Redaktionsblog - Im Ententeich

Bertelsmann und die Pressefreiheit in Indien

Von Anja Seeliger
19.02.2014. In Indien wurde Wendy Donigers Geschichte des Hinduismus verboten. Der Penguin Verlag hat nachgegeben. Die Entscheidungshoheit liegt bei diesem Fall in Deutschland - denn Penguin gehört Bertelsmann. Ein kleines Linkdossier.
Seit der Verlag Penguin India, Teil des Bertelsmann Konzerns, sich bereit erklärt hat, Wendy Donigers "Alternative Geschichte der Hindus" vom Markt zurückzuziehen und die Restexemplare einzustampfen, protestieren immer mehr Autoren. Wendy Doniger hatte eine alternative Geschichte der Hindus geschrieben, die Frauen und niedere Kasten einbezog und die religiösen Texte neu las und interpretierte. (Hier ein Essay von Doniger aus ihrem jüngsten Buch über den Hinduismus in Outlook India, hier eine Besprechung der "Alternativen Geschichte..." von 2010 im Himal Magazine.) Daraufhin warfen ihr verschiedene Hindu-Gruppen vor, sie verletze die religiösen Gefühle der Hindus, sei sexbesessen und von christlichem Missionseifer erfüllt, berichtet Kian Ganz in seinem Blog Legally India.


Schon dieses Bild auf dem Cover von Donigers Buch, das "den Gott Krishna zeigt, der auf dem Hintern einer nackten Frau sitzt, die von anderen nackten Frauen umgeben ist", soll die religiösen Gefühle der Hindus verletzen, behaupten die Befürworter eines Verbots.

Nach vierjährigem Rechtsstreit gab Penguin jetzt in einer außergerichtlichen Einigung nach und versicherte, der Verlag "respektiere alle Religionen überall auf der Welt". Schuld an der Misere, so Penguin in einem Statement für die Presse, seien die indischen Gesetze, die "es für jeden indischen Verleger immer schwieriger machten, internationale Standards der Pressefreiheit zu erfüllen, ohne dabei Gesetze zu verletzen".

Autorin Wendy Doniger nahm in einem Statement Penguin in Schutz und machte ebenfalls das indische Gesetz verantwortlich, "das es zu einer kriminellen Handlung mache statt zu einer zivilrechtlichen, wenn ein Verlag ein Buch veröffentlicht, dass irgendeinen Hindu beleidigt, ein Gesetz, dass die physische Sicherheit jedes Verlegers gefährdet, egal wie lächerlich die Anklagen gegen das Buch sind."

Jetzt haben die Künstler Shuddhabrata Sengupta und die Anthropologin Aarthi Sethi den Verlag wegen Verletzung der Meinungsfreiheit und der Leserrechte verklagt, schreibt Kian Ganz im Blog Legally India. Penguin habe das Buch zurückgezogen hat, zitiert er aus der Klageschrift, "obwohl es keinen Gerichtsbeschluss gibt, der das fordert. Das ist schockierend und steht in absolutem Widerspruch zu ihrer Verantwortung als Verleger - gegenüber dem Autor, dem Buch und der Lesergemeinschaft von deren Wohlwollen ihr Vermögen und ihre Reputation abhängen. Tatsächlich haben sie das Buch zurückgezogen ohne juristischen Grund und damit unautorisierten Gruppen und Individuen das Recht zugestanden, Bücher zu zensieren."

Auch andere Autoren finden, dass Penguin den Prozess hätte durchziehen und zur Not noch zwei Instanzen durchstehen müssen. Im New Yorker ist Jonathan Shainin überzeugt, dass Penguin auf Weisung des Mutterkonzerns Bertelsmann gehandelt hat: "Es ist eine Entscheidung, die sie noch bedauern könnten. Der Zorn auf Penguin, besonders unter Autoren, wächst."

Der indische Autor Chandrahas Choudhury will ebenfalls nicht einfach nur den indischen Gesetzen die Schuld geben: "Das Gesetz macht es religiösen Gruppen zweifellos einfach, Wissenschaftler und Autoren wegen 'vorsätzlicher und bösartiger Handlungen anzuklagen, die die religiöse Gefühle aller Klassen verletzen und die Religion und religiöse Überzeugungen beleidigen'. Aber... es wäre die Anklage hätte beweisen müssen, dass Donigers Argumente und Interpretationen 'vorsätzliche und bösartige Handlungen' sind. Eine außergerichtliche Einigung bedeutet schockierender Weise, dass Penguin dieser Auslegung zustimmt - oder bekennt, dass der Verlag sich nicht groß um Kontroversen kümmert und sich auf den Profit konzentriert."

In der Times of India wirft Arundhati Roy dem Verlag, der auch ihre eigenen Bücher verlegt, in einem Offenen Brief vor, gekniffen zu haben: "Ihr habt einige der größten Autoren der Geschichte publiziert. Ihr habt ihnen beigestanden, wie Verleger das tun sollten, habt für die Meinungsfreiheit gekämpft und gegen die gewalttätigsten und schrecklichsten Drohungen. Und jetzt, obwohl es keine Fatwa gab, keinen Bann, nicht einmal einen Gerichtsbeschluss, habt ihr nicht nur klein beigegeben, sondern euch selbst gedemütigt, indem ihr diese Einigung unterzeichnet habt. Warum? Ihr habt alle Ressourcen, die irgendjemand nur haben kann, um einen Rechtsstreit durchzufechten. Hättet ihr die Stellung behauptet, hättet ihr das ganze Gewicht der aufgeklärten Öffentlichkeit auf eurer Seite gehabt und die Unterstützung der meisten, wenn nicht all eurer Autoren."

Im Guardian verteidigen die Autoren Neil Gaiman und Hari Kunzru Donigers Recht auf Meinungsfreiheit. Kunzru warnt: "Die extreme Rechte unter den Hindus ... ist inzwischen Experte darin, die Waffe der Beleidigung zu nutzen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Indien steht kurz davor, Narendra Modi zu wählen, einen Mann, der ohne zu zögern eine kürzlich erschienene Gandhi-Biografie in seinem Heimatstaat Gujarat verbot. Einmal an der Macht, fürchte ich, wird die Safran-Beleidigungsmaschine ungehindert regieren und Wissenschaftler, Autoren und Künstler werden es sehr schwer haben, sich zu verteidigen." Auch Kenan Malik hat den Fall in einem Artikel zum 25. Jahrestag gegen die Fatwa aufgegriffen (wir zitierten) und sieht den Fall als Symptom einer vorauseilenden Unterwerfung.

Anja Seeliger