosung von Kinderpornografie vorgeworfen wird. Der Tagesspiegel freut sich, dass mit Max Gleschinskis "Alaska" der eigenwilligste Film den Max-Ophüls-Preis gewinnt. Als fahrendes Kunstwerk bewundert die NZZ den Bugatti 57 Atalante. Und alle trauern um Tom Verlaine, den Gitarristen und Sänger von Television.

Rettende Popmusik

28.01.2023. Die FAZ verneigt sich vor der Kunst des Fotografen Erwin Blumenfeld. Die taz weint beim Hören von Robert Forsters neuem Album "The Candle and the Flame". Filmfilter untersucht am Beispiel der Amazon-Serie "German Crime Story: Gefesselt", was das True-Crime-Genre im Guten wie im Schlechten zu leisten vermag. Die Kulturwissenschaftlerin Anne-Sophie Balzer erzählt in einem literarischen taz-Essay von ihrer Reise zu den norwegischen Gletschern.

Phrasensalat mit Politfloskelsoße

27.01.2023. Beim Berliner Theatertreffen soll - außer Theater - viel los sein: Es geht um Green, Diversity, Solidarity, Network, Exchange, Herstory, Transfeminist. Die SZ wüsste gern, was die neue kollektive Leitung für diese Themen qualifiziert. Und die Welt versteht nicht, warum noch das Essen gehen von Theaterleuten zum Prozess für transnationale Solidarität aufgepumpt werden muss. Ist doch innovativ, freut sich der Tagesspiegel. Die FAZ erlebt eine furiose Zweieinhalbstundenirrfahrt durch postsowjetische Bewusstseinslabyrinthe mit Kirill Serebrennikows Film "Petrow hat Fieber". Das Zeit-Magazin schwärmt von den Vorzügen des Kaktusleders. Die SZ hört roten Voodoo von Bob Dylan.

Instabile Übergangszonen

26.01.2023. Die FR empfiehlt Lukas Dhonts Filmdrama "Close" als Meisterwerk des Coming-of-Age-Films. In der Zeit verabschieden der Philosoph Markus Gabriel und der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich ohne großes Bedauern die Autonomie der Kunst - jedenfalls wenn sie "unhöflich" oder "moralisch verwerflich" ist. Auf Zeit online ermuntert uns der Autor Jan Brandt, den Schriftsteller Paul La Farge zu entdecken, der leider gerade gestorben ist. Der Tagesspiegel sieht keinen Grund, den Dirigenten Teodor Currentzis nicht zu feiern, nur weil er sich nicht von Putin distanziert. Anna Netrebko hat in Wiesbaden weniger Glück, berichtet die NZZ.

Das Gelb und Gold ihres Mieders

25.01.2023. Die SZ begleitet Niklas Frank nach Turin zur Abrechnung mit seinem verbrecherischen Vater Hans Frank und dem opportunistischen Richard Strauss. Der Observer geht vor der Herzogin von Alba auf die Knie. Die Feuilletons nehmen erstaunt die Oscar-Nominierungen von Edward Bergers Kriegsfilm "Im Westen nichts Neues" zur Kenntnis. Die FAZ gibt Marie Creutzers Film "Corsage" nach den Enthüllungen um Florian Teichtmeister verloren - so leid es ihr tut. Der Standard hört Speed Songs.

Notorische Posaunenglissandi

24.01.2023. Carlo Chatrian hat sein Programm für den Berlinale-Wettbewerb vorgestellt, darunter auch rekordverdächtige fünf deutsche Filme. Das von ihm versprochene Kino der Poesie könnte die Berlinale zu einem Liebhaber-Festival machen, hofft Intellectures. Die FR lauscht berührt Vito Žurajs in Frankfurt uraufgeführter Oper "Blühen" mit einem Libretto von Händl Klaus. Feuer weitergeben, nicht Asche anbeten, lernt die FAZ von Boris Charmatz' Tanztheater in Wuppertal. Die SZ erinnert Bauministerin Klara Geywitz an die leider nicht wegweisenden Baukastensysteme von Walter Gropius und Richard Buckminster Fuller.

Der letzte Skandal

23.01.2023. Die taz fragt, was aus dem einstigen Dschihadisten und zu unrecht inhaftierten Guantanamo-Häftling Mohamedou Ould Slahi Houbeini einen guten Leiter für das African Book Festival machen könnte. In der SZ erklärt Marie Creutzer, warum sie nicht bereit ist, sich von Florian Teichtmeister ihren Film ruinieren zu lassen. SZ und FAZ setzt sich auf dem Berliner UltraSchall-Festival stürmischen Klangexperimenten aus. Und die FAZ tröstet sich mit dem letzten Skandal, der einer politischen Kunst noch bleibt.

Es wird big

21.01.2023. Die Leerräumung der Museen in Cherson durch die russischen Besatzer ist auch der Versuch, russische Imperialgeschichte wiederzubeleben, vermutet der Standard. Die FAZ blickt derweil fassungslos auf Hochglanz-Kitsch im russischen Wagner-Zentrum. Auf den Plätzen von Kirchen, Kinos und Bankfilialen in Großstädten könnten bald Handwerkerhöfe und vertikale Farmen stehen, glaubt die SZ. Die FAS hat die Nase voll von den Seilschaften im Branchenverband Deutsche Filmakademie. Und alle trauern um David Crosby, den unausstehlichen Waffennarr mit der engelhaften Stimme, wie die SZ schreibt.

Der Skandal einer liberalen Ordnung

20.01.2023. In der SZ erklärt der Verfassungsrechtler Christoph Möllers: Die Kunst - auch die staatlich finanzierte - ist frei, selbst wenn sie rassistisch oder antisemitisch ist. Die Kritik daran muss sie dann aber auch aushalten. Die taz hört eine Compilation mit Gospels und lernt, dass diese Musik nicht nur vom Leiden, sondern auch vom Kämpfen handelt. Die Welt fragt, warum Amazon mit der "German Crime Story: Gefesselt" die Opfer des Frauenmörders Lutz Reinstrom erneut erniedrigen muss. Die SZ porträtiert den Mangaka Juko Matsudo, der mit einem Duell zwischen ukrainischen und russischen Fliegern plötzlich zu Ruhm gelangte.

Rendezvous von Arbeitsproben

19.01.2023. SZ, FAZ und taz beobachten in der Doku "Das Hamlet-Syndrom" beeindruckt, wie es fünf ukrainische Schauspieler fast zerreißt, die im letzten Sommer vor dem russischen Einmarsch "Hamlet" proben. Die FAZ badet in Kopenhagen im Venezianischrot von Matisses "L'Atelier rouge". Die taz freut sich über Blumen auf dem Tarnmuster des ukrainischen Designers Jean Gritsfeld. Im Dlf Kultur spricht die ukrainische Autorin Victoria Belim über die Sowjetnostalgie in ihrer Familie.

Die Luftschlangen in den vollgepackten Ballsälen

18.01.2023. Die New York Times berichtet detailliert von den Verhandlungen über eine Rückgabe des Parthenon-Frieses. Als exzessiven Rausch zelebriert Damien Chazelle mit "Babylon" die letzten Tage des Stummfilmkinos in Hollywood, der Tagesspiegel, FAZ und SZ erleben, wie Kinomagie aus Schweiß, Blut und Drogen gemacht wird. Die FR begibt sich mit Mischa Kuball ins Nolde-Labor. ZeitOnline lauscht bewegt der Melancholie auf Ryuichi Sakamotos neuem Album "12".

Jung, schlank, viril

17.01.2023. In der FAZ sucht Sasha Andrusyk die richtige musikalische Geste angesichts von Luftalarm und Drohnen-Geheul. Die SZ feiert Ewa Marciniaks witzig-ironische "Walküre" in Bern mit einem Wotan zum Niederknien. Der Tagesspiegel ist schon im Nan-Goldin-Fieber. Die taz erzählt eine bittere Poose um Emin Alpers Filmdrama "Kurak Dünler". Alle nehmen Abschied von der umwerfenden Gina Lollobrigida, die ZeitOnline allerdings zu sinnlich war. Aber wer war noch mal der erfolgreichste Popstar der letzten Jahre?

Ein Lesen wie ein Singen

16.01.2023. Auf ZeitOnline erklärt Bret Easton Ellis, wie cool er einst die Gefühlstaubheit verwöhnter Slacker in Los Angeles fand. Einen Hauch von Nihilismus spürt die Nachtkritik in Stefan Böschs Stuttgarter Inszenierung von Schillers "Don Karlos". Die FAZ besichtigt den Novartis-Campus von Basel, mit dem Vittorio Magnano Lampugnani die Ideale der europäischen Renaissance-Stadt wiederbelebte. Außerdem ärgert sich die FAZ, dass das Forum der Berlinale nicht Hans-Jürgen Syberbergs "Demminer Gesänge" zeigen will.

Sanft versinkt der Stoff

14.01.2023. Die taz spürt in einer Ausstellung der knarzenden Verbindungen zwischen Musik, Bildender Kunst, Feldaufnahmen und Lautpoesie nach. Christoph Hein besucht für die FAZ einen Indigo-Färber auf Bali. Es gibt nur eine Primadonna assoluta der Oper und die heißt Maria Callas, darauf besteht die Welt. Der Standard empfiehlt eine Wiener Filmreihe, die Pasolinis Werk um ein kulturelles Umfeld ergänzt.

Predigt im Discoambiente

13.01.2023. Der Standard versteht nicht, warum die Theater unter Publikumsschwund leiden. Sind vielleicht polemische Kritiken daran schuld? Die Welt sekundiert: Bevor man das Theater kritisiert, muss man erst mal hingehen. Die SZ überlegt, ob deutsche Literatur sich im Ausland zu schlecht vermarktet. Die NZZ fragt, ob wirklich ausgerechnet Norman Foster den Wiederaufbau Charkiws planen sollte. Die Musikkritiker trauern um den Gitarristen Jeff Beck, die Modewelt um das Model Tatjana Patitz.

Zuckerrohr, Melone und Mispel

12.01.2023. Der Standard würdigt das Dilemma des schwarzen Moderators Jerrod Carmichael als Diversity-Aushängeschild die nach wie vor sehr weißen Golden Globes zu präsentieren. Und Frauen wurden mal wieder nur als Darstellerinnen gewürdigt, ärgert sich der Tagesspiegel, der dafür mit großer Begeisterung die in Leipzig geborene mexikanische Malerin Olga Costa vorstellt. Die NZZ porträtiert die spanisch-schweizerische Choreografin La Ribot, die mit zeitgenössischem Tanz verschreckt.

Prequel zur Gegenwart

11.01.2023. Monopol erinnert an die Vision Oscar Niemeyers, der Brasilias Regierungsbauten Offenheit und Freiheit einbaute.  Beklommen nehmen FAZ und SZ zu Ali Abbasis Film "Holy Spider" auf: Er erzählt von einem Serienmörder, der im Namen Allahs 16 Frauen ermordete. Die FAZ berichtet, dass Hito Steyerl lieber den Hugo-Ball-Preis lieber nicht feierlich verliehen bekommen möchte, sondern diskutieren. SZ und NZZ trauern um den Dichter Charles Simic, der selbst durch Ruinen und Brandmauern mit sanfter Ironie flanierte.

Der Flow der versierten Jazzer

10.01.2023. Die taz lernt von Ali Asgaris Film "Ta Farda", dass die Proteste im Iran auch ein Kampf von Arm gegen Reich sind. Die Welt glaubt nicht mehr an die Golden Globes, die morgen vergeben werden. Das ND hört mit angehaltenem Atem zu, wenn das Jazzquartett SDLW auf die Reise geht. Dem Tagesspiegel läuft es bei Robert Wilsons "Dorian" Inszenierung mit Christian Friedel in Dresden kalt den Rücken runter. Monopol reist mit dem österreichischen Fotografen Gregor Sailer in die Arktis.

Das Klavier wird zum Anstifter

09.01.2023. Auf ZeitOnline opponiert der Literaturwissenschaftler Peter Brooks gegen die Storifizierung der Realität. Die FAS lässt sich von Grigory Semenchuk die Liebe der jungen Ukrainer zur Lyrik erklären. Der Standard rollt die Augen über die bäuerlichen Idyllen, die jetzt in Warschaus Kunstgalerie Zachęta gezeigt werden. Nachtkritik und Berliner Zeitung erleben mit Showcase Beat Le Mot Schönheit und Dramatik des Fallens. Die Berliner Zeitung hängt für Daniel Barenboim und Martha Argerich die Decke hoch.

Müssen es halt alle lesen

07.01.2023. Daniel Barenboim gibt nach dreißig Jahren sein Amt als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper auf und die Zeitungen fragen in erster Linie: Wer soll jetzt kommen? Der Tagesspiegel wirft Klaus Lederer Fahrlässigkeit bei der Zukunftsgestaltung vor. In Le Point relativiert Michel Houellebecq nach der Anzeige seine Aussagen: Ein "freches Manöver", meint die SZ. Die FAZ blickt in Maastricht mit Hrair Sarkissian auf öffentliche Plätze in syrischen Städten, auf denen das Regime Menschen hinrichtete. In der taz spricht der iranisch-dänische Regisseur Ali Abbasi über seinen Persian Noir "Holy Spider".

Peng!, knallt die Guillotine

06.01.2023. Die taz staunt, wie Iggy Pop sich auch heute noch im amorphen Bereich zwischen Aggression und Komik durchschlägt. Eher zwischen Aggression und Zärtlichkeit verortet Monopol das Werk des finnischen Künstlers Markus Copper. Die NZZ verzweifelt beim Blick auf die Jahresbestsellerlisten: populärer Realismus und moralische Erpressungsversuche, wohin das Auge blickt. Der Tagesspiegel würdigt die iranische Schauspielerin Taraneh Alidoosti, die im Gefängnis saß, weil sie sich ohne Kopftuch zeigte.

Verschwörung der Sanftmut

05.01.2023. Die Zeit porträtiert den russischen Dichter Artyom Kamardin, der bei einer Lesung "Ehre der Kiewer Rus! Neurussland - fick dich" gerufen hat und deshalb vergewaltigt und inhaftiert wurde. Die Filmkritiker bewundern Mikhaël Hers' positive Emanzipationsgeschichte "Passagiere der Nacht". Monopol feiert iranische Rebellinnen, deren Porträts und Geschichten Soheila Sokhanvari im Londoner Barbican Centre zeigt. Die FAZ quält sich in Münster durch eine "Elektra" in SS-Uniform.

Ein von oben kommendes Pochen

04.01.2023. Der Tagesspiegel erkennt im inzwischen berüchtigten Gespräch zwischen Michel Onfray und Michel Houellebecq auch ein Ringen mit der eigenen Lüsternheit. Dass gegen Houellebecq jetzt Strafanzeige gestellt wurde, findet die FAZ nicht abwegig. Im Filmdienst erklärt Daniel Kothenschulte, warum die Filmförderung nicht nur künstlerisch dem deutschen Kino schadet, sondern auch kommerziell. Die FR genießt in der Bonner Bundeskunsthalle die Oper als aristokratisches, glamouröses und bizarres Spektakel. Die taz bietet im Kunstmuseum Krefeld poetischen Klangmonstern die Stirn.

Diese trockene Fußarbeit

03.01.2023. Die NZZ fragt sich, ob das Kino dem Journalismus nicht einen Bärendienst erweist, wenn es ihn weiterhin zur Supermacht der Aufklärung stilisiert. Die taz fürchtet, dass die Theater besser durch die Pandemie gekommen sind, als die Theaterkritik. Der Tagesspiegel lauscht dem humanistischen Patriotismus in Händels "Judas Maccabaeus". Der Standard empfiehlt auch aus ästhetischen Gründen, weniger zu bauen. Und das ZeitMagazin huldigt dem Rebellentum der Motorradjacke.

Aus einem surreal flirrenden Pianissimo-Nebel

02.01.2023. Die Musikkritiker starteten in Berlin mit Daniel Barenboim und einem ungeschützt hoffenden Beethoven ins Neue Jahr. Im Standard erklärt der Schweizer Filmemacher Cyril Schäublin, wie sich Heute und Morgen ins Tick und Tack von Uhren übersetzte. In der FAZ warnt Jaroslav Rudiš davor, den tiefgründigen Humor Jaroslav Hašeks zu leicht zu nehmen. Und Hyperallergic kürt die machtlosesten Menschen des Kunstbetriebs.