Medizin
Sie sind die Helden der Stunde: Alle Welt will den
mRNA-Impfstoff von Biontech, den das deutsch-türkische Forscherpaar
Ugur Sahin und
Özlem Türeci - eigentlich Krebs-Forscher - in Mainz gegen das Corona-Virus entwickelt hat. Dementsprechend hungrig verschlingen die Kritiker das Buch
"Projekt Lightspeed" (
Bestellen), das der
Financial-Times-Korrespondent Joe Miller zusammen mit Sahin und Türeci verfasst hat, auch wenn es sie forderte. Für Arno Widmann in der
FR ist es glatt "das wichtigste Buch der Saison", weil es mit seiner Mischung von
Wissenschaft, Business und Hollywoodeskem Mut macht, eigene Wege zu gehen. In der
SZ hätte sich Christina Berndt zwar auch ein bisschen mehr Distanz von Autor Joe Miller vorstellen können, lässt sich aber dann doch mitreißen von dem Innovationswillen, der Weitsicht und wissenschaftlichen Leistung von Sahin und Türeci. Informativ und gut geschrieben, findet das Buch auch Joachim Müller-Jung in der
FAZ. Apropos Pioniere: Der britische Althistoriker
Robin Lane Fox blickt in seiner Kulturgeschichte
"Die Entdeckung der Medizin" auf die Anfänge der Heilkunst in der Antike. Die
FAZ findet das Buch vielleicht ein bisschen altmodisch, aber durchaus informativ, der
DlfKultur folgt der Entwicklung der Medizin
von Homer bis Hippokrates durchweg gespannt.
Geschichte 
Es ist in gewissem Sinne verständlich, dass ein Buch wie
Leon Poliakovs "Vom Hass zum Genozid - Das Dritte Reich und die Juden" (
bestellen) kein großes Aufsehen erregte. Es ist siebzig Jahre alt. Nur die
FAZ hat es bisher besprochen. Aber eigentlich ist das Buch
eine Sensation. Denn es zeigt, was vielfach vergessen wurde: nämlich, wie viel man
1951, als es im französischen Original erschien, schon über den Holocaust wusste. Und jetzt erst wird es auf Deutsch übersetzt! Eine Menge wusste man, nur wollte es wohl niemand hören. Poliakov, ein Autor der von den "
Neuen Philosophen" später verehrt wurde, hatte die Grundzüge der
Geschichte der Judenvernichtung vor allem den Akten der Nürnberger Prozesse entnommen und in seinem monumentalen Buch wohl die erste gründliche Chronologie vorgelegt. Hannah Arendt hatte es für
Commentary besprochen. Die
Welt druckte die Besprechung Anfang September erstmals auf Deutsch nach. Sie liest sich erschreckend sachlich. Arendt weist auf
Kontinuitätslinien hin: "Der Zusammenhang von Massenvernichtung und '
Euthanasie' in Deutschland ist eine von Poliakovs wichtigsten Erkenntnissen; er spürt ihr bis in alle Verästelungen nach. Die Ärzte, Ingenieure und anderen Personen, die die Techniken der 'Euthanasie' im ersten Kriegsjahr perfektionierten, um sie auf geisteskranke Deutsche anzuwenden, waren die gleichen, die später mit den Einrichtungen in Auschwitz und Belzec beauftragt wurden." In der Topografie des Terrors fand eine Podiumsdiskussion zum Buch statt, wo unter anderem
Susanne Heim sprach.
Hier das Video.

Die Oxforder Historikerin
Margaret MacMillan legt mit
"Krieg - Wie Konflikte die Menschheit prägten" (
bestellen) eine Generalgeschichte des Krieges vor, wie sie ein deutscher Historiker wohl kaum hinbekommen würde. Der Krieg ist hier eine
anthropologische Konstante. Ja, er bringt Positives hervor: Das Steuer- und Finanzwesen etwa entwickelte sich entlang der Bedürfnisse der Kriegsfinanzierung, auch die
Emanzipation der Frau trieben die Weltkriege voran, da Frauen oft Männerpositionen einnehmen mussten, erfährt etwa Wolfgang Schneider, der für
Dlf Kultur rezensiert. In der
Zeit schrieb Großgeostratege Herfried Münkler, der ein bisschen mäkelt: Mit letzter Konsequenz schildert MacMillan den Krieg dann doch nicht als
Vater aller Dinge.

Angesichts all der
postkolonialen Debatten in den letzten Jahren erstaunt es, dass die Verlage nicht allzu viel zu diesem Thema vorlegen. Eine Ausnahme ist
Bernhard Maiers "Die Bekehrung der Welt - Eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit" (
bestellen). Maier beleuchtet einen Aspekt am Kolonialismus, der in den aktuellen Debatten kaum eine Rolle spielt: die
christliche Missionierung. Liegt es daran, dass einige prominente Autoren des Postkolonialismus, wie der Dominikaner-Schüler Achille Mbembe, selbst Missionierte sind? Aber wie so häufig sind die Dinge komplex, denn die Missionierung erbrachte zugleich Einblicke in die Fremde, die die bloß wirtschaftliche Ausbeutung sich nicht erhoffen konnte: "Bernhard Maier zeigt, wie Missionare die Unterwerfung der Welt
moralisch flankierten, doch dabei bald an Grenzen stießen. Erzwungene Bekehrungen waren selten nachhaltig. Man musste die
Sprachen der Heiden erlernen, die Frohe Botschaft übersetzen, Mythen und Rituale christlich deuten, Schulen gründen,
medizinische Versorgung bieten", heißt es im Klappentext. Das Buch ist bisher nur im
Dlf Kultur besprochen. Katharina Döbler empfiehlt es als nützliches Nachschlagewerk, macht aber auch
Eurozentrismus aus.

In jüngster Zeit wurde viel über das
Deutsche Kaiserreich diskutiert: Ob es nicht doch fortschrittlicher war als bislang angenommen, wie Hedwig Richter u.a. in ihrem Band
"Aufbruch in die Moderne" (
bestellen) behauptet. Oder ob es direkt in den Nationalsozialismus führte. Wer sich über diesen Streit informieren möchte, lese Heinrich August Winklers Band
"Deutungskämpfe" (
bestellen), empfiehlt Gustav Seibt in der
SZ. Wer aber einfach eine Reise durch die Bismarckzeit unternehmen möchte, der greife zu
Bruno Preisendörfers "Als Deutschland erstmals einig wurde" (
bestellen), ermuntert der Rezensent, dem das Buch ein sehr anschauliches Bild jener Zeit vermittelt hat: Geschichte von unten. Wenn Preisendörfer über Arbeiterfragen und Wohnungsnot schreibt oder Frauenrechtlerinnen wie Hedwig Dohm zitiert, kommen dem Rezensenten die Menschen von damals
wirklich nah. Und auch die "Reise"-Metapher passt, meint er, weil sie die Mischung aus Befremdung und allmählichem Vertrautwerden erfasst, die ein unbekanntes Land auslöst.

Wenn ein historisches Buch dieser Saison bleibt, dann sicherlich
Stephan Malinowskis "Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration" (
bestellen), das wir schon im Oktober-Bücherbrief empfahlen. Über die Hohenzollern, die schon in gründliche Vergessenheit zu geraten drohten, ist vieles erschienen in den letzten zwei drei Jahren: Die Frage ist immer, ob sie den Nazis "
erheblichen Vorschub" geleistet haben und darum die Enteignungen, die gegen sie verfügt wurden, rechtens. Die Nachfahren möchten Entschädigung, und wer gönnt ihnen nicht ihr komfortables Leben? Das mit dem "erheblichen Vorschub" dürfte nach der Lektüre des Buchs allerdings geklärt sein.



Ebenfalls zu den Büchern der Saison gehört
Per Leos "Tränen ohne Trauer" (
bestellen), das wir im Bücherbrief des Monats August vorstellten: Es ist Dokument des Paradigmenwandels, der durch die Mbembe- und die Moses-Debatte eingeleitet wurde. Dass es eine
Singularität des Holocaust gibt, wird seit dieser Saison nicht mehr nur von rechts, sondern nun auch wieder von links in Frage gestellt. Wie auch immer man zur postkolonialen Unterordnung des Holocaust in ein Globalgeschehen stehen mag - Leos Buch ist sicher einer der prägenden Beiträge zu dieser Debatte. Diese Debatte wurde von
Micha Brumlik aus seiner Position in
"Postkolonialer Antisemitismus?" (
bestellen) resümiert. Zu den historischen Büchern der Saison gehört auch
Richard J. Evans' Studie "Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien" (bestellen), die den Einfluss etwa der "Protokolle der Weisen von Zion" auf die Nazis untersucht - die Rezensenten lesen es mit Interesse.



Und noch drei Bücher, die man sich gut als Weihnachtsgeschenke vorstellen kann:
Tim Marshalls "Die Macht der Geografie im 21. Jahrhundert - 10 Karten erklären die Politik von heute und die Krisen der Zukunft" (
bestellen) zum Beispiel. Wie schon in seinem Bestseller "Die Macht der Geografie" von 2015 erzählt Marshall laut Rezensionen lehrreich und unterhaltsam anhand von Karten, wie
Geografie Geschichte prägt. Ein plastisches Zeitbild liefert
Uwe Wittstocks Zeitreise in den
"Februar 1933" (
bestellen), als sich die deutsche Geisteswelt im Magnetismus der Nazis kuschte, sich duckte oder verschwand. Wittstock lässt laut den Rezensenten auf kluge Art
die Dokumente sprechen. Wer Thomas Manns Tagebücher aus dem Jahr 1933 kennt, weiß, wie spannend es ist, Geschichte gewissermaßen "live" mitzuleben. Schließlich sei noch auf
Philipp Sarasins "1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart" (
bestellen) hingewiesen, das nicht von den großen Umwälzungen erzählt, so in der
SZ Diedrich Diederichsen, sondern im Gegenteil die Narrative "zerbröseln" lässt und zeigt, dass viele der dargestellten Phänomene (Hippie-Kultur, Identitätspolitik, sexuelle Selbstverwirklichung) schon lange vor 1977 ihren Ausgang nahmen. Ein fesselndes und differenziertes Buch, finden auch die Kritiker in
FR,
NZZ und
FAZ.
Klima
Die Umweltgeschichte des amerikanischen Historikers
Daniel Headrick wurde bisher nur in der
FAZ von Jürgen Osterhammel besprochen, aber immerhin. In
"Macht euch die Erde untertan" (
Bestellen) staucht Headrick zehntausend Jahre Menschheitsgeschichte zu einer
schwarzen Anthropologie, warnt Osterhammel, in der sich die Brutalitäten des Anthropozäns nur so aneinanderreihen: Nicht erst mit dem Klimawandel drückte der Mensch der Natur seinen Stempel auf, sondern seit speerbewaffnete Jäger erstmals ihre Massaker am Großwild verübten. Osterhammel kann diese "
kumulativen Kalamitäten" verkraften, zumal Headrick im Ton nüchtern und historisch integer bleibe, wie der Rezensent versichert.


Der Historiker
Christian Pfister und der Klimatologe
Heinz Wanner nehmen in ihrer Geschichte
"Klima und Gesellschaft in Europa" (
Bestellen) immerhin die letzten tausend Jahre in den Blick. Im
Dlf weiß Dagmar Rörhlich die Sachlichkeit der beiden Schweizer Autoren zu schätzen, die ihr viel Raum ließ, die Auswirkungen von Klimaereignissen auf die Gesellschaft selbst zu reflektieren und zu fürchten. Auf
Elizabeth Kolberts vielfach gelobtes Buch
"Wir Klimawandler" (
Bestellen) haben wir schon in unserem Bücherbrief hingewiesen. Die amerikanische Journalistin untersucht in verschiedenen Reportagen Möglichkeiten und Grenzen des
Geo-Engineering, etwa die Stauung des Mississippi, die Simulierung von Vulkanausbrüchen oder die Bekämpfung von Schneckeninvasionen.
Philosophie

Bis zu ihrem tragischen Unfalltod im Jahr 2015 hat die französische Psychoanalytikerin und Philosophin
Anne Dufourmantelle ein beeindruckendes Werk eigenwilliger Schriften verfasst, zu denen neben einem
Plädoyer für das persönliche Wagnis ("Lob des Risikos") und eine
Eloge auf die Sanftmut ("Puissance de douceur") auch die nun erschienene
"Verteidigung des Geheimnis" (
Bestellen) gehört. Dufourmantelle plädiert darin für die
Wahrung der Intimität im Persönlichen wie im Politischen und gegen den Zwang, sich selbst permanent offenlegen zu müssen. Eine verschwiegene Wahrheit muss keine Lüge sein, nicht jeder Bruch der Privatsphäre ein Akt befreiender Transparenz. In der
taz ist Marlen Hobrack fasziniert von diesem Text, der mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Eine weitere interessante Denkerin stellt Thomas Palzer im
Dlf vor:
Donatella Di Cesare erkundet in ihrer
"Philosophie der Migration" (
Bestellen), welche Provokation der Mensch, der nicht dazugehört, für die Souveränität eines Staates und die Ordnung einer Gesellschaft bedeutet. Facettenreich und tiefgründig findet Palzer Cesares Überlegungen.
Svenja Flaßpöhler geht keinem Streit aus dem Weg. In ihrem neuen Buch
"Sensibilität" (
Bestellen) fragt die Chefredakteurin des
Philosophie-Magazins, ob die Sensibilität, eine große Errungenschaft des Zivilisationsprozesses,
ins Regressive umschlagen kann, wenn sie permanent eingefordert wird.
Welt,
FAZ und
SZ finden Flaßpöhlers Ritt durch die Theorien von Nietzsche, Jünger, Elias, Derrida und Butler etwas forsch. Aber
taz und
FR lesen ihr Buch doch auch mit Gewinn und Amüsement, wenn sie die
hypersensible Schneeflöckchen gegen
resiliente Kämpfernaturen in Stellung bringt.


Nicht leicht getan haben sich die Kritiker mit Lorenz Jägers Biografie
"Heidegger" (
Bestellen). Gut geschrieben und souverän komponiert sei sie, geben alle zu, und auch nicht unkritisch gegenüber Heideggers politischen Verirrungen. Aber ob sie dem "
Skandal Heidegger" wirklich gerecht wird, möchte Micha Brumlik in der
taz lieber nicht sagen. In der
FAZ stört sich Karl-Heinz Ott an zu viel Einfühlung. In der
Welt sieht Hans Ulrich Gumbrecht allerdings Kühnheit und Gegenwärtigkeit von Heideggers Denken gut zur Geltung gebracht. Vielfach gelobt wurde auch Rüdiger Safranskis
"Einzeln sein" (
Bestellen). Safranski zeichnet darin eine Ideengeschichte der großen Einzelgänger, die von
Pico della Mirandola über
Montaigne, Luther, Kierkegaard zu Heidegger, Sartre und Arendt führt und dabei die hellen und dunklen Seiten des Individualismus gekonnt ausleuchtet.
Kunst
Die Malerin
Paula Modersohn-Becker starb 1907 mit nur 31 Jahren - von Galeristen verkannt, von der Kritik verrissen und selbst von ihrem Mann, dem Maler Otto Modersohn, und seinen Freunden in der
Künstlerkolonie Worpswede verächtlich gemacht. Dabei war sie ihm künstlerisch um Lichtjahre voraus, wie Eva Hepper von der
Monografie (
Bestellen) des Kunshistorikers
Uwe M. Schneede lernt. Herausragend findet sie im
Dlf, wie der Kunsthistoriker gerade die Arbeiten des Malerspaares vergleichend betrachtet, spannend aber auch, wie sich Paula Modersohn-Becker immer wieder nach Paris begab, um von
Cezanne, Gauguin und den Fauvisten zu lernen. Als "genuss- und erkenntnisreich" empfiehlt Annette Schneider im
NDR diese Monografie, die ihr das ganz und gar eigene Werk einer "
Pionierin der Moderne" nahebringt.

Kafka konnte nicht nur irrwitzig erzählen, sondern auch fantastisch zeichnen. Dass
"Die Zeichnungen" (
Bestellen) nun erstmals gesammelt herausgegeben werden, lässt den Schriftsteller
Daniel Kehlmann in der
Zeit jubeln. Wie Kafka hier mit wenigen Strichen seine eigenen Geschichten illustriert, kann Kehlmann nur bewundern. Die "
profunde Komik" der gestrichelten Gestalten lässt bei ihm aber auch den Verdacht aufkommen, dass Kafka durchaus
so etwas wie Fröhlichkeit kannte. In der
FAZ bewundert Jeremy Adler die Kraft, Energie und Eleganz, mit der Kafka seine Zeichnungen hinwarf, in denen der Kritiker mitunter auch Überraschendes entdeckt, nackte Aggression etwa oder bizarren Humor. In der
SZ erhebt Lothar Müller allerdings Einwände gegen die vielen Kritzelen, die wahrscheinlich der Vollständigkeit halber ebenfalls in den Band mitaufgenommen wurden. Auf
Horst Bredekamps große
Michelangelo-Biografie (
Bestellen) haben wird schon in unserem
Bücherbrief im September hingewiesen. Seitdem ist das Buch noch häufiger, aber nicht weniger nachdrücklich als neues Standardwerk gefeiert worden, wobei etwa Kia Vahland in der
SZ Bredekamps subjektive,
Ästhetisches und Psychologisches kombinierende Herangehensweise ganz passend findet für einen
unkonventionellen Künstler wie Michelangelo.
Musik

Höchst liebevoll nehmen die Kritiker
Christoph Dallachs Hommage auf den
Krautrock auf, jene verstörenden Klänge, mit denen deutsche Bands wie Can, Neu!, Amon Düül, Popul Vuh, Tangerine Dream, Faust, Cluster oder Kraftwerk die Rockmusik modernisierten. Für
FR-Kritiker Stefan Michalzik ist
"Future Sounds" (
Bestellen) mit all den Interviews, die Dallach damals mit den Beteiligten führte, ein neues Standardwerk, für Philipp Krohn in der
FAZ ein Vermächtnis, dessen glofizierende Momente er gut verkraften kann. Nur in der
SZ vermisst Diedrich Diederichsen ein bisschen Atmo aus dem
krautigen Konzertalltag. Und bitte nicht vergessen, was für großartige Musikerinnen
Beate Bartel,
Gudrun Gut,
Bettina Köster waren, ruft in der
FR Christina Mohr. Wärmstens empfiehlt sie daher den Band
"M_Dokumente", der sehr schön nachzeichnet, wie die Frauenpunkbands Mania D., Malaria! oder Matador neue Musik, neue Looks und neue Frauenbilder schufen.



Toll fanden die Kritikerinnen auch
Helene Hegemanns Buch über
"Patti Smith" (
Bestellen), das etwa die
Zeit mit den Worten empfiehlt: "Ein bisschen Irrenhaus, aber auch Kunst." Vergnügt liest die
FR Daniel Deckers "Not Available" (
Bestellen), eine Geschichte nicht erschienener Platten. Und
Christoph Wagners Interviewband
"Geistertöne" (
bestellen) hat die Kritiker aus den Socken gehauen: Koryphäen wie Meredith Monk oder Marshal Allen vom Sun Ra Arkestra und Peter Conradin Zumthor erzählen offen und freudig von ihrer Kunst, vom Avantgarde-Leben und von Klangutopien, staunt ein hingerissener Andreas Schäfer in der in der
NZZ. Anja-Rosa Thöming stimmt in der
FAZ in das Lob ein.
Literatur


Die Kritikerin
Hanna Engelmeier überrascht die RezensentInnen mit literarischen
Exerzitien des Trostes, so wie sie sie vom Jesuiten
Ignacio de Loyola gelernt hat: Schreiben, Hören, Beten, Lesen sind die vier Übungen, die dabei helfen sollen, sich selbst
"Trost" (
Bestellen) zu spenden. Wie Engelmeier dabei Lektüren von Rilke, Cheryl Strayed, David Foster Wallace und Adorno mit Intellekt und Humor verbindet, beeindruckt ihre KollegInnen bei
FAZ und
taz gleichermaßen.
Richard Ovendens "Bedrohte Bücher" (
Bestellen) wurde als Liebeserklärung und Manifest gleichermaßen verstanden. Dass sich Ovenden als passionierter Bibliothekar dabei auch um den Bestand gedruckter Bücher ebenso sorgt, wie um die mangelnde Sicherung von digitalen Schriften, rechnen ihm
Dlf und
FAZ hoch an. Ein Selbstläufer dürfte
Florian Illies' neues Buch
"Liebe in Zeiten des Hasses" (
Bestellen) werden, in dem er von der Liebe unter Literaten in den dreißiger Jahren erzählt. Eine Hymne von Elke Heidenreich in der
SZ garantiert dem Buch den Verkaufserfolg.
Digitales

Stefan Buijsman war ein
mathematisches Wunderkind, mit nicht mal zwanzig Jahren hatte er schon seinen Doktor. Dass er trotzdem populär über die Welt der Zahlen und Algorithmen schreiben kann, rechnet ihm Andrian Kreye in der
SZ hoch an. Dass Buijsmann ihm dann auch noch in
"Ada und die Algorithmen" (
Bestellen) versichert, dass
Künstliche Intelligenz immer nur Wahrscheinlichkeiten wird ausrechnen können, aber nie Bedeutungen herstellen, beruhigt den Rezensenten - halb. Der Report
"Inside Facebook" (
Bestellen) der beiden
New-York-Times-Autorinnen
Sheera Frenkel und
Cecilia Kang ist schon vor der Veröffentlichung der Facebook Papers erschienen, überholt scheint er dadurch aber nicht. Denn Frenkel und Kang haben die Missstände und Probleme des Konzern (Manipulation, Agitation, Geldgier) hervorragend recherchiert, wie die Kritiker in
FAZ,
NZZ,
SZ und
DlfKultur versichern. Vor allem das Gebaren von Facebook-Chef
Mark Zuckerberg zwischen
römischem Imperator und Kriegs-CEO finden sie so informativ wie unterhaltsam dargestellt.