Essenzen

Das Stechen einer Rose

Die Duftkolumne Von Claus Brunner
15.06.2020. "Douleur!" von Bogue-Profumo ist eine comicartige, hart an der Grenze zur Persiflage schrammende Kurzgeschichte mit einer kleinen Schar völlig überdrehter Protagonisten.  Ich mache zu. Der Duft ist eine Tortur, und die möchte ich nicht länger ertragen. Dabei täuscht er für Sekundenbruchteile, wie mit einem schüchternen Lächeln, sogar eine freundliche Geste an, hält mir ein Stück Melone hin, schön saftig und reif... Am Ende staune ich: Diese Kurzgeschichte hat ein Happy End.
Foto: Bogue Profumo
Ein neuer Duft von Bogue-Profumo ist immer etwas Besonderes. Antonio Gardoni, erfolgreicher Architekt und Designer, Gründer des kleinen Unternehmens und zugleich dessen "Nase", ist völlig unabhängig, betreibt nur das nötigste Marketing, gibt kaum Interviews und auf seiner Webseite finden sich so gut wie keine Informationen zu seinen Werken. Sie sprächen für sich, betonte er einmal, und im Gegensatz zu den allermeisten, die immer nur die gleichen Phrasen wiederholen, haben sie tatsächlich etwas zu sagen.

Meine erste Begegnung mit "Douleur!" war allerdings ein Desaster: ein kleiner Sprühstoß genügte um einem olfaktorischen Faustschlag nicht mehr ausweichen zu können.

Wow, Chapeau für diese Attacke! Erst mal alles platthauen und selbst den geneigtesten Tester in die Flucht schlagen, das muss man erst mal wagen! Gut, die Liste der verwendeten Noten hatte mich vorgewarnt, über den aggressiven Auftritt verriet sie aber nichts.

Dabei sind ja die drei Vorgängerdüfte "Maai", "Mem" und "O/E" schon unbequeme Kaliber: Achthundert-Seiten-Wälzer mit parallelen Erzählsträngen und unübersichtlichem Personal. Aber ich liebe sie, genau deswegen. Mit "Douleur!" bekommen ich jedoch eine comicartige, hart an der Grenze zur Persiflage schrammende Kurzgeschichte mit einer kleinen Schar völlig überdrehter Protagonisten. 

Mit der pinkfarbenen Gummikappe tanzt schon der Flakon aus der Reihe. Drei kreisrunde Etiketten zieren ihn. Auf dem größten, wie mit einem bluttriefendem Stock in Sand geritzt, der Name des Duftes. Das kleine schwarze daneben zeigt die pinken Umrisslinien einer Träne, und das mittlere, schräg darunter, das Bogue-Logo und die Unterschrift von Freddie Albrighton - erneut in Pink, auf silbrigem Untergrund.

Alles dechiffrierbare Hinweise auf den Inhalt, die sich mir im Bemühen, die Attacke abzuwehren nicht erschließen wollen.

Ich mache zu. Der Duft ist eine Tortur, und die möchte ich nicht länger ertragen.

Dabei täuscht er für Sekundenbruchteile, wie mit einem schüchternen Lächeln, sogar eine freundliche Geste an, hält mir ein Stück Melone hin, schön saftig und reif, mit reichlich Minze garniert. Eine salzig-ozonische Brise und ein Hauch von Seetang weht mir entgegen, als sei ein Strand in der Nähe. Doch kaum habe ich einen Atemzug getan, holt der Duft zum Schlag aus und ein stechend künstliches Aroma peitscht mir in die Nase, frisst sich in völlig unvorbereitete Schleimhäute.

Ich ahne, warum der Duft "Schmerz" heißt, und ihm ein Ausrufezeichen folgt: die Tortur ist beabsichtigt, der Name Programm. "Douleur!" tut weh - vorsätzlich!

Ausriss aus Freddie Albrightons Instagram-Konto



Hier kommt Freddie Albrighton ins Spiel, Tattoo-Künstler und Ex-Duftblogger aus Kidderminster bei Birmingham. Er und Antonio Gardoni lernten sich vor einigen Jahren in London kennen: 

"So having known Antonio since he started sharing his experiments with the world, I contacted him last year, and said straight out 'So I want to collaborate with you, let's make a perfume.' He was cautious, but politely enthusiastic, and we both started talking. After a lot of back and forth, we had our concept …. heavy use of rose oxide because we both shared a mutual love for the synthetic note.  Months later, and having sniffed a few tasters, some fascinating, and some not, I took off for Italy to be hands-on. Crash, bang, sparks, and a lot more work, and we finally had DOULEUR!" Freddie Albrighton.

"Crash, bang, sparks", wie passend - ich sehe wirklich Sternchen. Die schrille Synthetik von Unmengen frisch in einem heißen Metallbehälter gesponnener rosa Zuckerwatte, aus der die frischen grünen Spitzen des Rosenoxids wie Feuerwerkskörper emporschießen, ist tatsächlich nasenhaarsträubend.

Zwar liegen noch Reste der Melone herum, aber das über allem wabernde süß-metallische Amalgam, mit der gleißenden Blüte im Zentrum, degradiert die fruchtig-maritimen Nuancen des Auftaktakkordes zur Nebensache.

Ich beginne die Fäden zu verknüpfen - Schmerz, Metall, Albrighton, Zucker, die bedrängende florale Künstlichkeit. Plötzlich verstehe ich, was hier duftend bebildert werden soll: das Stechen einer Rose in einem Studio für Duft-Tattoos!

Mit dem Besuch Albrightons im Labor Gardonis in Brescia, mutieren dessen Pipetten zu surrenden Nadeln, die mit unzähligen Duft-Essenzen bestückte "Orgel" zum Farbtank. Eine geniale Metamorphose! Der Parfümeur, der jahrhundertelang Duftbilder nach der Natur pinselte, später auch zu abstrakter Kunst fand, schlüpft in die Rolle des olfaktorischen Tätowierers, der in das Vexierspiel aus echt und unecht eine weitere Ebene einzieht.

"Douleur!" will also das duftende Abbild einer tätowierten Rose sein, nicht das einer natürlichen. Daher auch der heftige Gebrauch des von beiden so geschätzten hell strahlenden Rosenoxids, dem die dunkel-samtigen Untertöne natürlicher Rosenöle fehlen.

Im Netz suche ich nach Rosen, die Albrighton gestochen hat. Und tatsächlich: die quietschbunten, kunstvoll ziselierten Blüten wirken so plastisch, dass die Behauptung, sie besäßen einen Duft, ziemlich plausibel erscheint.

"Queer Tattoos for Queer People", auch diesem Motto Albrightons folgt "Douleur!". Nicht nur die gestochenen Rosen, ja der Duft selbst hat in seinem Auftritt etwas glitzerndes, Drag Queen-haftes: Eine "Drag Rose" mit  Zuckerwattenschleppe playback "Für mich soll's rote Rosen regnen" trällernd - so in etwa.

Die Intensität der Süße beginnt zu übersteuern. Sodbrennen droht, olfaktorisches Sodbrennen. Bevor aber der Duft ins Hysterische kippt, schreitet Antonio Gardoni mäßigend ein, zieht die Regler etwas herunter und verwandelt das Studio, nebst Nadel und Farbtank, wieder in sein Labor mit Orgel und Pipette zurück. Schnell kommen basenbildende und somit lindernde Essenzen zum Einsatz. Nicht umsonst bezeichnet man die tiefen und haftenden Noten als "die Basis". Sie bilden zwar das Fundament, wirken mit ihren Hölzern, Moosen und Harzen aber häufig auch neutralisierend.

Dunkle Karamell- und Vanillenoten werden in einem Sandelholztiegel zu einer Emulsion verrührt, wächsern-balsamisches Benzoin hinzugefügt, und die malträtierten Schleimhäute gesalbt. Je stumpfer die Süße wird, und das Metall weicher, desto deutlicher tritt der orientalische Charakter des Fonds zutage. "Douleur!" erinnert mich plötzlich an mit Rosenwasser besprenkeltes Gebäck und überrascht mit einer Sinnlichkeit, die ich dem Duft gar nicht mehr zugetraut hätte. Auch muss Antonios Zibetkater schon eine Weile umher geschlichen sein, wie immer im Hause Gardoni sein Revier markierend. Vor lauter Schall und Getöse bemerke ich ihn erst jetzt.

Wow, was für ein Ritt! Das ist mal wirklich faszinierende, aber auch unglaublich anstrengende Parfumkunst - als hätten "Nahema" und "Sécrétions Magnifiques" ("zumindest mein Hund fand's gut") gemeinsam ein Kind gezeugt.

Auch "Maai", "O/E" und "Mem" mögen herausfordernde, vielleicht etwas zur Exaltiertheit neigende Meisterwerke sein, die man sich erst einmal erarbeiten muss, um dann aber reichlich entlohnt zu werden. "Douleur!", der Paradiesvogel der Familie, steht ihnen dabei in nichts nach. Man muss ihn nur aushalten können.

Zunächst war ich mir allerdings sicher, es nicht zu können: zu schrill, zu offensiv, zu haltbar. Ich mag es nicht, wenn Düfte zu lange bleiben. Lieber kehre ich freiwillig zu ihnen zurück. "Douleur!" aber ist störrisch, will partout nicht weichen. Doch welches Tattoo weicht schon freiwillig, wenn man sich satt gesehen, beziehungsweise gerochen hat?! Haltbarkeitsfetischisten sollten begeistert sein!

Schon nach dem zweiten Test, und erst recht nach dem dritten, geschah aber etwas Unerwartetes: ich wurde von einer unter all dem Flitter verborgenen guten Laune angesteckt, einer erriechbaren Freude an wilder kirmeshafter Buntheit die richtig Spaß macht, und offenbar Reste eines kindlichen Gemütes in mir anspricht.

Mit entwaffnender Fröhlichkeit und sonnigem Gemüt hat "Douleur!" nun erfolgreich meine anfängliche Abwehr zermürbt, und ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob ich nicht doch Lust auf ein Tattoo bekomme - und sei es auf ein duftendes.

Ich habe nämlich noch keins...

Claus Brunner