Magazinrundschau - Archiv

Culturas

3 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 21.12.2004 - Culturas

In der Kulturbeilage der katalanischen Tageszeitung La Vanguardia, schreibt Miquel Cuenca einen interessanten über ein auch hierzulande wenig bekanntes weiteres Opfer von Golfkrieg eins und zwei: die von dem Lauten- bzw. Oud-Großmeister Munir Bashir gegründete irakische Akademie für arabische Musik in Bagdad. "Bashirs Geschichte ist eine arabische Version des 'Falles Furtwängler': Anspruchsvollste Kunst unter einem verbrecherischen Regime." Die Zukunft von Bashirs Erbe ist dem Autor zufolge mehr als ungewiss: "Traditionell wurde die irakische Kunstmusik durch ein besonderes System des Selbstlernens weitergegeben: Der Schüler muss das musikalische Wissen seines Lehrers rauben, er muss ihm lange unbemerkt zuhören, sich seinen Stil aneignen, um sich schließlich in einem ersten Konzert der Öffentlichkeit zu stellen, einem Publikum von Fachleuten, unter diesen auch der von ihm verehrte Meister, der nichts von dem Diebstahl wissen darf. Aber nach Tod oder Emigration so vieler Meister, bei wem sollen da die heutigen Schüler noch stehlen?"

Die Kritiker von Culturas haben gewählt: Die besten Bücher des Jahres 2004. Bei den spanischsprachigen Titeln steht unangefochten an erster Stelle Roberto Bolanos kürzlich postum veröffentlichtes Monumentalepos "2666" (siehe auch hier): "'2666' ist dazu berufen, nicht nur der große spanischsprachige Roman des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts zu sein, sondern auch eines dieser fundamentalen Werke, die die Gesamtheit einer Literatur bestimmen. Wir befinden uns hier vor einer neuen Art, die Welt (nicht mehr) zu verstehen", dekretiert J. A. Masoliver Rodenas. Immerhin gleich an zweiter Stelle in der Gunst der Kritiker steht Gabriel Garcia Marquez' durchaus umstrittener neuer Roman "Memorias de mis putas tristes" ("Erinnerung an meine traurigen Huren"). Unter den fünf besten nicht-spanischsprachigen Titeln sind diesmal gleich zwei deutsche: "Tintenherz" von Cornelia Funke ("la Rowling alemana") und Ilse Aichingers Erstling aus dem Jahr 1948, "Die größere Hoffnung".

Magazinrundschau vom 01.11.2004 - Culturas

Ausgerechnet jetzt, wo der Herbst begonnen hat und alle arbeiten - oder wenigstens wählen - gehen sollen, singt Culturas, das Kulturmagazin der katalanischen Zeitung La Vanguardia, dankenswerterweise einmal mehr das Lob des Müßiggangs: Jordi Ibanez Fanes klassifiziert die Energieleistung der großen Philosophen - "Stünden Descartes und Wittgenstein angesichts der gegenwärtigen akademischen Hyperaktivität nicht als totale Schlafmützen da, die den Mund nicht aufkriegen, geschweige denn jemals all das publiziert bekämen, was man heutzutage zu publizieren hat?" Gloria Soler untersucht die Geschichte der Sommerfrische am Sonderfall des (katalanischen) Großbürgertums, insbesondere dessen "Kultur des Zweitwohnsitzes" in ländlicher Abgeschiedenheit, die durch zunehmende Verstädterung vor dem Verschwinden steht. Und Enric Soria kommt mit der Bibel zu dem Ergebnis: "Wir hatten die paradiesische Muße nicht verdient."

Passend hierzu eine ausführliche Rezension von "Memorias de mis putas tristes", dem neuen Roman von Gabriel Garcia Marquez, in dem ein Neunzigjähriger seine Mußestunden mit der Betrachtung einer schlafenden Schönen verbringt. Offensichtlich sehr zufrieden mit der Lektüre lobt J. A. Masoliver Rodenas insbesondere die Melancholie, Delikatesse und Abgeklärtheit von Autor und Erzähler. Voll des Lobes über die Sprache, Feinfühligkeit und Erzählkunst von Altmeister Garcia Marquez zeigt sich auch der Schriftsteller Marcelo Birmajer in seiner Rezension für das argentinische Magazin Radar - Birmajer rät, das kunstvolle kleine Werk keinesfalls in einer (Liebes)Nacht durchzufetzen, sondern häppchenweise zu genießen -, und selbst die "argentinische F.A.Z.", die strenge La Nacion aus Buenos Aires, rühmt "die lächelnde und verspielte Melancholie" des Buches. Die hymnische Besprechung aus El Pais ist dagegen leider nicht im Netz nachzulesen.

Magazinrundschau vom 09.08.2004 - Culturas

In Deutschland aus der Mode gekommen, in den USA von einer großen konservativen Partei vereinnahmt, anderswo aber durchaus noch aktuell: "Was den Republikanismus auszeichnet, ist sein Begriff von Freiheit", erklärt der irische Princeton-Politologe Philip Pettit in einem Interview mit der Kulturbeilage der katalanischen Tageszeitung La Vanguardia (Zugang nach kostenloser Registrierung). "Er ersetzt den liberalen Grundsatz der Freiheit als Nicht-Einmischung durch den Gedanken der Nicht-Herrschaft". Auch eine freiwillige Unterwerfung bedeute schließlich Freiheitsverlust. Hingegen sei die republikanische Ablehnung jeglicher Herrschaft und jeglicher Einmischung in das Leben anderer der wohl "älteste Wert westlicher politischer Kultur" schlechthin, so Pettit.

Ebenso interessant: ein Interview mit dem kolumbianischen Maler Fernando Botero. Der hat sich in den letzten Jahren erstmals systematisch mit der allgegenwärtigen Gewalt seines Heimatlandes auseinandergesetzt. "Ein wahrer Maler kann etwas Tragisches wie den Tod in etwas Dekoratives verwandeln", behauptet er im Gespräch mit Sergio Alvarez. Tatsächlich haben seine dem Nationalmuseum in Bogota überlassenen Bilder von Gefolterten, Trauernden und Massakrierten nach wie vor etwas Liebliches. Und füllig sind seine Figuren natürlich auch noch. Obwohl er durchaus hofft, dass diese Gemälde und Zeichnungen nachdenklich darüber stimmen, wie Kolumbien sich "gegen das Leben versündigt", macht sich Botero über ihre Wirkung keine Illusionen: "Politisch gesehen ist Kunst harmlos. Ihre Macht liegt in der Geschichte, in ihrer Fähigkeit, zum Symbol einer Epoche zu werden".

Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit Gedichten, die aus Werbe-Emails (Spam) zusammengewürfelt werden. Hier ein schönes Beispiel: "Amerikanische Patrioten / Was können wir für dich tun / Wir haben beschlossen, deinen Kreditrahmen zu erhöhen / Deinen Penis jetzt verlängern / Wir bieten kostenloses Geld / Wähle Bush / Deine Frau wird es nie erfahren". Autor Toni Blanco empfiehlt insbesondere den Weblog von Kristin Thomas sowie Spamradio.com, wo der ganze Müll auch noch vertont wird. Außerdem in Culturas: eine Besprechung neuer spanischsprachiger Bergsteiger-Literatur, eine wohlwollende Rezension des neuen Erzählbandes von Eloy Tizon sowie eine Liste der derzeit von spanischen Verlagen an Journalisten versandten Leseproben.