Außer Atem: Das Berlinale Blog

Körperkino: Karim Aïnouz' 'Praia do futuro' (Wettbewerb)

Von Friederike Horstmann
12.02.2014. Karim Aïnouz' Wettbewerbsbeitrag "Praia do futuro", eine schwule Liebesgeschichte, gibt eine Ahnung davon, was Körperkino könnte.


Ein Vorspann in drei Bildern: Zwei Cross-Motorräder brausen durch Sanddünenlandschaften mit drehenden Windrädern, auf der Tonspur ein dröhnend rumpelnder Rockabilly Rhythmus, pochende Keyboardklänge und roh ramponierte Drum Machine Beats, Alan Vega singt "Ghost Rider". Schnitt: Zwei Männer sprinten vom Strand ins Meer. Schnitt: Überlebenskampf in starker Strömung. Ein Straucheln unter und über Wasser. Aufspritzende Gischt, rauschender Wellengang. Ein Schäumen und Vibrieren, nach Luft Schnappen, Absinken.

In sprunghafter Montage beginnt eine Tragödie, die zwei Fremde zusammenbringt: den deutschen Motorradfahrer Konrad und den brasilianischen Rettungsschwimmers Donato, der trotz Bemühungen Konrads Freund nicht vom Ertrinken hat retten können. Der Schnittpunkt ihrer zufällig kreuzenden Geschichten gibt dem brasilianischen Wettbewerbsbeitrag von Karim Aïnouz seinem Namen: "Pario do futoro - Strand der Zukunft". Konrad und Donato verlieben sich, der Brasilianer folgt dem Deutschen nach Berlin und bleibt trotz Kälte und Krankheit fiebrig schniefend in Berlin. Nach Jahren taucht plötzlich Donatos kleiner Bruder Ayrton auf, macht ihm Vorwürfe, weil er damals wortlos seine Familie verließ. Trotz zerbrochener Bindungen – auch Konrad und Donato haben sich längst getrennt – scheint man sich irgendwie arrangiert zu haben und fährt zu dritt ans Wattenmeer. Der in drei Kapitel gegliederte Film belässt vieles im Vagen. Donatos eskapistische Bewegung nach Deutschland mag wohl mit einer schwulen Identität zusammenhängen; auch die Trennungsgründe von Donato und Konrad bleiben unklar, dass Konrad ein Soldat in Afghanistan war, wird nur beiläufig benannt. Allerlei Aspekte werden gestreift, verbleiben jedoch allzu abstrakt.

Neben der verblassenden Liebesgeschichte zwischen Biker und Baywatcher erzählt der Film eine zweite, eine Schauplatzgeschichte zwischen Praia do Futuro und Berlin, zwischen lichtdurchflutetem Strand und vergraut verkühlter Stadt. Kontrastreich wird das sommerhaft scharfe Strandlicht den Berliner Wintertönen entgegengesetzt. Gerade weil die Handlung des dreiteiligen Dramas so rudimentär bleibt, driften die visuell eindrücklichen, geradezu kunstvoll gefilmten Schauplätze zuweilen ins atmosphärisch Arthäuslerische. Manche Berlinbilder von Aquariumsaufzug im Dom Aquarée, von Fernsehturm und Weltzeituhr am Alex nähern sich sogar einem touristischen Attraktionskino. Ein Sight-Seeing Movie, dessen eindrückliches Locationscouting den vielen Filmförderern der deutsch-brasilianischen Co-Produktion gefallen dürfte. Immer wieder schmiegen sich an die Bilder gefühlige Geigen- und Gitarrentöne. Durch diesen melancholischen Score des deutschen Komponisten Hauschka wird die Geschichte mit einer Schicht von rührseligem Glanz überzogen, akustisch angekitscht.



Tanzend und tönend performt Konrad das französische Chanson "Aline": Schief singend, schreiend "Et j'ai crié, crié...". Donato nimmt das Bild eines langhaarigen Mädchens von der Wand und hält es tanzend vor sein Gesicht – eine rührend queere Performance mit traumhaften Tanzbewegungen. Konrad und Donato sprechen wenig und werden vor allem durch ihre durchtrainiert muskulösen Körper charakterisiert. In seinen besten Momenten kann der Film eine Ahnung davon geben, was ein Körperkino könnte. Berührungen und Blicke, verbale Aussparungen, Wortkargheit. Körperbilder von schwimmenden, trainierenden und tanzenden Männern. Beide Hauptfiguren Clemens Schick (Konrad) und Wagner Moura (Donato) sind hierfür gut besetzt. Epigonal erinnern diese Kinobilder von männlicher Körperlichkeit an Claire Denis' brillantem Film "Beau Travail" – doch wäre solch Vergleich viel zu hoch gegriffen.

Friederike Horstmann

Praia do futuro. Regie: Karim Aïnouz. Darsteller: Wagner Moura, Clemens Schick, Jesuita Barbosa. Brasilien / Deutschland 2013, 106 Minuten. (Wettbewerb, alle Vorführtermine)