Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
17.06.2002. In der Lettre erinnert sich Ziauddin Sardar an seine Jahre in Mekka. Outlook India stellt den zukünftigen Staatspräsidenten Indiens vor: ein Atomwissenschaftler und Moslem. In L'Espresso kritisiert Diego Maradona die WM-Schiedsrichter. Der Economist erklärt die Tücke schmutziger Bomben. Die NYT Book Review bespricht ein Buch über eBay.
Lettre International (Deutschland), 10.06.2002
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Weitere Artikel in der besten Zeitschrift Deutschlands: Geert Lovink analysiert die Kunst der Geldvernichtung: "Die Protagonisten der Dotcom-Welle hatten die Geschichte auf ihrer Seite, die Möglichkeiten konnten sich eigentlich nur vervielfältigen. Was also war schiefgelaufen?" Abgedruckt ist ein Briefwechsel zwischen Navid Kermani und Natan Sznaider über den Teufelskreis der Argumente im Nahostkonflikt. Wole Soyinka denkt über die Banalität der Macht nach. Peter Pannke folgt den Spuren des Minnesängers Heinrich von Morungen auf seiner Orientfahrt, und Bernd Mattheus schreibt über die "Legende des Saint Arto" (Antonin Artaud).
Nur im Print lesen wir unter anderem ein Porträt Charles-"La Mer"-Trenets von Alfred Simon, Eduardo Berti schreibt über Borges und den Tango, Jochen Gerz liefert eine Anthologie der Kunst und es gibt einen Text von Mahmud Darwish: Der Brunnen.
Outlook India (Indien), 24.06.2002
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Sanjay Suri hat sich Andrew Lloyd Webbers Musical "Bombay Dreams" angesehen, das am 19. Juni in London Premiere hat: Alles sehr bunt, sehr spektakulär (donnernder Monsoon inklusive), mit zwei Worten: "straight Bollywood". Oder eben doppelt Bollywood, denn die Story handelt vom Aufstieg eines Underdogs aus den Bombay-Slums in die Glitzerwelt der indischen Filmindustrie. Bleibt die Frage, ob es dafür ein Publikum gibt jenseits der indischen Weltgemeinde. Um ein Renner wie die anderen Webber-Produktionen zu werden, meint Suri, müssten schon alle Anteil nehmen. "But to an Indian who can think of flights in hours and not rupees, London cannot have another attraction this summer to match this one." Webber selbst ist übrigens zuversichtlich. Im Interview erklärt er, er glaube an einen Hit, "like Cats".
Bei den Buchvorstellungen schließlich stoßen wir auf "A Princely Impostor", eine Arbeit des renommierten indischen Historikers (er arbeitet am Centre for Studies in Social Sciences in Kalkutta) Partha Chatterjee, die spannende Lektüre verspricht. Ausgehend von einem authentischen Fall aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts rekonstruiert Chatterjee den mysteriösen Tod, das vermeintliche Wiederauftauchen und den jahrelangen Prozess um die Existenz eines hohen indischen Würdenträgers (des Kumars von Bhawal) und untersucht die nationalistische Bewegung in jener Zeit sowie ihre Einflüsse auf Recht und Gesetz in Britisch-Indien. Der Fall entpuppt sich letztlich als "a very complicated negotiation between competing notions of truth" - jene der Zeitgeschichte und jene des Gesetzes. Beide, heißt es in der Besprechung, verfügten über Wege der Beweisführung, die womöglich nicht objektiv, aber ebenso wenig willkürlich seien.
Espresso (Italien), 20.06.2002
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Außerdem probiert Giorgio Bocca Silvio Berlusconis Lieblingsmenü: "Antipasto tricolore, spaghetti tricolore, un gelato tricolore". Und Margherita Acierno stellt uns die neuen "Königinnen des Laufstegs" vor: Eugenia Volodina und Natalia Vodianova aus Russland, ein perfektes Komplementär-Pärchen, die beiden: "Verkörpert Eugenia den Prototyp der agressiven Frau, ist Natalia ganz Sanftheit: Mädchengesicht, Schmollmund, volles dunkelblondes Haar - eine natürliche Schönheit, wie sie im Buche steht, eine wahre Lolita auf dem Catwalk."
Economist (UK), 15.06.2002
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"Books and Arts" bespricht ein neues Shakespeare-Glossar, das erfolgreich das erklärte Ziel verfolgt "to highlight the range and multiplicity of meanings and so strengthen the reader's intuition for the language" des alten Barden. Alle, die Shakespeare für England längst verloren glaubten, weil, so die Annahme, kein Mensch auf der Insel das alte Idiom mehr versteht (und die anderen ihre Übersetzungen haben), dürfen sich freuen: Mit seinen 21263 Einträgen sticht Ben und David Crystal's "Shakespeare's Words" nicht nur seine Vorgänger an Genauigkeit locker aus, es bietet dem Leser auch Erklärungen zu dramatis personae, zur Mythologie, zu Shakespeares London und zu den auftauchenden Dialekten. "It is sometimes assumed that it is only a question of time before Shakespeare becomes inaccessible. But does time come into it?" Mit diesem Buch wohl vorerst nicht.
Weitere Artikel befassen sich mit dem New Yorker Kunsthandel-Skandal um unterschlagene Verkaufssteuern (hier), mit der Zukunft des Multi-Milliarden-Dollar-Geschäfts "space tourism" (hier) und mit den von isländischen Wissenschaftlern neu erstellten "linkage maps", genealogisch vergleichenden Gen-Karten, die erblichen Krankheiten besser auf die Schliche kommen sollen als die "physical maps" des Genomprojekts (hier).
New York Times (USA), 16.06.2002
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In Carole Angiers "The Double Bond" (Auszug) hat Richard Eder eine perfekte Biografie über Primo Levi gefunden, die den "verschlungenen Komplexitäten und Widersprüchen des Menschen und Schriftstellers" gerecht wird. Er schreibt: "Whether by influence or otherwise, Angiers approach to Levi suggests something of Holroyd's way with George Bernard Shaw: a determination to understand, nudge, infiltrate and all but become her subject. Scrupulously indexed and annotated (113 pages of endnotes for 731 pages of text), 'The Double Bond' is remarkable in all senses of the word."
Besprochen wird auch Mark Costellos zweites Buch "Big If", ein Agenten-Roman auf der Fährte Don DeLillos ("Costello has clearly read ''White Noise'' and ''Underworld,'' but like all good novelists he has created a thoroughly original universe"), das der "American obsession with assassination" nachgeht, indem es den Leser in die Welt des Secret Service mitnimmt. Hier eine Audio-Lesung mit Costello.
Daphne Merkin schließlich (die übrigens gerade an einer Studie über Depression arbeitet) nimmt sich Catherine Millets "The Sexual Life of Catherine M." zur Brust und befindet: Zu wenig Liebe (von der romantischen Sorte) und viel zu wenig Humor. Als ob es darum ginge in dem Buch!
Spiegel (Deutschland), 17.06.2002
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Im Weißen Haus ist die Schonzeit vorüber. Gerhard Spörl sammelt Anzeichen für eine gehörige Schieflage des Präsidentendampfers: Spannungen mit dem Außenminister, Stillstand in den Nahostverhandlungen, Geheimdienstschelte wegen der Versäumnisse vor 09/11. Und dann entpuppte sich auch noch die als dringend benötigter Erfolg ersehnte Festnahme des "dirty bombers" Abdullah al-Muhajir als eher bescheidene Leistung, insofern als die "dreckige Bombe" noch kaum in Planung gewesen ist und der Hinweis aus einer üppigen Quelle stammt: Abu Subeida, Personalchef des Qaida-Netzwerks wird von der CIA in Pakistan eingehend "interviewt".
Ferner stellt uns Lars-Olav Beier die isländische Sex-Komödie "101 Reykjavik" vor ("als wäre der spanische Regiestar Pedro Almodovar in Reykjavik zwischengelandet"), und wir erfahren, welche Vorteile die bevorstehende Übernahme des Musikkanals Viva durch AOL Time Warner für Gorny und Co. mit sich bringt: Sie können mit dem US-Konzern eine strategische Allianz bilden, mit einem Viva-Sender als reinem Musikkanal, und lang gehegte Expansionspläne vorantreiben: eine weltumspannende MTV-Konkurrenz. Viva-Interessent MTV wird also doppelt in die Röhre gucken.
Express (Frankreich), 13.06.2002
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Sand, Wasser, Sonnencreme setzten so manchem Buch zu, das man am Strand liest, weshalb der eine oder andere Leser das Lesen im Sommer dann lieber ganz lässt. Der Express berichtet, welche Marketingmaßnahmen die französischen Verlage unternehmen, um doch noch den einen oder anderen zu überzeugen, dass so ein paar Sandkörner zwischen den Buchdeckeln nicht so schlimm sind. Besonders gut verkaufen sich in Frankreich "Le Pianiste" von Wladyslaw Szpilman, dessen Adaption Roman Polanski die goldene Palme in Cannes eingebracht hat und natürlich - immer noch - "La vie sexuelle de Catherine M." von Catherine Breillat. Auch ohne großartige Werbung mehr als 266 000 mal verkauft, bereits im letzten Jahr. Es lebe die Kunst - auch ohne Kommerz.
Weitere Artikel: Vincent Hugeux hat mit Charles Enderlin über sein Buch "Le rêve brise" gesprochen, das den Friedensprozess im Nahen Osten seit 1995 nachzeichnet und sein Scheitern analysiert.
Und: In Frankreich reicht die Verbindung von Chanson und Literatur bis in die Zeit zwischen den Weltkriegen zurück. Gestern waren es Brecht, Sartre, Prevert und Aragon, die der Musik ihre literarische Stimme liehen, heute sind es Nothomb, Dijan, Nimier und Ravalec. Eine kleine Lektion in der Geschichte des französischen Chansons erhalten Sie hier.