Intervention

Verpasste Gelegenheiten

Von Richard Herzinger
14.02.2020. Während Demokraten heute offen eingestehen, dass sie die Gefahr, die von Wladimir Putin ausgeht, unterschätzt haben, sind es jetzt Trump und seine Gefolgsleute in der Republikanischen Partei, die diese Gefahr herunterspielen oder ganz ableugnen, ein Zeichen für das Ausmaß, das die Korrumpierung weiter Teile der westlichen Eliten bereits erreicht hat.
Mitt Romney hat im US-Senat als einziger republikanischer Abgeordneter für die Amtsenthebung von US-Präsident Donald Trump gestimmt. In seiner Begründung machte der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner deutlich, dass für ihn die Treue zu den amerikanischen Verfassungsgrundsätzen (und zu seinem christlichen Glauben) über seiner parteipolitischen Loyalität steht. Mit dem Versuch, die Ukraine zu Ermittlungen gegen seinen demokratischen Widersacher Joe Biden zu nötigen, indem er die US-Militärhilfe für das Land zurückhielt, habe Trump das Vertrauen der amerikanischen Öffentlichkeit aufs schwerste missbraucht.

Die Ehre seiner Partei konnte Romney damit nicht retten, denn die hat sie durch ihre bedingungslose Gefolgschaft für Trump längst verspielt. Spätestens war dies der Fall, als die republikanische Senatsmehrheit dem Präsidenten bescheinigte, ihm stehe es zu, selbst zu entscheiden, welche seiner Handlungen als legal und im nationalen Interesse stehend zu gelten haben - und als sie ihm im Impeachement-Verfahren einen schnellen Freispruch gewährten, ohne einen einzigen Zeugen gehört und einschlägige Indizien erörtert zu haben. 

Mit seiner Weigerung, dieser Ermächtigung zu autokratischer Willkür zuzustimmen, hat Romney jedoch immerhin ein Beispiel dafür gegeben, wie man auch unter extremem Druck seine moralische Integrität und seinen politischen Verstand bewahren kann. Bewusst nahm er dafür in Kauf, dass Trump und seine Leute jetzt mit allen schmutzigen Mitteln der Denunziation und Verleumdung über ihn herfallen.

Dass Romney ein außergewöhnlich kluger und vorausblickender Mann ist, bewies er bereits 2010, als er in einem Buch Russland als den größten geopolitische Gegenspieler der USA bezeichnete. Das brachte ihm im Präsidentschaftswahlkampf 2012 die höhnische Bemerkung Barack Obamas ein, er habe wohl noch nicht gemerkt, dass der Kalte Krieg seit 20 Jahren vorbei sei. Obama seinerseits - und mit ihm seine Außenministerin Hillary Clinton - hatte nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten von einem "Neustart" der Beziehungen zu Russland fabuliert. Er suggerierte damit, nur die angeblich zu aggressive Politik seines Amtsvorgängers George W. Bush sei schuld daran, dass Putin vorübergehend über die USA verärgert sei - was Obama und Clinton nunmehr schnellstens reparieren wollten.

Seitdem ist auf erschreckende Weise klar geworden, wer in dieser Frage recht hatte, und wer es war, der da etwas nicht gemerkt hatte. Und es stellt sich im Rückblick die schmerzliche Frage: Wäre vieles in der Weltpolitik anders gekommen, wenn damals Romney zum Präsidenten gewählt worden wäre? Mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte Putin in diesem Fall nicht so leichtes Spiel damit gehabt, seine Aggressionspolitik voranzutreiben. Geschichte ist zu einem nicht geringen Teil auch die Geschichte von verpassten Gelegenheiten.

In den vergangenen Jahren wurden wir nun aber Zeugen einer erstaunlichen Umkehrung der Verhältnisse. Demokraten, die damals Obamas Wahlkampf organisierten, bedauern heute, Romney wegen seiner Position zu Russland derart heftig angegriffen zu haben. Offen gestehen sie ein, die Gefahr unterschätzt zu haben, die bereits damals erkennbar von den geostrategischen Absichten Russlands unter Wladimir Putin ausging. Doch während die meisten aktuellen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei eine feste Haltung gegenüber Moskau befürworten und vor der massiven Einmischung des Kreml in die inneren Angelegenheiten der USA warnen, sind es jetzt Trump und seine Gefolgsleute in der Republikanischen Partei, die diese Gefahr herunterspielen oder ganz ableugnen - und sich dabei sogar als Schallverstärker für  russische Desinformationskampagnen betätigen. So verbreiteten Trump und eine Reihe führender Republikaner die von der Kreml-Propaganda in die Welt gesetzte Lüge, die Ukraine, und nicht Russland, habe sich in den Präsidentschaftswahlkampf 2016 eingemischt.

Dass die Republikanische Partei, die während des Kalten Kriegs ein festes Bollwerk gegen die Subversion der amerikanischen Demokratie durch die Sowjetunion bildete, jetzt als Komplize des russischen Desinformationskriegs fungiert, ist ein alarmierendes Zeichen für das Ausmaß, das die Korrumpierung weiter Teile der westlichen Eliten bereits erreicht hat - und für deren historische Amnesie. Putins Russland propagiert zwar nicht mehr den Kommunismus, doch seine Methoden sind eine exakte Kopie der Praktiken, mit der schon die sowjetische Führung die westlichen liberalen Demokratien zu zerstören versuchte.

Zwar gibt es im US-Kongress, bei Demokraten wie Republikanern, noch immer eine deutliche Mehrheit, wenn es um Sanktionen gegen die russische Aggressionspolitik und um die Unterstützung für die Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität geht. Auch das US-Außenministerium hält in dieser Frage bislang klaren Kurs, wie sich bei dem Besuch von Außenminister Mike Pompeo kürzlich in Kyiv zeigte. Die US-Militärhilfe, die Trump als Erpressungsmittel für seine persönlichen Interessen einsetzen wollte, ist gegenüber dem Vorjahr sogar weiter angewachsen.

Doch indem sie im Impeachment-Verfahren die persönlichen Ambitionen des Präsidenten mit dem Verfassungsrecht gleichsetzten, haben die Republikaner Trump einen Freibrief auch für jegliche seiner willkürlichen weltpolitischen Wendungen ausgestellt. Sollte es ihm etwa in den Sinn kommen, an den Institutionen und der Legalität vorbei einen "Deal" mit dem von ihm bewunderten Kreml-Herrn - auf Kosten der Ukraine oder anderer Opfer Putins - abzuschließen, wird er kaum noch mit Widerstand aus den republikanischen Reihen zu rechnen haben. Mitt Romney ist womöglich der letzte Repräsentant jener stolzen Tradition der "Grand Old Party" Abraham Lincolns und Ronald Reagans, der nicht bereit ist, seine Überzeugungen und Prinzipien zu verraten.

Richard Herzinger

Der Autor ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der Welt und Welt am Sonntag. Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. In der Reihe "Intervention" möchten wir künftig kompakte, meinungsstarke Stücke zu politischen oder kulturellen Themen veröffentlichen. Hier der Link zur Originalkolumne. D.Red.