Post aus Neapel

Im Land der Garnelen

Von Gabriella Vitiello
21.02.2006. Zwei Monate vor den Wahlen rennt eine Phalanx aus Dokumentarfilmern, Satirikern und Umberto Eco gegen die mediale Allmacht Silvio Berlusconis an. Die Opposition hinkt hinterher.
Umberto Eco sprengt die Einschaltquoten. Fünf Millionen Zuschauer sahen den bekannten Semiotiker und Schriftsteller Anfang Februar im dritten Programm der staatlichen Rai, zu Gast in Fabio Fazios Sendung "Que tempo fa" (Video). Die Mischung aus intelligentem Talk, Satire und Wettervorhersage wirft auch einen Blick auf das gesellschaftliche Klima. Der große Publikumserfolg der Sendung mit Eco dürfte in Silvio Berlusconi blanken Neid ausgelöst haben. Getrieben von schlechten Wahlumfragen, hat er gerade einen vierwöchigen TV-Marathon hinter sich: Er allein war etwa doppelt so oft auf dem Bildschirm zu sehen, wie alle übrigen führenden Politiker zusammen, bekam aber in der politischen Talk-Show Porta a Porta von Moderator und Journalisten im Schnitt nur halb so viele Fragen gestellt wie sein politischer Gegner Romano Prodi. Berlusconis Tour de Force umfasste staatliche und private Sender. Egal wohin man zappte, in irgendeinem TV-Studio saß immer der Premier, live, aufgezeichnet oder als Wiederholung, und machte Werbung in eigener Sache, obwohl der Wahlkampf offiziell erst am 11. Februar begann. Für eine Sendung engagierte Berlusconi sogar einen persönlichen Regisseur, in einer anderen unterstützen ihn jugendliche Claqueure, und in einer dritten stellte sein ehemaliger Regierungssprecher die Fragen.

Anlass der selten Fernseh-Präsenz Umberto Ecos war dessen neues Buch, das vor kurzem in Italien erschien. Es ist kein Zufall, dass "A passo di gambero - Guerre calde e populismo mediatico" (Im Garnelengang - heiße Kriege und Medienpopulismus) pünktlich zum Wahlkampf erscheint, gilt Eco doch als unnachgiebiger und dauerhafter Kritiker der Telekratie a la Berlusconi. Eigentlich hatte Eco seinem Verleger eine Sammlung seiner philosophischen und semiologischen Essays versprochen, doch im Hinblick auf die Parlamentswahlen am 9. April schien es ihm dringlicher, seine politischen und medienkritischen Artikel, Essays und Vorträge zur "Ära Bush-Berlusconi" aus den Jahren 2000 bis 2005 zu bündeln (hier das Vorwort). "Vielleicht ist es die Geschichte leid, voranzuschreiten", sagte Eco in "Que tempo fa". Das Land laufe rückwärts, wie die Garnelen auf dem Meeresboden - so der Semiotik-Professor. Beispielsweise werfe das Gesetz zum Föderalismus Italien zurück in die Zeit vor der Einigung 1861, und in den Fußballstadien sei wieder der "romanische Gruß" üblich, den Eco als Zehnjähriger im Faschismus auch ausführen musste. "Italien hat sich in den vergangenen fünf Jahren auf den Weg des Untergangs begeben. Wenn wir so weitermachen, werden wir definitiv ein Land der "Dritten Welt" prophezeite Eco im Corriere della Sera.

Das vermeintlich Neue, was die "Laborwerkstatt Italien" seiner Analyse nach hervorgebracht hat, ist das "medienpopulistische Regime" Berlusconis: mit Hilfe des Fernsehens umgeht der Premier - ähnlich wie in einer Diktatur, ohne allerdings eine solche schaffen zu müssen - das Parlament und wendet sich direkt ans Volk, das er als einzige Legitimierungsinstanz seiner Macht anerkennt. Das "Volk" ist nach Eco allerdings etwas, das es nicht gibt. Berlusconis Satz "'ich lasse mich nur vom Volk beurteilen’, ist ein Populismus, der auf der Fiktion basiert, dass allein das Volk einem Recht gibt", erklärt der Intellektuelle. Außerdem erinnert Eco an einen wichtigen Grundsatz der Kommunikationstheorie: "Die Massenmedien erzeugen keine Meinungen, sie verstärken nur die schon bestehenden." Berlusconis Manipulationspotential werde deshalb irgendwann an seine Grenzen stoßen: wenn die Wählerschaft entschlossen sei, ihn abzuwählen, dann wird ihm das Fernsehen auch nichts nützen, erklärt Eco. Dass diese "italienischen Verhältnisse" im Ausland immer wieder besorgte Anteilnahme hervorrufen, erlebt der Semiotiker auf seinen Reisen. Die mehr demütigenden als tröstenden Schläge auf die Schulter, die Solidarität signalisieren sollen, dechiffriert er als überhaupt nicht altruistisch. "Ich erkläre den Ausländern immer: Ihr tut so, als wärt ihr um uns besorgt, aber das stimmt gar nicht. Ihr habt bloß Angst, dass euch so etwas auch passieren könnte."

Ähnliche Erfahrung hat auch die Filmemacherin Sabina Guzzanti gemacht, als sie ihren Dokumentarfilm "Viva Zapatero" über ihre Erlebnisse mit der Zensur in der staatlichen Senderkette Rai auf internationalen Filmfestivals präsentierte: "Im Ausland wird mein Film wie ein Thriller erlebt, wie ein Alptraum, der auch in anderen Ländern wahr werden könnte", sagte die Satirikerin in einem Interview in der Tageszeitung il manifesto. "Viva Zapatero" hat soeben den italienischen Dokumentarfilmpreis, "Il nastro d’argento", erhalten. Für Guzzanti ist die Auszeichnung ein unerwarteter Erfolg und ein später Triumph gegenüber der Rai, die ihre Satire-Sendung "RaiOT" nach nur einer von sechs geplanten Folgen im Herbst 2003 aus dem Programm strich. In "RaiOT" - der Titel ist ein Wortspiel aus ’Rai ’ und dem englischen ’riot’ für Aufruhr - hatte Guzzanti mit der italienischen Medienlandschaft abgerechnet, von maßgeschneiderten Gesetzen für Berlusconis Unternehmen Mediaset über die Konzentrierung von Werbeeinnahmen bis hin zu einem manipulierten Informationssystem, gegen das niemand rebelliert - außer ein paar Komikern. Der Verwaltungsrat der Rai begründete damals das Aus für RaiOT damit, dass Mediaset eine Verleumdungsklage gegen das staatliche Fernsehen angestrengt habe und zudem Schadensersatz verlange, seien doch die Börsenwerte des Medienkonzerns nach der Sendung gefallen.

"Viva Zapatero" dokumentiert Guzzantis persönliche Spurensuche nach den Ursachen, Umständen und den Folgen der erlittenen Zensur. Erschreckend ist die Szene, in denen die Satirikerin mit dem Mikro in der Hand die Mitglieder des damaligen Rai-Verwaltungsrates zu einer Stellungnahme bittet. Die italienische Justiz hatte in allen Instanzen entschieden, dass RaiOt Mediaset keineswegs diffamiert, sondern nur die Tatsachen geschildert hatte. Auf Guzzantis Frage, ob denn nun RaiOT nun wieder ins Programm könne, bekam die Satirikerin keine Antwort. Mit arrogantem, verächtlichem Gesichtsausdruck ließen die Oberen der Rai sie einfach kommentarlos stehen. Die italienische Presse wiederum - und nicht ausschließlich nur rechte Blätter und Redaktionen - diskutierte nicht den Sachverhalt der Zensur, sondern versteifte sich auf den Vorwurf, dass Guzzanti die Satire mit Information verwechselt habe, und folglich kein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit vorliege, weil eine Satiresendung sowieso keine Nachrichten machen dürfe.

Guzzanti führte auch Interviews mit Satirikern und Journalisten im Ausland. Das größte Unverständnis löste dort die ausgebliebene Rebellion auf die Zensur aus. Statt aber Berlusconi und seinen Handlangern zu widersprechen, konzentrierten auch Vertreter der heimischen Opposition ihre Kritik auf Guzzanti. Deswegen ist die Satirikerin skeptisch, was die Rückkehr zur Meinungsfreiheit betrifft, sollte das Mitte-Links-Bündnis die Wahlen gewinnen. Bislang gibt es keine konkreten Vorschläge, wie die Verquickung von Politik und Fernsehen in Italien, wo der Verwaltungsrat der Rai ausschließlich von Politikern ernannt wird, gestoppt werden soll. In ihrem Blog hat Sabina Guzzanti dazu einen Gesetzesvorwurf veröffentlicht, der sich an dem medienpolitischen Modell von Jose Luis Rodriguez Zapatero orientiert. Unmittelbar nach seiner Wahl hatte der spanische Premier die Unabhängigkeit des Fernsehens durchgesetzt.

Im offiziellen Wahlkampf haben die Politiker die Fernsehbühne für sich reserviert. Das so genannte Par condicio-Gesetz legt fest, dass seit dem 11. Februar im staatlichen und öffentlichen TV ausschließlich Politiker über Politik sprechen dürfen - und das nur, wenn das Kräfteverhältnis zwischen Opposition und Mehrheit ausgeglichen ist und beiden Seiten die exakt gleiche Rededauer gewährt wird. Journalisten, Komiker, Schriftsteller oder Filmemacher haben, wenn es um Politik geht, im Fernsehen Redeverbot. Die Zivilgesellschaft muss auf der TV-Piazza bis zu den Wahlen den Mund halten, gleich ob es um Kürzungen im Kulturetat, Probleme im Gesundheitswesen oder Umweltverschmutzung geht.

Da kommt der Dokumentarfilm von Enrico Deaglio, Direktor der Wochenzeitung diario, und dem Journalisten Beppe Cremagnani wie gerufen. "Quando c’era Silvio. Storia del periodo berlusconiano" (Die Zeit mit Silvio. Geschichte der Ära Berlusconi) kombiniert den Rückblick auf eine Epoche mit einem Abgesang auf den Premier. Der Dokumentarfilm erscheint am ersten März als DVD und wird über diario, das landesweite Netz der Feltrinelli-Buchhandlungen und in Videotheken vertrieben. Deaglio hatte zwar beim dritten Programm der Rai nachgefragt, ob Interesse an dem Film bestehe, aber nie eine Antwort erhalten.

"Quando c’era Silvio" verbindet Reportage-Elemente mit journalistischer Recherche und grotesken Szenen wie in Michael Moores "Fahrenheit", frischt die Erinnerung an dreißig Jahre italienische Geschichte auf und präsentiert eine Reihe von nie veröffentlichten Dokumenten und Interviews. Der Film beginnt mit dem Grab Berlusconis. Der Hausherr persönlich führt einen in Anbetracht der Geschmacklosigkeiten entsetzten Gorbatschow durch das bombastische Mausoleum in seiner Villa in Arcore. Deaglio und Cremagnani zeigen Aspekte der Silvio-Story, die die großen nationalen Zeitungen stiefmütterlich behandeln und die die Rai lieber in ihre Archive verbannt. Dazu gehört Berlusconis Straßburger Rede in voller Länge - und nicht nur in kurzen Ausschnitten - zu Beginn der italienischen EU-Präsidentschaft, die in der Beschimpfung des SPD-Europaabgeordneten Martin Schulz als "Kapo" gipfelte.

Im Mittelpunkt der neunzigminütigen Dokumentation über den Premier, der sein Vermögen seit seinem Einstieg in die Politik verdreifachte und nach fünfjähriger Amtszeit nochmals deutlich reicher ist als zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode, stehen Berlusconis vermeintliche Geschäftsbeziehungen zur Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Zwei von Berlusconis Vertrauten und Mitarbeitern wurden wegen Kontakten zur Cosa Nostra verurteilt. Der Senator Marcello dell’Utri, der laut erster richterlicher Instanz von 2004 für neun Jahre in Haft muss, wählt heute die Kandidaten für die Wahlliste von Forza Italia aus. Während des Prozesses gegen dell’Utri machte der Zeuge Berlusconi von seinem Recht Gebrauch, die Fragen der Richter mit Schweigen zu beantworten. Scham und Unbehagen bestimmen das Interview des Journalisten Fabrizio Calvi mit dem sizilianischen Richter Paolo Borsellino im Frühjahr 1992. Calvi fragt Borsellino, ob es normal sei, dass die Cosa Nostra Interesse an Berlusconi hätte. Der Richter antwortet sechzig Tage vor seiner Ermordung: "Es ist normal, dass ein Inhaber großer Geldbeträge nach Mitteln sucht, um dieses Geld einzusetzen, sowohl was die Geldwäsche anbelangt, als auch was die Erträge angeht, die das Geld einbringen kann." Deaglio und Cremagnani hoffen, dass ihr Film "ein Knaller" wird. (Hier ein Interview mit Deaglio im Corriere della sera.)

Für kinematographische Neuigkeiten über Berlusconi sorgt der Regisseur Nanni Moretti. Nach seinem politischen Engagement in der außerparlamentarischen Oppositions-Bewegung der Girotondi ist der Filmemacher zu seinem alten Metier zurückgekehrt. "Il Caimano" (Der Kaiman) kommt am 24. März in die italienischen Kinos. Moretti erzählt darin den verzweifelten Versuch einer jungen Regisseurin, einen Film über Silvio Berlusconi zu drehen. Sie findet jedoch keinen Schauspieler, der bereit wäre, den Part zu übernehmen. Als der einzige Anwärter auf die brisante Rolle nach einer Zusage wieder abspringt, driftet der Film ins Mysteriöse, Surreale ab. Mehr will Moretti zurzeit nicht verraten. Doch der Filmemacher versichert, dass "Il Caimano" irritieren werde und Zweifel aufkommen lasse (ein Interview mit Moretti im Espresso).

Viele würden die Ära Berlusconi mit den Wahlen in zwei Monaten gerne hinter sich lassen. Wie Enrico Deaglio wünschen sich Künstler, Journalisten und Intellektuelle, nur noch in der Vergangenheitsform über den Medienpremier zu sprechen und mit der Analyse der letzten zwölf Jahre zu beginnen. Über eine neue Facette in der Geschichte des Unternehmers Berlusconi berichtete vor kurzem die Tageszeitung La Repubblica. In Mailand ist das Programmheft aufgetaucht, dass Berlusconi an dreißig Top-Manager seines Fininvest-Konzerns verteilen ließ. Die Broschüre von 1991 strotzt vor faschistoider Ideologie und diktatorischen Weltverbesserungsphantasien und beweist, dass Berlusconi entgegen aller Behauptungen nicht erst 1994 die politische Bühne betreten hat, sondern bereits drei Jahre zuvor die Urform eines politischen Programms vorlegte. Die Texte in dem Heft schrieben Vertraute und Freunde des Mailänder Unternehmers, die sich auch heute noch in seinem Dunstkreis bewegen, wie etwa der ehemalige Kulturminister Giuliano Urbani. Über die Rolle der Medien theoretisiert der Forza Italia-Ideologe und Ästhetik-Professor Baget Bozzo für das Heft und erklärt, dass die vom Fernsehen vermittelte Realität zwar eine interpretierte, aber gleichwohl eine objektive sei: "Die Welt wird zu dem, was wir im Fernsehen sehen."

Die Kontrolle der Medien war vermutlich dennoch keine Idee Berlusconis. Die Fininvest-Broschüre weist Parallelen mit den Richtlinien der geheimen Freimaurerloge Propaganda 2 (P2) auf, der Berlusconi 1978 beitrat: Mitgliedsnummer 1816 (mehr). Der Industrielle und Ex-Faschist Licio Gelli hatte die P2 gegründet und darin die mächtigsten Vertreter der gesellschaftlichen Elite versammelt, um die Schaltstellen im Land unter Kontrolle bringen zu können: Generäle, Geheimdienstler, Journalisten, Industrielle und Bankiers, von denen nicht wenige Beziehungen zur Mafia pflegten. Ziel der Geheimloge war ein Staatsstreich, um zu verhindern, dass die Kommunisten an die Regierung gelangten. 1981 beendete die Staatsanwaltschaft die rechten und verschwörerischen Machenschaften der P2. In den vergangenen Jahren hat Gelli der Presse mitgeteilt, dass Berlusconi seine politischen Ideen größtenteils von ihm übernommen habe. Zu einer öffentlichen Debatte führten derartige Artikel nicht. Es sind Eintagsfliegen im Medienalltag; und Zeithistoriker, die diese Epoche für die Öffentlichkeit beleuchten könnten, haben in Italien derzeit keine Stimme.

Ein seit zwölf Jahren andauernder Interessenkonflikt des Medienzars und Politikers Berlusconi hat das Erinnerungsvermögen im Land vernebelt. Deswegen rufen einige Journalisten, Künstler und Intellektuelle derzeit den Italienern auch wieder ins Gedächtnis, dass es die Mitte-Links-Regierung von 1996 war, die entgegen aller Versprechungen den Interessenkonflikt nicht per Gesetz löste. Über diesen gravierenden institutionellen Fehler spricht bis heute keiner der verantwortlichen Politiker gern; und statt sich - wie immer wieder betont - von Berlusconis Fernsehwahn abzugrenzen, waren die führenden Oppositionspolitiker selbst immer eifrige Gäste in den TV-Salons. Die Konsequenzen des Interessenkonflikts sind allgegenwärtig.

Dazu gehört auch das auf Berlusconi zugeschnittene Reglement der TV-Duelle kurz vor den anstehenden Wahlen. Die parlamentarische Rai-Aufsichtskommission hat festgelegt, dass der Premier gleich zweimal auf den Kandidaten der Mitte-Links-Partei, Romano Prodi, trifft, Mitte März und Anfang April. Vor fünf Jahren hatte sich Berlusconi noch mit allen Mitteln geweigert, gegen seinen damaligen Widersacher Francesco Rutelli anzutreten. Nun hat er seine Redebereitschaft gleich verdoppelt und wird sowohl als Vorsitzender des Mitte-Rechts-Bündnisses und als Parteichef von Forza Italia auf Prodi treffen. Die Redezeit der Kandidaten wurde allerdings nicht reglementiert. Auch besteht nicht das Recht, einer Behauptung des Gegners direkt zu widersprechen. Berlusconis Redewut bleibt unkontrolliert. Lächerlicher Abschluss des TV-Wahlkampfes und das große Finale der One-Man-Silvio-Show ist die so genannte Pressekonferenz des Premiers zwei Tage vor der Wahl, um die letzten unentschlossenen Wähler von sich zu überzeugen.

Die Journalisten Gianni Barbacetto (Homepage) und Giacomo Papi haben sich in der Zeitschrift diario schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie das italienische Fernsehen nach Silvio aussehen könnte, wenn das Mitte-Links-Bündnis Unione gewinnt. Die Neuordnung der Medienlandschaft ist kompliziert und erfordert vor allem viel Mut. Das Fernsehen- und Medien-Kapitel im Wahlprogramm der Unione liest sich zwar nett und vielversprechend, bleibt aber relativ vage und macht nur etwa drei Prozent des gesamten Programms aus (Seiten 259ff. des pdf-Dokuments). Dass keine neue parteipolitische Parzellierung der Rai vorgenommen wird, wie es in Italien seit Jahrzehnten üblich ist, wird zwar von Mitte-Links-Abgeordneten derzeit beteuert. Gesichert ist das Vorhaben, das Fernsehen aus den Fängen der Politik zu befreien, nicht und für eine seriöse Änderung müsste ein Gesetz verabschiedet werden, ähnlich wie Sabina Guzzanti in ihrem Blog vorschlägt.

Barbacetto und Papi haben Zweifel, ob eine Mitte-Links-Regierung es tatsächlich gegen die mächtige Mediaset-Lobby aufnehmen will und kann, die sogar in den eigenen Reihen Anhänger hat. Die Monopolstellung von Berlusconis Mediaset-Unternehmen zu durchbrechen ist langwierig und aufwendig, denn Berlusconi kontrolliert nicht nur Sender, Verlage, Print-Medien und Kinovertriebe, sondern auch Werbeeinnahmen und Dank des unter seiner Regierung verabschiedeten Mediengesetzes den Verkauf der Decoder für das terrestrische Digitalfernsehen. Das GesetzGasparri’ hat Mediaset zudem einen Zuwachs von etwa einer Milliarde Euro für die Zukunft gesichert. Eine künftige Regierung müsste außerdem den Interessenkonflikt lösen, ein effizientes und unabhängiges Kontrollorgan gegen mögliche Verstöße einführen und sich darauf einigen, wie viele Frequenzen und Sender ein Unternehmer belegen und besitzen darf.

Die Zukunft des Fernsehens liegt jedoch woanders, erklären Barbacetto und Papi in ihrem Artikel. Langfristig werde über Satellit und Telefonkabel gesendet werden, und Berlusconi sitze schon in den Startlöchern und träume davon, die Telecom zu übernehmen, die zukünftige Schaltzentrale des Fernsehen. Sollte ihm das gelingen, wird er noch lange der italienische Medienmogul bleiben. Eine ernsthafte Medienreform müsste deswegen eine klare Trennung zwischen dem Betreiber oder Besitzer eines Senders und dem Lieferanten der Inhalte durchsetzen. Im Wahlprogramm der Unione ist dies als Vorsatz festgehalten. Ob Prodi und Verbündete tatsächlich das Dickicht aus Politik, Technik, Lobbys, Markt und Sendern lichten können - die Weichen dazu könnten in zwei Monaten gestellt werden.