Außer Atem: Das Berlinale Blog

Man schenkt sich nichts: Maria Ramos' "O Processo" (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
22.02.2018.


In den Sommermonaten des Jahres 2016 wurde Brasiliens Präsidenten Dilma Rousseff ihres Amtes enthoben. Zur Last gelegt wurden ihr sechs Dekrete, mit denen sie Agrarsubventionen für Kleinbauern freigab, obwohl sie damit das Budget zeitweilig überschritt, was ihr nicht erlaubt war. Die Opposition warf ihr vor, mit Wohltaten Stimmen zu kaufen. Das ist kein abwegiger Vorwurf, aber auch nicht unüblich in einer Demokratie, natürlich nur sofern die Gesetzeslage es hergibt. Zugleich wurde das Land jedoch von dem großen Schmiergeld-Skandal um die Ölfirma Petrobras geschüttelt, und Dilma Rousseff war eine starke Befürworterin dieser Untersuchung, von der vor allem andere Parteien betroffen waren. Wie später Handy-Aufzeichnungen offenbarten, hatten sich Politiker der Opposition mit der Justiz und dem Militär zusammengetan, um Rousseff aus dem Amt zu jagen, damit das "Blutvergießen" ein Ende nehme - gemeint waren die Enthüllungen und Rücktritte der Politiker, die Schmiergelder genommen hatten. Der Parlamentspräsident Eduardo Cunha musste deswegen zurücktreten, Rousseffs Nachfolger Michel Temer wurde wegen Korruption angeklagt.

Der Ausgang des Amtsenthebungsverfahren im Senat stand von vornherein fest. In Maria Augusta Ramos' Dokumentation steht die Unschuld der Präsidentin fest, sie verfolgt das Verfahren aus der streng kontrollierten Perspektive von Rousseffs Verteidigern im Senat. Wobei der Begriff Verfahren völlig irrige Erwartungen an Ordnung und einen geregelten Ablauf weckt. Es war ein gigantisches Spektakel. Ramos bemüht sich in ihrem Film nicht wirklich, Übersicht und Klarheit in dieses politische Chaos zu bringen. In endlosen Redeschlachten werden die Parteigänger in Stellung gebracht, Emotionen angeheizt, die politischen Gegner desavouiert. Dilma, Guerera, kämpfe für das brasilianische Volk!  - Tritt zurück, Diebin! Die Fronten sind extrem polarisiert: Auf der einen Seite die reaktionären Folterknechte, die das Land an amerikanische Konzerne verkaufen wollen, auf der anderen Seite die gottlosen Kriminellen, die das Land in den Ruin treiben.



Als oberste Anklägerin setzt Ramos die Rechtsprofessorin Janaina Paschoal in Szene, eine evangelikale Fundamentalistin, die man sich als brasilianische Version von Sarah Palin vorstellen kann, nur noch neurotischer. Ihre bizarren Auftritte münden in einer grotesken Rede, in der sie Rousseff erklärt, sie müsse ihr leider Schmerzen zufügen, um das Wohl des Landes und ihrer Enkelkinder willen. Was Rousseffs Verteidiger natürlich zu der Replik nutzt, das hätten die Militärs in ihren sentimentalen Momenten auch gesagt, als sie Rousseff folterten. Man schenkt sich nichts in der brasilianischen Politik.

Maria Ramos will mit ihrem Film nicht die Affäre aufklären. Wer sich in dem Fall nicht auskennt, ist hoffnungslos verloren. Ramos will das Unrecht festhalten, das Rousseff angetan wurde, sozusagen als Ausgleich zu den Senatsakten, in denen die Präsidentin schuldig gesprochen wurde. Doch der Film gibt bestürzende Einblicke in die brasilianische Politik, in der eine rhetorische Brutalität herrscht, die keiner Demokratie gut tun kann. Demagogie und Komplotte, gezielte Temperamentsausbrüche und aufgeputschte Demonstrationen verbinden sich hier mit einer erschreckenden Härte und Kälte, selbst bei den Sympathieträgern dieses Films: Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, geht die Senatorin Gleisi Hoffmann vor der Presse zum Gegenangriff über, als ihr Mann verhaftet wird.

Immer wieder fängt die Kamera die überwältigenden Bauten ein, die Oscar Niemeyer in Brasilia errichtet hat, den Präsidialpalast und den Kongress. Man fragt sich unwillkürlich, ob die klare Nüchternheit dieser tropischen Moderne den Wahnsinn im Innern befördert haben. Oder haben sie ihn schon gebändigt?

O processo - The Trial. Regie: Maria Augusta Ramos. Brasilien / Deutschland / Niederlande 2018, 137 Minuten (Vorführtermine)

Für Montag, den 21. Februar rufen Lulas und Dilma Rousseffs Anhänger zur Demonstration auf dem Potsdamer Platz.