Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.04.2024 - Bühne

Seit zehn Jahren leitet der in Berlin lebende Israeli Ohad Ben-Ari das deutsch-israelische ID-Festival im Radialsystem, nach dieser siebten Ausgabe soll Schluss sein, weil die Förderung des Bundes ausläuft, berichtet Patrick Wildermann im Tagesspiegel kopfschüttelnd: "Braucht es nicht gegenwärtig mehr denn je solche Begegnungsmöglichkeiten?" Dazu kommt "Festivalarbeit unter erschwerten Bedingungen", weil "im Kulturbetrieb inzwischen oft die Schnappatmung einsetzt, wenn nur der Begriff Israel fällt". Es hat nach dem 7. Oktobe auch "Absagen von Künstlerinnen und Künstler für das Festival gegeben, 'nicht alle wollen unter dem Titel Israel performen, schade, aber ich habe Verständnis dafür', sagt Ben-Ari, der sein Festival ausdrücklich als Plattform auch für kritische Stimmen begreift, 'für jeden Diskurs, der nicht Hassrede ist'. Eine Offenheit, die sich auch im Programm des ID Festivals #7 spiegelt. Unter anderem ist das Jaffa Theater zu Gast, mit dem Stück 'Shampoo Queen' des Dramatikers Hanoch Levin, gespielt ausschließlich von arabischen Israelis. 'Shampoo Queen' war in den 70ern ein Skandal in Israel, weil das Stück die Selbstgefälligkeit einer Gesellschaft im Siegesrausch nach dem Sechstagekrieg aufs Korn nahm."

Triggerwarnungen, wie sie die New Yorker Metropolitan Oper auf ihrer Webseite Puccini-Opern voranstellt, musste Manuel Brug in der Welt bisher zum Glück selten sehen. Aber schon, dass Damiano Michielettos Londoner "Carmen" als "free spirit", also "komplett gypsy-frei", erscheint, reicht ihm. Und wenn er dann noch in den ersten Band der Online-Edition "Critical Classics" des Wuppertaler Ex-Opernintendanten Berthold Schneider schaut, schwant ihm für die Zukunft nichts Gutes: Der möchte nämlich Mozarts "Zauberflöte" einen "Radikalfacelift in Gestalt eines achtsam adaptierten Librettos verpassen. Das Männerbündische der Sarastro-Weisheitstempelwelt kann weg, ebenso der schwarze Bösewicht Monostatos ('Und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist?') über den der einfache Vogelfänger Papageno freilich weiß: 'Es gibt ja schwarze Vögel in der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen?' Toleranz anno 1791. Heutigen Gutmenschen langt das nicht. Die verlangen 'sensitive reading' gegen potenzielle Diskriminierung und illegitime kulturelle Aneignung. Schneider sieht in der als alte Frau verkleideten, dabei selbstbewussten Papagena Sexismus und Altersdiskriminierung. Ihm fehlt eine sie Tamino gleichstellende Liebesarie der Pamina. Und im Duett zwischen Pamina und Papageno, 'Bei Männern, welche Liebe fühlen', tauche das herabsetzende Wort 'Weib' auf, zudem würden hier nur heterosexuelle Gefühle besungen."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel wirft Frederik Hanssen einen Blicks ins Programm der kommenden Saison an der Deutschen Oper Berlin, das mit Neuinszenierungen von Verdi, Weill und Strauss und einer Uraufführung von Rebecca Saunders aufwartet. In der SZ berichtet Christine Lutz vom Wasserschaden am Berliner Ensemble: Eine Sprinkleranlage war plötzlich losgegangen, in kurzer Zeit stand der Bühnenraum unter Wasser. Nicht der erste Fall, wie Lutz mit Blick auf ähnliche Fälle in München, Heidelberg, Hof, Görlitz, Duisburg und Bochum weiß. Sind überzogene Brandschutzmaßnahmen schuld? "Alles, was auf der Bühne Feuer ist oder nach Feuer aussieht, muss … von der Feuerwehr abgenommen werden, die auch bei jeder Vorstellung dabei ist. Darf auf der Bühne geraucht werden? Wenn ja, wo und wie viele Zigaretten? Für das Entfachen eines Feuers ist dann ausschließlich ein Requisitenmitarbeiter mit Pyroschein zuständig."

Besprochen werden Hakan Savaș Micans Inszenierung von Dinçer Güçyeters Roman "Unser Deutschlandmärchen" am Berliner Gorki-Theater (taz, mehr hier und hier) und Clara Weydes Inszenierung von Kafkas "Die Verwandlung" am Schauspielhaus Hannover (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.04.2024 - Bühne

Sesede Terziyan in "Unser Deutschlandmärchen", Gorki Theater Berlin. © Ute Langkafel MAIFOTO

"Das 'postmigrantische Theater' hat endlich wieder einen Hit", freut sich Jakob Hayner in der Welt. Und zwar zeigt das Berliner Gorki Theater eine Bühnenfassung des autofiktionalen Romans "Unser Deutschlandmärchen", für den Dinçer Güçyeter letztes Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hatte. Der Regisseur Hakan Savaș Mican "und seinem Ensemble haben aus dem Buch einen witzigen und berührenden Abend gemacht, der vom Premierenpublikum minutenlang mit stehendem Applaus gefeiert wird. (...) 'Unser Deutschlandmärchen' verlässt sich darauf, das Publikum mit einer guten Erzählung zu begeistern, anstatt mit politisch halbgaren Botschaften abzuspeisen. Und in Zeiten, in denen wieder der persönliche Verzicht fürs große Ganze gepredigt wird, erinnert der Popschlachtruf 'I want more' daran, dass manche immer schon verzichten mussten."

Weitere Artikel: Clemens Haustein beleuchtet in der FAZ das Erbe des Komponisten und Dirigenten Alexander Zemlinsky, der in den 1910er und 1920er Jahren in Prag tätig war, sowohl am Neuen Deutschen Theater als auch an der Staatsoper. Lilli Uhrmacher spricht in der taz Nord mit Libuše Černá, Leiterin des Bremer Kulturfestivals "So macht man Frühling" über ein Gastspiel des tschechischen "Husa Na Provázku"-Theaters. Michael Kube sucht auf nmz nach "Verbindungslinien zwischen Bach, Mozart und der 'Zauberflöte'". Tilman Krause bespricht für die Welt eine neue Dürer-Biografie.

Besprochen werden die Kinderoper "Hamed und Sherifa" am Theater an der Wien (Standard) und Antonio Salieris "Kublai Khan" am Musiktheater an der Wien (NZZ; "das Publikum gähnt").

Efeu - Die Kulturrundschau vom 09.04.2024 - Bühne

"Erwartung/Der Wald" an der Oper Wuppertal. Foto: Börn Hickmann.

Um "toxische Weiblichkeit" geht es in einer für FAZ-Kritiker Jan Brachmann sehr reizvollen Stück-Kombination an der Oper Wuppertal. Manuel Schmitt hat "Erwartung" von Arnold Schönberg mit "Der Wald" von Ethel Smyth zusammengebracht. Und das funktioniert, freut sich Brachmann: "Edith Grossman bietet als Jolanthe die vibrierende Sinnlichkeit einer Wagner-Venus auf. So monströs diese Frau auch sein mag (immerhin hat Smyth hier, womöglich in emanzipatorischer Absicht, eine Figur toxischer Weiblichkeit ersonnen, die wie Don Giovanni hierarchischen Sex erzwingen will, also eine Vergewaltigerin), so verströmt sie doch vokal nichts als Zauber und Glück. Sehr angenehm fallen die warmen, biegsamen Stimmen von Samueol Park als Landgraf Rudolf, Zachary Wilson als Hausierer und Erik Rousi als Peter auf."

Außerdem: Die Berliner Zeitung gibt mit dpa Updates zum Wasserschaden am Berliner Ensemble.

Besprochen werden Hakan Savaş Micans Adaption von Dinçer Güçyeters Roman "Unser Deutschlandmärchen" am Maxim Gorki Theater Berlin (SZ), Alexandra Liedtkes Inszenierung von Tschechows Stück "Der Kirschgarten" am Salzburger Landestheater (nachtkritik), David Böschs Inszenierung von Grigori Frids "Das Tagebuch der Anne Frank" an der Staatsoper Hamburg (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.04.2024 - Bühne

"Unser Deutschlandmärchen" am Gorki Theater Berlin. © Ute Langkafel MAIFOTO.

Regelrecht vom "Theatersitz" gehauen wird Tagesspiegel-Kritikerin Christine Wahl von Hakan Savaş Micans Adaption von "Unser Deutschlandmärchen" am Maxim Gorki Theater Berlin. Mit viel Gefühl inszeniert Mican den biografisch geprägten Debütroman von Dinçer Güçyeter, freut sich Wahl. Der gleichnamige Protagonist verhandelt hier das Verhältnis zu seiner Mutter, die als Gastarbeiterin nach Deutschland kam und ihr Leben lang zwischen Fabrikarbeit und Familie hin-und her hetzte, in einem humorigen wie hochemotionalen Dialog, so die Kritikerin: "In bester Pathosvermeidungsmanier transportieren Mutter und Sohn - eine hervorragende Regieidee - das Wesentliche ihrer Gefühlshaushalte musikalisch über die Rampe: Fatma intoniert wunderbar elegische türkische Lieder, Dinçer performt sich durchs westliche Rock- und Pop-Repertoire seiner Generation. Dazu spielt live eine fünfköpfige Band, die den Mutter- und den Sohnes-Kosmos stilistisch wie instrumental erstklassig zu verbinden weiß." Auch Nachtkritikerin Elena Philipp ist angetan: "Der Regisseur holt den Witz von Güçyeters Mutter-Sohn-Geschichte unter dem Schleier der Melancholie hervor. Darüber hinaus behandelt Mican die Vorlage behutsam und montiert geschickt."

Besprochen werden Adewale Teodros Adebisis Inszenierung von Amanda Wilkins Historiendrama "Die Bridgetower-Sonate" am Schauspiel Leipzig (nachtkritik), Luise Voigts Adaption von Sheridan Le Fanu Buch "Carmilla. Eine steirische Vampir-Satire" am Schauspielhaus Graz (nachtkritik), Jessica Glauses Inszenierung von "Café Schindler" nach Meriel Schindlers biografischer Recherche ihrer Familiengeschichte am Tiroler Landestheater in Innsbruck (nachtkritik), Krzysztof Minkowskis Inszenierung von Jean Paul Sartres Stück "Die schmutzigen Hände" am Volkstheater Rostock (nachtkritik), Frank Hoffmanns Inszenierung von Albert Ostermeiers Stück "Stahltier" am Renaissance-Theater in Berlin (FAZ), Chris Jägers Tanzstück "Daddy Shot My Rabbit" am Staatstheater Darmstadt (FR), Markus Trabuschs Inszenierung von Christoph Ehrenfellners Oper "Karl und Anna" am Frankentheater Würzburg (FR), Sebastian Baumgartens Inszenierung von Roman Haubenstock-Ramatis Oper "Amerika" an der Oper Zürich (nmz) und das Verdi-Pasticcio "Revoluzioni e Notalgia", inszeniert von Krystian Lada an der Brüsseler La-Monnai Oper (nmz), Helge Schmidts Inszenierung des Rechercheprojekts "Hafenstraße" zum Brand in einer Asylunterkunft am Theater Lübeck (taz), Nora Abdel-Maksouds Inszenierung von "Doping" an den Kammerspielen in München (SZ),  und Martin G. Bergers Inszenierung der Salieri-Oper "Cublai, gran kan de' Tartari" im Theater an der Wien (FAZ, tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.04.2024 - Bühne

"Stahltier" am Renaissance-Theater Berlin. Foto: Bohumil Kostohryz.

Wenn schon das Fernsehen seinen Job nicht macht, muss eben das Theater ran, meint SZ-Kritiker Peter Laudenbach, der sich Frank Hoffmanns Inszenierung von Albert Ostermeiers Stück "Stahltier" am Renaissance-Theater Berlin angesehen hat. Es geht um Leni Riefenstahl und vor allem um die Recherchen der Dokumentarfilmerin Nina Gladitz, die die schlimmen Hintergründe der NS-Regisseurin aufgedeckt hat (unsere Resümees). Gladitz' Film läuft bis heute nicht im Fernsehen, dafür hat Ostermeier jetzt wichtige Element aus der Doku aufgegriffen: Unter anderem das Schicksal des Kameramanns Willy Zielke, den Riefenstahl aus Angst und Neid in die Psychiatrie einweisen ließ, wo er wegen seiner Homosexualität zwangssterilisiert wurde, erklärt Laudenbach. Gut, dass Ostermeier diese Figur ins Zentrum des Stücks stellt, findet er: "Er nimmt das Opfer ernst, dessen Leben Riefenstahl zerstört hat. Das Stück gibt ihm die Würde, die ihm die Nazis und ihre Star-Regisseurin geraubt haben. Das schützt Ostermaiers Text davor, in die schaudernde Verehrungserregung zu verfallen, mit der die NS-Filmerin nach 1945 in den pathosanfälligen und kitschbegeisterten Regionen der Popkultur abgefeiert wurde. Bei Ostermaier ist die Hitler-Freundin, die Hochgebirgs-Amazone kein dämonisches Genie, sondern eher eine von entgrenztem Karriereehrgeiz zerfressene, abstoßend empathiefreie Kleinbürgerin: Ihr Narzissmus und ihr Nazismus sind kaum voneinander zu unterscheiden."

Ganz anders hat das Nachtkritiker Michael Wolf wahrgenommen - für ihn steht Zielke viel zu sehr im Abseits. Irritiert ist er auch vom dargestellten Verhältnis zwischen Riefenstahl und Goebbels: "Denn nun, es ist schon etwas eigenartig, wie sich hier zwei nicht unwichtige Figuren der NS-Geschichte gegenüberstehen und die Basis ihrer Kommunikation über weite Strecken Sex ist. Ja genau, Riefenstahl und Goebbels flirten miteinander und das nicht besonders subtil." Ähnlich sieht es Patrick Wildermann im Tagesspiegel.

Besprochen wird Felix Hafners Inszenierung von "Nestbeschmutzung" in Zusammenarbeit mit dem "Institut für Medien, Politik und Theater" am Kosmos-Theater Wien (nachtkritik).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.04.2024 - Bühne

Die Nibelungen haben ja in der einen oder anderen Version ein Dauerabo auf den deutschen Theaterbühnen, weiß Irene Bazinger in der FAZ. In Ferdinand Schmalz' "hildensaga", von Markus Bothe am Deutschen Theater inszeniert, wird nun einiges umgedreht: "Diesmal begehren nämlich Kriemhild, die burgundische Königstochter, und Brünhild, die isländische Königin, bisher nichts als Jagdtrophäen in der Männerwelt, entschieden auf. Schmalz richtet das Augenmerk auf sie und ersetzt Helden durch Hilden. Die Geschichte wird dadurch nicht besser - zumindest nicht an diesem Abend. Aber eine erste Emanzipation der Frauen wurde zumindest versucht. Die Inszenierung von Markus Bothe folgt dem amüsant aufgezwirbelten Text mit formaler Konzentration und erstaunlicher Gelassenheit, was ihm hörbar guttut. Alles liegt deutlich zutage, die Motivationen, Pläne, Intrigen werden in ihrer fatalen Konsequenz klar erkennbar." Die Menschenleben fordernde Grausamkeit der Nibelungen bleibt auch hier bestehen, weiß Bazinger, aber Svenja Liesau und Julischka Eichel, die Brünhild und Kriemhild spielen, "bringen ihre Figuren in fast traumtänzerischer Solidarität zusammen und atmen eine große Freiheit jenseits von Mythen und Moden."

Weiteres: Tilman Michael, der Chordirektor der Frankfurter Oper, geht für ein Jahr an die New Yorker MET, melden FAZ und FR.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.04.2024 - Bühne

Trotz Subventionen von 31,9 Millionen Euro und Eigeneinnahmen von 3,9 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2023 weist das Deutsche Theater in Berlin ein Defizit von über 3 Millionen Euro auf, entnimmt Peter Laudenbach in der SZ einem Bericht der Berliner Kulturverwaltung. Unklar ist, ob der schwäbische Sparfuchs Ulrich Khuon oder seine frisch ins Amt gesetzte Nachfolgerin Iris Laufenberg für die Misswirtschaft verantwortlich sind: "Zusätzlich kompliziert wird die Situation dadurch, dass das Theater den langjährigen und erfahrenen Geschäftsführer Klaus Steppat im vergangenen November unter etwas undurchsichtigen Umständen fristlos gekündigt hat. Derzeit führt ein Interimsmanager die Geschäfte im Auftrag der Kulturverwaltung. SZ-Nachfragen zu den Ursachen der Etat-Überziehung, den Schlussfolgerungen, die man daraus für die Leitung des Theaters zieht, wie die Frage zu möglichen Einsparungen beantwortetet weder die Intendantin noch die Berliner Kulturverwaltung." "Dabei verteidigt das Deutsche Theater seine Spitzenposition, was die Anzahl der Vorstellungen (798) und die absolute Zahl der zahlenden Besucher (143.000) angeht", ergänzt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung: "Auch die Auslastung von 79 Prozent ist im grünen Bereich."

Weitere Artikel: Nina Chruschtschowa, Urenkelin von Nikita Chruschtschow und Putin-Kritikerin wird am 26. Juli die Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen halten, meldet der Standard mit APA.

Besprochen wird der Doppelabend "Dwa - Zwei" der Osnabrücker Dance Company, der am Theater Osnabrück zwei Choreografien von Maciej Kuźmiński und Adi Salant koppelt (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.04.2024 - Bühne

Badisches Staatstheater Karlsruhe - Tannhäuser. Michael Weinius, Dorothea Spilger, Ks. Armin Kolarczyk, Foto: Felix Grünschloß

Mutig inszeniert Vera Nemirova Richard Wagners "Tannhäuser", lobt Jan Bachmann in der FAZ. Und zwar, weil sie in ihrer Arbeit fürs Badische Staatstheater Karlsruhe nicht vor christlichem Pathos zurückschreckt. Auch musikalisch weiß die Aufführung zu überzeugen: Georg "Fritzsch dirigiert den 1845 uraufgeführten 'Tannhäuser' wirklich aus dem Geist des deutschen Vormärz heraus. Der Orchesterklang ist scharf gezeichnet und schlank, die Tempi sind durchweg zügig, wenn auch stets aufmerksam mit den Singenden geatmet wird. (...) Alle Chöre drängen nach vorn. Wilhelminische Üppigkeit ist durchweg vermieden. Die Bühne von Paul Zoller mit ihrer demolierten Decke eines alten Konzerthauses und den zerborstenen Musikinstrumenten verweist auf eine brüchig gewordene Kunst, die zwischen Sexindustrie und Unterhaltungswettbewerb nicht mehr viel gilt. Doch gerade sie macht Nemirova zum utopischen Ort, an dem Lust und Geist zueinanderfinden und wieder Sinn ergeben."

Berthold Seliger ist auf Medium begeistert von Florian Lutz' "Carmen"-Inszenierung am Staatstheater Kassel. Das Publikum wird hier nicht nur unterhalten, sondern regelrecht agitiert, und die Protagonistin erscheint in einem neuen, dabei durchaus dem Geist des Originals verpflichteten Licht, so Seliger: "Für einmal wird diese Carmen nicht als zur Femme fatale degradierte exotische Männerfantasie interpretiert, sondern als selbstbewusste Rebellin, die sich ihr Freiheitsrecht nicht nehmen lässt und gegen bürgerliche Normen agiert und agitiert. Und die dennoch voller Widersprüche ist - wie für viele ihrer Mitstreiterinnen ist auch für sie Liebe nur wenig mehr als 'fumée', also heiße Luft; 'L'amour est un oiseau rebelle', sie ist wie ein wilder Vogel. Dennoch ist Carmen eine radikal Liebende, allerdings ohne ihr Selbstbewusstsein zu verlieren."

Sophie Klieeisen berichtet in der FAZ über die desolaten Arbeitsbedingungen an deutschen Stadttheatern. Die Löhne zum Beispiel für Regisseure sind zu niedrig, das weiß jeder, daran ändern wird sich bis auf Weiteres nichts, auch nicht durch eine vom Bundeswirtschaftsministerium und der Kulturstaatsministerin in Auftrag gegebene Studie, glaubt sie. "Aus der gedachten Ästhetisierung der Welt ist längst eine Ökonomie der Ästhetik geworden. '50 Prozent weniger Beschäftigte machen 50 Prozent mehr Arbeit zu 50 Prozent weniger Honorar im Vergleich zur Zeit vor 30 Jahren', dieser Merksatz ist ein offenes Geheimnis. Für die Theater bedeutet das: Multiplizierung der Formate, Verkürzung der Produktionszeiten, Steigerung der Produktionszahlen, des Drucks, der Belastung. Für viele Junge Anlass, das ganze System infrage zu stellen. Das Frustlevel insbesondere junger Regisseurinnen ist hoch."

Weitere Artikel: Bernd Noack unternimmt in der NZZ einen Streifzug durch die Geschichte des Wiener Theater in der Josefstadt. Für die taz Nord unterhält sich Nina Christof mit Jule Martenson, die das im Kaisersaal des Hamburger Rathauses aufgeführte Stück "PubliCum Ex. Prädikat: Rechtstreu" dramaturgisch betreut. Michael Wolf sorgt sich auf nachtkritik um die Originalität in der Gegenwartdramatik. Manuel Brug resümiert in der Welt die jüngste Opernfestspielsaison.

Besprochen werden Richard Strauss' "Elektra" in Baden-Baden ("blitzschnell, aufbrausend, mal zusammenkauernd, mal lauernd, intelligent, elegant, schnurrend, hackend oder würgend, heimtückisch, schmeichelnd, Erotik, Blutrausch", lobt Reinhard J. Brembeck die Aufführung mit Kirill Petrenko am Pult), Davor Vinczes Kammeroper "Freedom Collective" am Theater Bremen ("unvorteilhafte Kostüme und saudumme Regiekonzepte", ärgert sich Benno Schirrmeister in der taz) und Amilcare Ponchiellis Oper "La Giaconda" bei den Salzburger Osterfestspielen (van).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.04.2024 - Bühne

Markus Francke, Opern- und Extrachor des Theaters Ulm | Foto: Kerstin Schomburg 

Auf einem richtigen "Höhenflug" befindet sich das Stadttheater Ulm, freut sich Stephan Mösch in der FAZ. Dass man hier nun Wagners "Parsifal" auf die Bühne gebracht hat, könnte vermessen wirken, meint der Kritiker, aber es funktioniert wunderbar: "Felix Bender ist ein Motor des Abends: Der Ulmer Musikchef versteht Wagners Spätwerk keineswegs als weihevollen Gottesdienst. Er schlägt schnelle Tempi an, kümmert sich aber auch bis ins Detail um die Finessen der Instrumentation. Wagners klangliche Experimente und harmonische Schroffheiten kommen plastisch heraus. Gleichzeitig sind die großen architektonischen Blöcke mit Ohren zu greifen. Was sich über alle stilistische Idiomatik hinaus vermittelt, ist der innermusikalische Spannungszustand, den Wagner im 'Parsifal' besonders raffiniert anlegt. Das Philharmonische Orchester spielt mit einer Dringlichkeit und Entdeckerfreude, die in der Wagner-Routine mancher Staatstheater verloren gegangen ist."

Besprochen werden außerdem Fritzi Wartenbergs Inszenierung von "Malina" am Berliner Ensemble und "hildensaga. ein königinnendrama" in der Inszenierung von Markus Bothe am Deutschen Theater in Berlin (Doppelbesprechung in der taz),  die Oper "Die Insel" vom Kollektiv [in]Operabilities im Radialsystem in Berlin (taz), Alexander Müller-Elmaus Inszenierung von Wagners "Götterdämmerung" im Coburger GLOBE (nmz),  Michael Schulz' Inszenierung der Strauss-Oper "Rosenkavalier" an der Oper Leipzig (nmz),  Georg Qanders Inszenierung von Christoph Willibald Glucks Oper "Iphigenie in Aulis" bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg (tsp) und  David Hermanns Inszenierung von Wagners "Parsifal", diesmal am Staatstheater Nürnberg (nmz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.03.2024 - Bühne

Achim Freyer bei der Verleihung des Nestroy-Theaterpreises 2015. Foto: Manfred Werner - Tsui unter CC-Lizenz.
Der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildners Achim Freyer wird 90 Jahre alt. Es gratulieren Peter von Becker im Tagesspiegel, Ingeborg Ruthe in der FR und Wolfgang Schreiber in der SZ. Im Interview mit der FAZ erinnert sich Freyer an die Zeit, als Kunst noch keine Ware war, im Untergrund der DDR: "Eine sehr gute, aber harte Zeit, als Kunst öffentlich unterdrückt wurde, sehr sublim. Man sprach von 'Kunst', meinte damit aber nur eine bestimmte: eine dienende für die Gesellschaft. Da die Partei immer alles wusste, wie etwas aussehen muss und was Kunst ist, gab es keine Chance, dass öffentlich etwas ausgestellt würde, was nicht sofort verstehbar ist. Genau dort aber fängt Kunst an. Wir wollen auf unserer Suche, unserer Forschungsreise das Nicht-Aussprechliche aussprechen."

Weitere Artikel: Manuel Brug besucht für die Welt die lettische Mezzosopranistin Elina Garanca in Wien bei Proben zu "Parsifal". In der FAZ gratuliert Andreas Rossmann dem "letzten Prinzipal des deutschsprachigen Theaters", Roberto Ciulli, zum Neunzigsten.

Besprochen werden Ronny Jakubaschks Adaption von Gabriele Tergits Roman "Effingers" am Staatstheater Karlsruhe (nachtkritik), Ferdinand Schmalz' "hildensaga" am Deutschen Theater Berlin (nachtkritik, Tsp), Wagners "Parsifal" in der Inszenierung von Kirill Serebrennikov mit Elīna Garanča als Kundry (Standard) und Strauss' "Elektra" mit Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern im Festspielhaus Baden-Baden (NZZ).