Außer Atem: Das Berlinale Blog

Lauscht dem Leben: Hong Sangsoos "Grass" (Forum)

Von Thekla Dannenberg
17.02.2018.


Drei Filme hat der koreanische Regisseur Hong Sangsoo im vorigen Jahr herausgebracht. Mit "Nachts allein am Strand" war er auf der Berlinale im Wettbewerb vertreten, seine Partnerin Kim Minhee bekam den Silbernen Bären für ihre Rolle einer jungen Frau, die nach ihrer Affäre mit einem verheirateten Mann neue Kraft schöpfen muss. Der Film lehnt sich ganz leicht an die tatsächliche Beziehung der beiden an, die im strengen Südkorea für einen Skandal taugte. In Cannes liefen "Le jour d'après" und "La Caméra de Claire". Zusammen mit "Yourself and Yours" ergab dies einen Rohmer-haften Zyklus der Jahreszeiten, einen Zyklus von "Lügen und Wahrheiten". Frankreich stand Kopf, in Deutschland sind sie noch nicht in die Kinos gekommen. Die Filmwelt erlebt ein Paar in einem ungeahnten Schaffensrausch, ein Paar, das aus seinem Leben Filme macht, aus seinen Filmen Leben.

Hong Sangsoos neuester Film "Grass" läuft im Forum. Wieder erzählt der Film in Schwarzweiß und mit minimalistischen Mitteln von Mann und Frau, von Paaren, die sich in einem Café begegnen, Abschied nehmen, neu anfangen, Abstand wahren. Hong Sangsoo kennt unendlich viele Nuancen der Melancholie und der unglücklichen Liebe. Zu Beginn sitzen sich in dem Café eine junge Frau und ein junger Mann gegenüber. Dabei läuft laute klassische Musik. Die Frau will nach Europa, ihre Freundin hat sich das Leben genommen, wofür sie nun den Mann ihr gegenüber verantwortlich macht. Ohne Schnitt beobachtet die unbewegte Kamera das Gespräch der beiden, deren Gesichter die Leinwand ausfüllen, die ihrer Gefühle kaum Herr werden: Anklagen und Wut branden auf, verebben in gemeinsame Schuldgefühle und Trauer, dann eine zärtliche Geste, ein Flirt fast. Die Kamera wechselt die Blickrichtung: Am Nebentisch sitzt eine junge Frau, Kim Minhee. Sie lauscht und tippt in ihren Laptop. Zeichnet sie das kurze Drama auf? Oder hat sie es entworfen?

Mit ihr blicken wir auf ein weiteres Paar: Ein älterer Schauspieler in der Lebenskrise sucht Halt bei einer alten Bekannten. Er hat unglücklich geliebt und seine Theater-Truppe verlassen müssen; sie will ihn nicht bei sich aufnehmen. Würde er ihre Gutmütigkeit nicht ausnutzen? Ein anderer Schauspieler nähert sich der Autorin, mit der zusammen er ein Buch schreiben möchte. "Zwei Gedanken miteinander zu verbinden ist schwer", wehrt sie hintersinnig ab.



Andere Paare kommen hinzu. Sie erzählen sich genüsslich die Tragödien fremder Menschen und hadern mit dem eigenen Leben; sie urteilen über andere und verstehen sich nicht einmal selbst. Die Autorin wird immer wieder mit in die Gespräche hineingezogen, zieht sich aus ihnen heraus und spinnt sie für sich fort. Das Leben, die Liebe und die Kunst verbinden sich, aus dem Unglück wird Inspiration, aus der Kunst Leben.

Alles ist ganz schlicht, mit stilistischer Strenge in Szene gesetzt. Die Menschen treffen in ihrem Unglück aufeinander, finden Halt, schöpfen Kraft und verbinden sich. Und wenn sie auseinandergehen, werden andere sich finden. Im Hintergrund wechselt die Musik. Nach Wagner kommen Schubert und Pachelbel. Nach dem Drama die Improvisation und der Kanon, bei dem Anfang und Ende immer wieder ineinander übergehen.

Grass. Regie: Hong Sangsoo. Mit Kim Minhee, Jung Jinyoung, Ki Joobong, Seo Younghwa u.a., Republik Korea 2018, 66 Minuten (Vorführtermine)