Mord und Ratschlag

Mord durch angewandte Bibelkunde

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
31.08.2004. Ein Serienmörder hat es in Ingrid Blacks Roman "Der siebte Tag" auf Prostituierte abgesehen. Ein anderer ahmt ihn nach. Beide argumentieren mit der Bibel.
Der Mörder schreibt der "Dublin Post": "Der Körper von Maddy Holt wies dreizehn postmortale Stichwunden auf, je eine für Christus und die Apostel." Wie jeder Satz, charakterisiert auch dieser seinen Verfasser genau: die besserwisserische Präzision, die umfassende Bildung, die Maßlosigkeit, die Theologie. Der Autor beschwert sich: Er, Ed Fagan, habe zwar tatsächlich vor sieben Jahren binnen zwölf Monaten fünf Dubliner Prostituierte getötet, im Detail hätten die Berichte der "Post" aber vor Fehlern gestrotzt. Nun werde er fünf weitere Gottlose sterben lassen und dann verschwinden, "da mein Werk vollbracht sein wird".

Die frühere FBI-Ermittlerin Saxon, die jetzt in Dublin lebt, weiß, dass der Briefschreiber lügt: Er kann nicht Ed Fagan sein, der wegen polizeilich gefälschter Beweise freigesprochen werden musste und dann vermeintlich untergetaucht ist, denn sie selbst hat Fagan umgebracht, vielleicht in Notwehr, aber sicher ist sie sich da nicht. Auch ihrer Geliebten, der Dubliner Kriminalpolizistin Grace Fitzgerald, wagt sie nicht zu sagen, was sie getan hat. Sie muss mitansehen, wie die irischen Ermittler nach einem Mörder suchen, der längst tot ist, während sein Nachahmer in Fagans Stil seine Ankündigung wahrmacht. Als Erstes erwischt es eine Mary. Sie wird dort gefunden, wo schon Fagan ein Opfer abgelegt hatte.

Ingrid Blacks Roman "Der siebte Tag" zeigt den Serienmörder als Superhirn. Er formt sein Leben, wem gelingt das schon, zu einer Ganzheit. Die Bibel, von den autoritären Büchern das wirkmächtigste, bildet dafür den idealen Subtext: Woher sonst sollten Fagan und sein Imitator die Sprüche beziehen, die sie auf kleinen Zetteln bei ihren Opfern hinterlassen ("Alle Schlechtigkeit ist gering gegen die Schlechtigkeit einer Frau")? Erwischt wird der zweite Mörder erst, als er, am Ende einer tödlichen Krankheit, Aufklärung und Schlussstrich will. Vorher hält er alleine die ganze Dubliner Polizei und ihre ausländischen Helfer zum Narren.

Und die Leser. Die irische Kolumnistin Eilis O'Hanlon und der Kinderbuchautor Ian McConnel, die sich für ihr erstes gemeinsames Buch das Pseudonym Ingrid Black zugelegt haben, spielen ihre Professionalität aus. Sie können, im Krimi die Ausnahme, richtig schreiben. Reihum machen sie jeden verdächtig. Auch die Ich-Erzählerin Saxon: Warum ist die Amerikanerin überhaupt nach Dublin gezogen? Warum sagt sie nicht, wo sie in den Stunden vor dem Mord an Mary war? Sonst erzählt sie doch minutenkurze Szenen seitenlang nach. Hat man sie einmal in Verdacht, wirken ihre Worte mehrdeutig. Aber das gilt auch für viele andere, die auf der Seite der Mordverhinderer stehen oder stehen sollten: zum Beispiel die Kriminalpsychologen Mort Tillman und Lawrence Fisher, den Reporter Nick Elliott, den katholischen Theologen Max Salvatore, diverse Dubliner Polizisten und natürlich Saxons Geliebte Grace Fitzgerald. Man ist zunächst versucht zu bemäkeln, dass der Mörder, abgesehen von vier ausführlichen Briefen, vor seiner Enttarnung zu selten auftritt. Wäre es nicht eindrucksvoller gewesen, wenn er ständig vor der Nase des Lesers herumgelaufen wäre, ohne dass der ihm draufgekommen wäre? Aber diese Kritik ginge fehl: Ingrid Black hat sehr auffällige Hinweise auf den Täter gegeben, man konnte sie gar nicht übersehen, hat sich aber verleiten lassen, sie für irreführend zu halten. Technisch ist das sehr geschickt. Black hat die Möglichkeiten des Whodunit und seiner speziellen Spannung auf hohem Niveau ausgereizt.

"Fast schon chandleresk", wie die Irish Times schrieb, ist "Der siebte Tag" dagegen gerade nicht. Raymond Chandler (1888 - 1959) war ein Anti-Rätsler. In sieben Romanen und vielen Erzählungen zeigt er einen nie gefesselten amerikanischen Kapitalismus, in dem jeder zum Mörder werden kann, der gierig genug ist oder der einfach überleben will. Wer dann tatsächlich getötet hat, ist nicht so wichtig, meist sind es sowieso mehrere. Verglichen damit, beruhigt Black: Letztlich ist doch nur einer verrückt.

Trotzdem dürfte sich auch das irische Autorenpaar mehr auf den Spuren Chandlers gesehen haben als auf denen der Rätselkönigin Agatha Christie und ihrer vielen Epigonen. Auch Ingrid Black wollte einen ernst zu nehmenden Roman schreiben, mit ganzen Menschen, echter Polizeiarbeit und einem Dublin zum Wiedererkennen. Deshalb haben Saxon, Fitzgerald und andere eine interessante oder auf interessante Art uninteressante Libido, deshalb ist das Berufsleben nicht nur der Polizisten so wirklichkeitsnah wirr und ermüdend. An ein paar Stellen kommen sich, wie in vielen Krimis, Realismus und Ratespiel in die Quere: Den einen oder anderen kann Black nur verdächtig machen, in dem sie ihm ein äußerst unwahrscheinliches Verhalten zuschreibt, und es gibt ein paar blinde Motive, wichtige unerklärte Details, die dann nie wieder vorkommen. Insgesamt hat das Personal von "Der siebte Tag" aber genug Substanz, dass es auch einen Nicht-Krimi tragen würde. Einen richtigen Roman.


Ingrid Black: "Der siebte Tag". Roman. Deutsch von Birgit Moosmüller. C. Bertelsmann Verlag, München 2004, 447 Seiten, gebunden, 21,90 Euro
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