Grégoire Chamayou

Die unregierbare Gesellschaft

Eine Genealogie des autoritären Liberalismus
Cover: Die unregierbare Gesellschaft
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518587386
Gebunden, 496 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt. Die 1970er Jahre wurden von einer gigantischen "Regierbarkeitskrise" erschüttert: Die Wirtschaftswelt hatte mit massiver Disziplinlosigkeit der Arbeiter zu kämpfen, aber auch mit der so genannten "Managerrevolution", mit bisher beispiellosen ökologischen Massenbewegungen und neuen Sozial- und Umweltvorschriften. Politisch geäußerte Ansprüche immer zahlreicher werdender sozialer Gruppen drohten in den Augen der herrschenden Eliten aus Wirtschaft und Politik die Gesellschaft unregierbar zu machen. Der französische Philosoph Grégoire Chamayou porträtiert in seinem Buch dieses Krisenjahrzehnt als den Geburtsort unserer Gegenwart - als Brutstätte eines autoritären Liberalismus. Zur Abwehr der Bedrohung wurden in wirtschaftsnahen Kreisen neue Regierungskünste ersonnen, die beispielsweise einen Krieg gegen die Gewerkschaften, den Primat des Shareholder Value sowie eine Entthronung der Politik vorsahen. Der damit seinen Siegeszug antretende Neoliberalismus war jedoch nicht durch eine einfache "Staatsphobie" bestimmt. Die Strategie zur Überwindung der Regierbarkeitskrise bestand vielmehr in einem autoritären Liberalismus, bei dem die Liberalisierung der Gesellschaft eine Vertikalisierung der Macht impliziert: Ein "starker Staat" für eine "freie Wirtschaft" wird zur neuen Zauberformel unserer kapitalistischen Gesellschaften.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.02.2020

Rezensent Florian Meinel hält nicht viel von Grégoire Chamayous Diskurschronik, die zeigen will, wie sich Konzerne gegen die Kritik an ihrer wachsenden Macht mit neuen Legitimationsstrategien behaupteten. Natürlich weiß auch Meinel: An "Unternehmensverantwortung" oder Konzepte wie Corporate Social Responsibility glaubt nur, wer sowieso an Manager glaubt. Aber das alles hätte sich der Rezensent gern in einer tiefgehenden Diskursanalyse erklären lassen, aber nicht in einer oberflächlichen Blütenlese, wie er Chamayou vorwirft. Alles werde hier in "progressiv" oder "reaktionär" eingeteilt, Ideengeschichte zu einer Art Mafiaroman umgeschrieben. Und richtig übel nimmt der Rezensent dem Autor, dass er sich Marx und Foucault auf die Fahnen schreibt, aber kein Wort über die "Bürokratisierung des Kapitals" verliert.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 24.12.2019

Rezensent Martin Hubert hat dieses Buch des französischen Philosophen Gregoire Chamayou mit Gewinn gelesen. Eine Definition des Neoliberalismus kann und will ihm der Autor gar nicht bieten, vielmehr geht er anhand von Texten Friedrich August Hayeks und Milton Friedmans, aber auch Diskussionsbeiträgen weniger bekannter Unternehmer, Think Tanker und Ökonomen grundlegenden Thesen neuliberalen Denkens nach: Hubert liest hier nach, wie linken Systemkritikern, antiautoritären Bewegungen und streikenden Arbeitern der Kampf angesagt wurde, aber auch der Aufschwung der Finanzmärkte als politisches Mittel begrüßt wurde, um "Investionen zu lenken", über Arbeitsplätze zu "gebieten" und "Politiker zu domestizieren". Auch mikropolitische Strategien, also den autoritären und manipulativen Umgang mit Verbraucher- und Umweltschützern, Gewerkschaften und kritischen Bürgern kann ihm der Autor anschaulich darlegen. Selten wurde der Neoliberalismus als Ideologie so "spannend und pointiert" geschildert, schließt der Rezensent, der dieses Buch als Anstoß für eine kritische Unternehmensphilosophie versteht.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.11.2019

Jens Balzer findet die Studie des Politkwissenschaftlers Grégoire Chamayou zwar zu einseitig, als Ergänzung zu den Debatten über die Verantwortung für den Neoliberalismus erscheint sie ihm aber sinnvoll. Erhellend findet er, wie der Autor mit von Hayek und Friedman die Mogelpackung der Autonomisierung des Bürgers aufdeckt und erläutert, wie weiter Staat und Wirtschaft die Revolten für Mitbestimmung und individuelle Freiheiten der 70er im Keim erstickten und für ihre Zwecke, für Macht und Profit nutzbar machten. Der wirklich umfassende Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Umbrüche der 70er steht für Balzer aber noch aus.