Mord und Ratschlag

Mordswut

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
14.03.2007. Unerbittlich führt Kate Atkinson in "Liebesdienste" ihre Helden durch das Festivalgedränge von Edinburgh und ihrem Schicksal entgegen. Auf diesen Wegen wächst dann leider kein Gras mehr.
Theaterfestivalzeit in Edinburgh: Es herrscht der alljährliche Ausnahmezustand. Versammelt sind Künstler und Möchtegernkünstler und jede Menge Publikum. Daneben geht das Leben der Stadt weiter, schiebt und schlängelt sich um das allgegenwärtige Festivalgedränge herum. Und manchmal kommt es zum Zusammenstoß. Ein solcher bildet den Kern von Kate Atkinsons Roman "Liebesdienste". Ein Auto knallt auf ein anderes. Der Mann aus dem hinteren Wagen steigt aus, hat plötzlich einen Baseballschläger in der Hand und prügelte den Mann aus dem vorderen zu Brei, holte nicht ein ganz unbeteiligter Zuschauer mit seiner Laptoptasche aus und knallte sie dem Angreifer an den Kopf. Der eine kommt mit dem Leben davon, der andere hat eine - buchstäblich zu nehmen - Mordswut im Bauch und ein Dritter stirbt, obwohl er, wenn auch ein Unsympath, mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hat.

Der Zusammenstoß mit Folgen ist der Ausgangspunkt des Buches, aber wie Atkinson so intelligent wie unterhaltsam darum herum und neben dran und mitten durch ihre Fäden zieht und Schlingen schlingt, das macht ihr so schnell keiner nach. So zahlreich wie vielfältig ist das Personal. Martin Canning heißt der, der mit der Laptoptasche wirft - eine Tat, die ihm, wie wir bald erfahren, nicht ähnlich sieht. Unter Pseudonym schreibt er Krimis mit einer jugendlichen Ermittlerin , die in jenen besseren Tagen spielen, in denen es noch keinen Sex gab. Sex hat auch die fast sechzigjährige Gloria nicht, oder jedenfalls kaum noch, mit Graham, ihrem untreuen Ehemann, den der Herzinfarkt ereilte beim Liebesspiel mit einer Domina. Nun liegt er im Koma und seine Gattin wünscht ihm das baldige Ableben. Einer der beiden Unfallfahrer ist in diesen Strang der Geschichte verwickelt, wie aber genau, erfährt man erst ganz zum Schluss. Mit im Spiel ist Jackson Brodie, Ex-Polizist und nach einem Millionenerbe Ex-Privatdetektiv, zudem schon der Held von Atkinsons Vorgängerroman "Die vierte Schwester". Nach Edinburgh verschlagen hat ihn ein Auftritt seiner Freundin Julia, die gerne Schauspielerin wäre, es aber bei Lichte betrachtet eher nicht ist. Brodie, gegen jede Gewohnheit mit dem Bus unterwegs, findet am Strand im Vorort von Edinburgh eine weibliche Leiche, doch ehe er sich versieht, spült die Flut sie davon. Er setzt sich auf ihre Spur, pfuscht der ermittelnden Polizistin ins Handwerk - was die irgendwann zu schätzen weiß - und bekommt nach und nach heraus, wie alles mit allem zusammenhängt.

Oder vielleicht nicht alles mit allem. Denn Brodie ist eine eher am Rand stehende, jedenfalls ins kunterbunte Panorama scharf gezeichneter Charaktere sehr genau eingepasste Hauptfigur. Im Grunde hat hier nur eine die Übersicht, und das ist die Autorin, die mit atemberaubender Virtuosität die Perspektiven wechselt und dem Krimiplot gibt, was des Krimiplots ist, ohne je die fliegenden Fahnen sinken zu lassen, mit denen die Figuren ihrem Schicksal zusteuern oder auch ihr Schicksal dergestalt in die Hand nehmen, dass kein Gras mehr wächst, wo sie gingen und standen. Der heimliche Protagonist der mit viel Liebe zum bitterbösen Detail und zum hämischen Spruch und Gedanken vorgeführten Edinburgher Narrengesellschaft ist sowieso ein anderer. Der Tod nämlich - auch als Sensenmann herbeizitiert -, der die Lebenden fällt, wie und wo er mag. Oder vielleicht sollte man auch sagen, dass Kate Atkinson hier mit Gusto die Sense führt, als wäre sie der Schnitter selbst.

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Aus anderem Holz geschnitzt sind Benjamin H. Schutz' Roman "Unerbittlich", der in Washington D.C. und Baltimore spielt, und auch seine Figuren, denen es freilich nicht weniger übel ergeht als ihren Leidensgenossen in Edinburgh. Schutz, der selbst im Hauptberuf Gerichtspsychologe ist, zeigt, wohin ein bis aufs Messer geführter Scheidungs- und Sorgerechtskrieg führen kann. Der Ex-Football-Spieler und Nie-Wirklich-Star Tom Tully erwischt seine Frau beim Kuss vor dem gemeinsamen Haus mit einem Fremden. In diesem Moment übernimmt ein eiserner Vernichtungswille die Regie. Tully tut sich mit einem Anwalt zusammen, der alle schmutzigen Tricks kennt und wirklich keinen davon auslässt, und nimmt seiner Frau das Haus, das Geld, die Kinder, im Grunde alles, wofür sie lebt. Rasch steht sie in diesem Blitzkrieg mit dem Rücken zur Wand. Der einzige Verbündete ist der vom Gericht bestellte Psychologe namens Morgan Reece, selbst ein Mann, der eine Last aus der Vergangenheit mit sich schleppt. Er vermittelt ihr Lou Carlson, einen fähigen Anwalt, der sich eigentlich nach einem Herzinfarkt schon auf einen Unijob zurückgezogen hatte, nun aber der Gerechtigkeit halber noch einmal in den Gerichtssaal zurückkehrt.

Schnell macht er Boden gut, indem er die schmutzigen Tricks mit Hilfe eines Privatdetektivs - und auch der immer auch ziemlich törichten Verworfenheit Tom Tullys - kontert. Es leiden natürlich die Kinder und aller Beteiligten Nervenkostüme. Benjamin H. Schutz ist kein filigraner Autor und auch nicht unbedingt ein Spezialist für komplexe Charakter- und Plotentwicklung. Der Sog, den sein Roman entwickelt, ist dennoch - oder vielleicht auch deshalb - beträchtlich. Man beobachtet mit angehaltenem Atem, welche Schurkerei Tully und seinen Spießgenossen, welcher raffinierte Hebelgriff Lou Carlson und Tullys Ehefrau Serena in diesem Ballett der gegenseitigen Grausamkeiten noch einfällt. Und wehe, wenn man auf das Ende sieht. Ein Mangel an Konsequenz ist Benjamin H. Schutz gewiss nicht vorzuwerfen.


Kate Atkinson: "Liebesdienste", Droemer Knaur Verlag, München 2007, gebunden, 492 Seiten, 19,90 Euro

Benjamin M. Schutz: "Unerbittlich". Droemer Knaur Verlag, München 2007, kartoniert, 429 Seiten, 7,95 Euro
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