Außer Atem: Das Berlinale Blog

Schmutzige Scheiben: Gus van Sants 'Promised Land' (Wettbewerb)

Von Thomas Groh
08.02.2013.


Wo man hinschaut: schmutzige Scheiben. Oft dreht Gus van Sant durch Scheiben hindurch, so dass man die Schlieren auf dem Glas sieht. Oder das Licht auf der Frontscheibe eines Autos reflektiert so, dass Matt Damon dahinter nur schemenhaft erkennbar ist. Ein Kontrast zu den weiten Panoramen oder den aus einiger Höhe aufgenommenen Gottesperspektiven: Hier, wo die USA am amerikanischsten sind, im Hinterland, wo die meisten - wenn auch zunehmend unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten - noch auf Farmen leben, hier also, wo manche Einstellung so aussieht, als sei sie der Rahmenhandlung vom "Wizard of Oz" entnommen, wo man den Eindruck gewinnt, als habe sich die USA in den letzten Winkel und ihren eigene Ursprungsmythos zurückgezogen, hier liegt das Land in aller Klarheit vor einem. Nur die Leute, die in die Stadt kommen, bleiben undurchsichtig.

Es geht ums "Fracking", die Erschließung von Erdgas in tiefsten, bislang unzugänglichen Gesteinsschichten. Eine Technologie, die einerseits die USA vom Ressourcenvorkommen in Krisengebieten unabhängiger machen und den verarmten Farmern zugleich ein Vermögen einbringen könnte, wenn sie sich nur auf die Angebote von Steve Butler (Matt Damon) und Sue (Frances McDormand) einlassen. Doch was wie ein unverhoffter Segen in Zeiten wirkt, in denen der Primärsektor im Niedergang begriffen ist, hat seine Schattenseiten: Ein alter Lehrer (Hal Holbrook) hat recherchiert - "Fracking" stellt ein enormes ökologisches Risiko dar. Ein wenig später im Ort auftauchender, charismatischer Umweltaktivist (John Krasinski) erzählt Horrorstories von Farmen in Nebraska, deren Land in kürzester Zeit unrettbar verödete.



Was vorderhand als Politdrama daherkommt, ist im Grunde eine tief in americana getauchte Meditation über die amerikanische Identität und den ewigen Widerstreit zwischen kleinen Gewerben und den großen Konzernen. Im gewissen Sinne hat Steve Butler selbst die Seiten gewechselt: Im ländlichen Iowa aufgewachsen, gilt er unter den Zahlenschiebern der Konzerne als aufstrebender Karrierist. In einem Schlagabtausch - herrlich amerikanisch in einer öffentlichen Debatte - nimmt eine amerikanische Flagge den gesamten Hintergrund ein: Haben die USA sich selbst an den Großkapitalismus verloren? Die Farmer in dieser Stadt will Butler unterdessen mit Fraternisierungversuchen - wie in der Wiederholung deutlich wird: offensichtlich zurecht gelegte Manöver - für sich gewinnen und nicht zuletzt mit den Stiefeln seines Großvaters, die endlich durch neue zu ersetzen ihn seine durch und durch urbane Kollegin Sue anhält. Dass es gerade Butlers Nettigkeit ist, die den unter schönen Versprechungen versteckten Gemeinheiten den nötigen Schmier und Flutsch gibt, qualifiziert ihn wohl im besonderen Maße für diesen Job. Es bleibt nicht allein bei diesem Winkelzug.

In Gus van Sants zwischen schwerer Autorenkunst und umschmeichelndem Middlebrow-Arthouse gespaltener Filmografie fällt "Promised Land" eindeutig in die zweite Kategorie. Es gibt kleine Spitzen ins Experimentelle, ein Neigung zum Piktorialen, doch die mit Anspruchskolorit versehene Goutierbarkeit bleibt oberstes ästhetisches Primat. Zum Schluss zielt der Film deutlich auf Hollywood-Sentimentalität, auf große Reden und geläuterte Blicke. Nach vielen schmutzigen Scheiben obsiegt die Wahrheit, wenigstens für einmal. Es hat was von einem Märchen. Junge, komm bald wieder, bald wieder nach Haus'! Aber, ach, wirklich böse sein kann man dem Gespann Gus van Sant/Matt Damon dafür nicht.

Thomas Groh

"Promised Land". Regie: Gus van Sant. Mit Matt Damon, John Krasinski, Frances McDormand, Rosemarie DeWitt, Hal Holbrook u.a., USA 2012, 106 Minuten. (Vorführtermine)