9punkt - Die Debattenrundschau

Geistige Spiegelbilder

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.12.2023. Der postkolonialen Linken, die Deutschland einen "Schuldkomplex" unterstellt, entgegnet der Historiker Frank Trentmann in der taz: Wir sollten "nicht vergessen, dass man in den heutigen Debatten zu Israel auch in anderen Ländern sehr viel um sich selbst kreist." Nicht Armut in den Herkunftsländern, sondern Arbeitskräftemangel im Westen bedingt Migration, schreibt der Soziologe Hein de Haas im Guardian. "Der Westen ist heute von innen noch mehr bedroht als von außen", glaubt Heinrich August Winkler in der FAS. Auf ZeitOnline skizziert die Soziologin Katharina Blum Russlands Abkehr vom Westen. Und die FAZ ploggt ins Jahr 2024.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.12.2023 finden Sie hier

Geschichte

Buch in der Debatte

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In seinem aktuellen Buch "Aufbruch des Gewissens. Eine Geschichte der Deutschen von 1942 bis heute" widmet sich der Historiker Frank Trentmann dem ambivalenten Umgang der Deutschen mit moralischen Fragen. Es überrasche ihn nicht, dass im postkolonialen Milieu zunehmend von einem "Schuldkomplex" der Deutschen die Rede sei, sagt er im taz-Gespräch mit Till Schmidt: "Denn in der Tat hinkte die Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte in Deutschland lange Zeit weit hinterher und hat noch heute etwa in Schulbüchern keinen angemessenen Platz. Doch diese Defizite kausal darauf zurückzuführen, dass die Deutschen zu viel über den Holocaust reden, ist geschichtswissenschaftlich und politisch einfach Unsinn. Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass man in den heutigen Debatten zu Israel auch in anderen Ländern sehr viel um sich selbst kreist. In Großbritannien etwa werden aktuell die zivilen Opfer in Gaza von vielen Menschen symbolisch so stark aufgeladen, weil darüber auch der eigene Status in einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft oder allgemein die Themen Kolonialismus und Rassismus verhandelt werden."

Am 1. Januar tritt in Österreich die Änderung des Bundesgesetzes über das Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich in Kraft. Ehrenzeichen werden dann aberkannt, wenn der nach diesem Bundesgesetz Ausgezeichnete eine "führende Rolle (…) in der Verwaltung des nationalsozialistischen Regimes innehatte und sich aktiv an den Planungen oder der Ausführung von nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligte", berichtet Willi Winkler in der SZ: Anlass ist ausgerechnet der deutsche Beamte Hans Globke, ausgezeichnet mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich. "Als ihn Adenauer 1949 ins Kanzleramt holte, war keineswegs unbekannt, dass der Jurist Globke 1936 den maßgeblichen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasst hatte. Durch die juristische Ausgrenzung der Juden, die Globke maßgeblich zu verantworten hat, wurde ihre systematische Ermordung bürokratisch vorbereitet.(...)Am peinlichsten ist das Ganze naturgemäß für die CDU, wenn man sogar bei ihrer Schwesterpartei ÖVP von der 'kompromisslosen Pflicht' spricht, die Wahrheit über den allzeit staatstragenden Beamten Globke anzuerkennen, wozu die CDU aber offensichtlich noch immer nicht bereit ist. Friedrich Merz, als Parteivorsitzender Nachnachfolger von Adenauer wie von Barzel, war auch auf wiederholte Nachfrage der SZ nicht zu einer Reaktion bereit."
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Politik

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Nicht Armut in den Herkunftsländern verursacht Migration, vielmehr ist die Nachfrage nach Arbeitskräften seit den 1990er Jahren der Haupttreiber der wachsenden Einwanderung in westliche Länder, schreibt der Soziologe Hein de Haas, der gerade ein Buch über die Mythen der Migration veröffentlicht hat, im Guardian. "Ohne diesen chronischen Arbeitskräftemangel wären die meisten Migranten nicht gekommen. Aber das war kein natürlicher Prozess. Vielmehr ist es eine Entwicklung, die durch eine jahrzehntelange Politik zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktliberalisierung gefördert wurde, die das Wachstum prekärer Arbeitsplätze befeuert hat, die einheimische Arbeitnehmer nicht annehmen wollen. Politiker von links bis rechts kennen diese Realität, aber sie wagen nicht, dies zuzugeben, aus Angst, als 'nachgiebig gegenüber Einwanderung' angesehen zu werden. Stattdessen entscheiden sie sich dafür, auf politische Effekthascherei zurückzugreifen, die den Anschein von Kontrolle erweckt, in Wirklichkeit aber als Deckmantel dient, um die wahre Natur der Einwanderungspolitik zu verschleiern. Im Rahmen dieser aktuellen Regelung wird immer mehr Migranten die Einreise gestattet, und die Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Papiere wird weithin toleriert, da sie den entscheidenden Arbeitskräftemangel ausgleichen."

Erdogans Vergleich zwischen Netanjahu und Hitler ist idiotisch, aber auch nicht der Empörung wert, winkt Deniz Yücel in der Welt ab. Irrsinnig ist vielmehr, wer hier vergleicht, immerhin "der Präsident eines Staates, in dem die aggressive Leugnung des Genozids an den Armeniern zum nationalen Selbstverständnis gehört und Widerspruch gegen diese regierungsamtliche Sicht immer wieder strafrechtlich verfolgt wird. Es spricht der Präsident eines Staates, der alles und jeden rigide unterdrückt und verfolgt, was oder wer irgendwie kurdisch klingt, und sich dabei nicht einmal auf das eigene Staatsgebiet beschränkt, sondern auch in Syrien und im Irak sein Militär bomben und schießen lässt. Noch in derselben Rede, in der er Netanjahu mit Hitler gleichsetzte, brüstete sich Erdogan: 'Seht, innerhalb von 36 Stunden wurden 54 Terroristen vernichtet. Das Blut unserer Märtyrer bleibt nicht auf dem Boden.' Im Übrigen drängt sich zwischen Erdogan und Netanjahu ein ganz anderer Vergleich auf als irgendwas mit Hitler: ein Vergleich zwischen ihnen beiden nämlich. (…) Als im Zuge der Gezi-Proteste 2013 die halbe Türkei gegen Erdogan aufbegehrte, ließ er die Demonstranten brutal niederknüppeln. Angesichts der Massenproteste gegen seine Justizreform tat Netanjahu nichts dergleichen."

Die Hamas machte bei ihren Anschlägen auch vor der arabischen Bevölkerung Israels nicht halt, in Folge ließ das Leid jüdische und arabische Bürger näher zusammenrücken, berichtet Mareike Engelhusen im Tagesspiegel: "Eine Umfrage des Israel Democracy Institute scheint seine Deutung zu stützen. Seit 2003 fragt die liberale Denkfabrik regelmäßig ab, ob sich verschiedene Bevölkerungsgruppen als 'Teil des Staates Israels und seiner Probleme' sehen. Noch nie war die Zustimmung unter sämtlichen Gruppen so hoch wie nach dem 7. Oktober. 70 Prozent der arabischen (und 94 Prozent der jüdischen) Befragten antworteten mit 'Ja'. Noch im Juni, fünf Monate zuvor, hatte die arabische Zustimmungsrate bei nur 48 Prozent gelegen."
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Europa

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In ihrem gerade erst erschienenen Buch untersucht die Soziologin Katharina Blum das Verhältnis Russlands zum Westen. Im ZeitOnline-Gespräch skizziert sie die Konflikte unter Russlands Eliten und erklärt, wie Russland sich nach den "brachialen" Einschnitten in den 90er-Jahren vom Westen abwandte: "Ende der 1990er-Jahre entstand in Russland das Zerrbild, dass Liberalismus und Demokratie gleichzusetzen sei mit der kriminellen Bereicherung einiger weniger, mit korrupten Parteien und einem schwachen Staat, der seine Schutzfunktion nicht wahrnimmt. (...) In der BRD wurde die Demokratie unter Bedingungen eines Wirtschaftswunders eingeführt. In Russland führte die Schocktherapie zu einem massiven sozialen und ökonomischen Statusverlust. Die Lebenserwartung sank, vor allem bei den Männern. Und die neuen Eigentümer der Unternehmen, die Oligarchen, fühlten sich für die gesellschaftlichen Zustände nicht verantwortlich. In dieser Zeit nahm die illiberal-konservative Bewegung gegen den Liberalismus und die Westintegration ihren Ausgang. Ich bezeichne die 1990er-Jahre daher als intellektuelles und politisches Laboratorium. Zu Ende des Jahrzehnts waren dann schon große Teile der Eliten und der russischen Bevölkerung überzeugt, dass die Restauration und Rezentralisierung der Staatsmacht zwingend erforderlich ist."

In der taz fordern die Politologen Michael von der Schulenburg und Hajo Funke, beide Unterzeichner von Schwarzers und Wagenknechts "Manifest für Frieden" "endlich Diplomatie" im Umgang mit Russland. Putin wäre sicher bereit, er sei ja gar kein "revisionistischer Imperialist", behaupten sie: "Viel eher ist anzunehmen, dass der Anlass des Krieges auch mit der Eskalation zwischen der Ukraine und Russland im Vorlauf des Krieges und auch mit der wachsenden Beteiligung von Nato-Mitgliedstaaten an der Aufrüstung, Ausbildung und Manöverbeteiligung in den Monaten und Jahren vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands zu tun hat. (…) Als Antwort auf die von Russland als Provokationen verstandenen Aktionen bot Russland im Dezember 2021 der Nato und den USA einen Vertragsentwurf mit Vorschlägen für Sicherheitsgarantien für beide Seiten an, um einen Nato-Beitritt der Ukraine noch zu verhindern. Diese Vorschläge wurden nicht einmal diskutiert, sondern abgelehnt."

"Es wäre fatal, sich von diesen Sirenenklängen verführen zu lassen. Wenn Putins Russland aus dem von ihm entfesselten Angriffskrieg als Sieger hervorgeht, dann wird die Ukraine nicht das letzte Opfer des russischen Imperialismus sein", warnt der Historiker Heinrich August Winkler im Gespräch, das Ralph Bollmann mit ihm auf den Wirtschaftsseiten der FAS geführt hat. "Der Westen ist heute von innen noch mehr bedroht als von außen", meint er außerdem: "In den westlichen Demokratien haben fast überall Kräfte am Boden gewonnen, die sagen: Die sogenannten Herrschenden regieren über die Köpfe der sogenannten einfachen Leute hinweg. Das ist seit dem späten 19. Jahrhundert das Motto aller Populisten. Alt ist auch der Vorwurf, die da oben dächten international und nicht wirklich national. Im Zuge der Globalisierung spielt er wieder eine prominente Rolle, erneut ist mit international oder global oft 'jüdisch' oder 'jüdisch beeinflusst' gemeint. (…) Nach dem Untergang des Sowjetkommunismus hat sich der Westen als vermeintlicher Sieger der Geschichte gefühlt. Dadurch ging die Notwendigkeit verloren, sich der eigenen Werte bewusst zu bleiben."

Das System Lukaschenko bröckelt immer mehr, glaubt die belarussische Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja, die im taz-Gespräch mit Jens Uthoff erzählt, dass sie zunehmend Insiderinformationen aus dem System erhält, aber auch die immer drastischeren Schikanen des Regimes schildert. Die Belarussen fordert sie auf, die Wahlen im Februar zu verweigern, von der EU verlangt sie "eine Synchronisierung der Sanktionen gegen die diktatorischen Regime in Belarus und Russland, nicht aber gegen das Volk. Schlupflöcher müssen geschlossen werden. Belarus ist zum Beispiel einer der größten Exporteure von Kalidünger, eine wichtige Einnahmequelle für Lukaschenko. Der Handel mit Düngemitteln aus Belarus ist zwar von Sanktionen betroffen, Russland kann jedoch immer noch über EU-Häfen an Drittstaaten exportieren. So lassen sich Sanktionen leicht umgehen. Wir können auch mit Daten belegen, dass es genug Dünger in der Welt gibt, sodass arme Staaten nicht unter einem totalen Bann leiden würden. Es gibt also kein Argument für diese Ausnahmeregelungen."

Zu den meistdiskutierten Büchern des Jahres gehört Dirk Oschmanns "Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung". Im Gespräch mit der Berliner Zeitung teilt Oschmann gegen seine Kritiker aus, lenkt aber auch ein: "Natürlich gibt es eine klare Selbstverantwortung. Die Lage ist ja nicht nur so, weil der Osten womöglich vom Westen unterjocht worden ist. Das zu sagen, wäre überzogen und falsch. Der Osten muss die Möglichkeiten, die es gibt, auch nutzen. Viele haben das gemacht, sind beispielsweise in den Westen oder ins Ausland gegangen. Ich gehöre ja selbst dazu." Polnische Soziologen hätten sein Buch begrüßt, erzählt er: "weil die Deutschen, wofür man sich nur schämen kann, leider seit Jahrhunderten dünkelhaft auf die Polen herabblicken. Auch in Amsterdam gab es großes Interesse. Das Verhältnis zwischen Deutschland und den Niederlanden wird dort betrachtet als Verhältnis zwischen großem und kleinem Bruder."

Absolut richtig, dass der Rechtsstaat mit allen Mitteln gegen terroristische Bedrohungen durch Islamisten vorgeht, meint Ronen Steinke in der SZ, nicht nur mit Blick auf die Sicherheitsmaßnahmen an Silvester. Aber: "Mehr als 200 Menschen sind allein seit der Wiedervereinigung durch deutsche Rechtsextremisten ermordet worden, meist ohne dass der Staat deshalb großen Alarm geschlagen hätte. Und wenn jetzt, in der Nacht auf Donnerstag, in Wuppertal die Parole 'Moslems raus' vielfach rund um das Rathaus gesprüht worden ist, oder wenn Musliminnen und Muslime derzeit mehr um ihre Sicherheit fürchten als sonst - dann nehmen die rechten Täter gemeinsam mit ihren geistigen Spiegelbildern vom 'Islamischen Staat' die freie, pluralistische Gesellschaft in den Zangengriff. Es darf nicht geschehen, dass sich die Gesellschaft bei manchen Opfergruppen daran gewöhnt. Das wäre der größte Erfolg dieser Terroristen."

Auf ZeitOnline findet es der Terrorismus-Experte Peter Neumann indes "absurd, wie lange es nach dem 7. Oktober dauerte, bis die deutschen Behörden von einer erhöhten Terrorlage sprachen. Erst Ende November warnten mehrere Landesminister und auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang nannte die Gefahr 'real' und 'so hoch wie seit Langem nicht mehr'. Laut Neumann seien die Auswirkungen aber schon kurz nach dem 7. Oktober offensichtlich gewesen: mehr Aktivität von Gefährdern, die bis dahin passiv waren, und sehr viel Aktivität und antisemitische Hetze in den sozialen Medien. Er sieht den Angriff der Hamas und die darauffolgende Reaktion Israels als Gamechanger für die dschihadistische Szene. Zuvor sei bei Islamisten eine gewisse Ziellosigkeit und Stagnation zu beobachten gewesen. Nun aber, so seine Hypothese, gebe es ein ähnlich traumatisches Ereignis wie den 11. September oder den Ausbruch des Syrienkrieges, das die Situation verändere."
Archiv: Europa

Ideen

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Der kanadische Historiker Quinn Slobodian spricht in seinem aktuellen Buch "Kapitalismus ohne Demokratie" von einem "Zersplitterungskapitalismus", der die Welt in immer kleinere Zonen wie Mikronationen, Privatstädte und Steueroasen teilt. Der spätestens seit 2016 stattfindende Backlash gegen die Globalisierung werde oft als eine "Rückkehr zum Nationalstaat" beschrieben, das sei irreführend, meint er im ZeitOnline-Gespräch: "Kaum ein Staat hat sich zuletzt vom Ziel des beschleunigten Wirtschaftswachstums verabschiedet oder gar Autarkie angestrebt. Im Gegenteil: Oft wird ein noch wettbewerbsorientierter Kapitalismus angestrebt. Rechtspopulistische Globalisierungskritiker sind meist nicht gegen die Globalisierung, sondern bloß für eine andere Form von ihr. Dabei hilft ihnen die Zone. (…) Nehmen Sie die britischen Torys, deren wirtschaftspolitische Grundidee der letzten Jahre in der Schaffung von Freihäfen und Wirtschaftssonderzonen bestand. Es geht also um Steuerschlupflöcher und rechtliche Ausnahmen, die ausländische Investoren anlocken und globalen Handel verstärken sollen. Oder Ungarn: Viktor Orbán gibt sich gern als rechter Globalisierungskritiker, ist aber großer Fan von Sonderwirtschaftszonen, erst jüngst hat er eigens für Samsung eine geschaffen. Oder Polen, wo die rechtskonservative PiS-Regierung praktisch das ganze Land in eine Sonderwirtschaftszone verwandelt hat. Beim Rechtspopulismus geht es also keineswegs 'nur' um ethnonationalen Chauvinismus, sondern auch um ein radikales Konzept kapitalistischer Wettbewerbsfähigkeit."

"Schloschim" werden die 30 Tage nach der Beerdigung genannt, in denen man nach jüdischer Tradition um die Verstorbenen trauert. Der amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen hat in dieser Zeit 30 Einträge zum 7. Oktober notiert, die die FAS heute bringt. Der 12. Eintrag etwa lautet: "Die Dekolonisatoren haben nie viel Sinnvolles von sich gegeben. Jede Generation widerspricht der jeweiligen vorangegangenen Generation. In den 50er-, 60er- und 70er-Jahren lautete die Leitideologie der Radikalen: 'Gewalt ist Sprache' - was bedeutet, dass Gewalt der rechtmäßige Ausdruck einer Person oder eines Volkes ist, dessen Worte bislang unbeachtet blieben. In den 80er- und 90er-Jahren und bis zum 6. Oktober war die radikale Ideologie das Gegenteil: 'Sprache ist Gewalt' - was bedeutet, dass die Worte, die man verwendet, Schaden anrichten können, weshalb man vorsichtig sein sollte, wie man sie verwendet, insbesondere jene Worte, die einem nicht selbst gehören, die nicht zur eigenen Identität gehören. Am 7. Oktober und danach wurde aus  'Sprache ist Gewalt' sofort 'Gewalt ist Sprache', und sei es nur, um das Abschlachten von jüdischen Menschen als palästinensische Befreiung zu kontextualisieren und zu rechtfertigen."

Auf zwei Seiten sammelt das FAZ-Feuilleton heute Ideen aus anderen Ländern, die Deutschland gern künftig umsetzen dürfte. Das schwedische "Plogging" etwa: "Der Name, gebildet aus den Worten 'Jogging' und 'plocka', was so viel wie 'aufsammeln' bedeutet, verrät, worum es geht: beim Laufen durch die freie Natur nebenbei herumliegenden Müll aufzulesen." Oder das neu eingeführte ukrainische "Register für Vermögenserklärungen. Dort müssen Politiker, Richter und Beamte über ihre Eigentumsverhältnisse Auskunft geben. Ein plötzlich vergrößerter Besitzstand kann da ein Hinweis auf Korruption sein. Es braucht nur Sekunden, um sich etwa zu Präsident Selenskyj und seiner Frau Olena durchzuklicken, zu den sechs Wohnungen des Ehepaars in Kiew, erworben lange vor dem Einstieg des Schauspielers in die Politik. Über Oppositionsführer Poroschenko, den 'Schokoladenkönig', lesen wir, dass er im letzten Quartal 2023 gut 900 Millionen Euro mit Zinsen und Anleihegeschäften in Ungarn verdiente."

Weitere Artikel: In der NZZ erinnert der Philosoph Thomas Brose an den Königsberger Philosophen Johann Georg Hamann.
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