Intervention

Apologetische Haltung

Von Richard Herzinger
28.02.2020. So notwendig es ist, prioritär den Rechtsextremismus als die aktuell größte innere Gefahr für Freiheit und Demokratie zu bekämpfen, so kontraproduktiv ist es, dies mit der historischen Weißwäsche der scheinbar entgegengesetzten Seite zu verbinden. Die Linkspartei ist weit davon entfernt, eine zuverlässige Stütze der pluralistischen Demokratie zu sein.
Der Terrorakt in Hanau unterstreicht auf grauenvolle Weise, dass die größte Gefahr für die öffentliche Ordnung und für die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit vom Rechtsextremismus ausgeht. Dabei spielt keine Rolle, dass der Täter nicht unmittelbar in einschlägigen radikalen Zusammenhängen aktiv war. Dass "Einzeltäter", die sich durch das Aufsaugen von Hasspropaganda im Internet radikalisieren, aus eigenem Antrieb zur mörderischen Tat schreiten, ist mittlerweile ein bekanntes Muster des Terrors von rechts außen. Doch auch organisierter rechtsextremer Terrorismus wird in Deutschland zur akuten Bedrohung. Nur wenige Tage vor der Bluttat von Hanau zerschlugen die Behörden eine neonazistische Zelle, die Anschläge auf Politiker und muslimische Bürger und Einrichtungen plante.

Zu lange ist die Gefahr, die von gewaltbereiten Rechtsextremisten ausgeht, von den etablierten politischen und gesellschaftlichen Kräften unterschätzt oder - vor allem von konservativer Seite - gar verharmlost worden. Vor dem Hintergrund der jüngsten Reihe von Mordtaten, darunter an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, hat sich das geändert. Auch der christlich-soziale Innenminister Horst Seehofer betont jetzt, dass die größte Bedrohung der inneren Sicherheit des Landes vom rechten Rand ausgeht. Zu Recht auch wird von der demokratischen Öffentlichkeit die rechtsnationalistische AfD für diese Entwicklung mitverantwortlich gemacht. Mit ihren rassistischen und völkisch-nationalistischen, den Nationalsozialismus verharmlosenden Äußerungen fördert sie eine Atmosphäre, in der sich rechtsextreme Gewalttäter zu ihren Verbrechen ermutigt fühlen. 

Doch die dringend notwendige Mobilisierung gegen Rechtsaußen hat einen problematischen Nebeneffekt. Den Parteien der bürgerlichen Mitte wird nicht nur zu Recht abverlangt, jegliches Bündnis mit der AfD auszuschließen. Sie werden nun auch massiv bedrängt, ihre "Äquidistanz" gegenüber Links- und Rechtsaußen aufzugeben und die SED-Nachfolgepartei Die Linke als eine "normale" demokratische Partei sowie als unverzichtbaren Bündnispartner gegen den Neonazismus anzuerkennen. Doch auch wenn zweifellos ein großer Unterschied zwischen pragmatischen Linken-Politikern wie dem bisherigen (und wohl auch kommenden) thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow einerseits und AfD-Anführern wie Björn Höcke andererseits besteht, der laut Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werden darf - die Linkspartei als Ganzes ist weit davon entfernt, eine zuverlässige Stütze der pluralistischen Demokratie zu sein.

In ihren Reihen tummeln sich vielmehr Radikale, die auch gewaltsame Aktionen gegen die demokratische Ordnung gutheißen. Die Linkspartei, die das westliche Bündnis und namentlich die Nato ablehnt, pflegt zudem ein zumindest zwiespältiges Verhältnis zu autoritären Regimes weltweit. Große Teile der Partei stehen in "antiimperialistischer" Solidarität fest zu dem Maduro-Regime in Venezuela. Die Linkspartei hat von Anfang an Sanktionen nicht nur gegen Putins Russland, sondern auch gegen das Assad-Regime in Syrien abgelehnt. In ihrer apologetischen Haltung gegenüber dem Putin-Regime weist sie im übrigen eine große Übereinstimmung mit der AfD auf, die wie sie Kreml-Propaganda verbreitet.

Bis heute hat sich die Linkspartei nicht klar von ihrer kommunistischen Vergangenheit distanziert. Mit ihrer Weigerung, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen, relativiert sie systematisch den grundlegenden Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie. Nicht zuletzt hat die SED-Nachfolgepartei dadurch geholfen, dem Aufstieg der AfD den Boden zu bereiten. Die Ressentiments gegen die angebliche "Kolonisierung" der östlichen Bundesländer durch den Westen, die sie jahrzehntelang geschürt hat, kommen heute auch den Rechtsextremisten zugute.

Von zahlreichen Kommentatoren wird aber suggeriert, der Linksextremismus habe grundsätzlich einen "humaneren" Kern als der Rechtsextremismus, weil er im Gegensatz zu Letzterem die Gleichheit aller Menschen bejahe. Die Linkspartei profitiert dabei von dem weit verbreiteten Mythos, nach dem der Kommunismus bei allen seinen Fehlern doch immerhin eine konsequent "antifaschistische" Kraft gewesen sei. Dabei wird immer wieder fälschlicherweise behauptet, wer auf die Ähnlichkeiten zwischen faschistischen und kommunistischen Diktaturen hinweist, setze letztere mit dem Nationalsozialismus gleich. Doch warum die in der Sowjetunion bereits vor Hitlers Machtergreifung praktizierte Massenvernichtung und -verfolgung weniger ungeheuerlich sein soll, weil das NS-System diese Untaten noch übertraf und mit dem Holocaust ein unvergleichliches Menschheitsverbrechen beging, leuchtet nicht ein.

Ausgeblendet wird im "antifaschistischen" Mythos auch der Anteil der Kommunisten an der Zerstörung der Weimarer Demokratie. Nicht die NSDAP, sondern die von ihnen als "sozialfaschistisch" gebrandmarkten Sozialdemokraten galten ihnen in der Endphase der Weimarer Republik als Hauptfeind. Immer wieder gab es damals von kommunistischer Seite zudem Versuche, die extreme Rechte für ein Zweckbündnis gegen den verhassten "westlichen Imperialismus" zu gewinnen - bis diese Liaison in Form des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 zeitweilig furchtbare Wirklichkeit wurde.

Als der Massenterror in der Sowjetunion nach Stalins Tod nachließ, fing er in anderen kommunistischen Staaten wie der Volksrepublik China oder Kambodscha erst richtig an. So notwendig es ist, prioritär den Rechtsextremismus als die aktuell größte innere Gefahr für Freiheit und Demokratie zu bekämpfen, so kontraproduktiv ist es, dies mit der historischen Weißwäsche der scheinbar entgegengesetzten Seite zu verbinden. Die tatsächliche Frontlinie in diesem Kampf verläuft nicht zwischen "Links" und "Rechts", sondern zwischen den Verteidigern des demokratischen Rechtsstaat und seinen Feinden jeglicher Couleur.

Richard Herzinger

Der Autor ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der Welt und Welt am Sonntag. Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. In der Reihe "Intervention" möchten wir künftig kompakte, meinungsstarke Stücke zu politischen oder kulturellen Themen veröffentlichen. Hier der Link zur Originalkolumne. D.Red.