Efeu - Die Kulturrundschau
Das ist dramatisch, aber nicht schlimm
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.07.2021. Der Guardian schwärmt von der Unbekümmerheit, mit der die Künstlerin Sophie Taeuber-Arp Stile, Genres und Ausdrucksmittel mischte. In Cannes sah die SZ mit Ryusuke Hamaguchis "Drive My Car" einen ersten Favoriten für die Goldene Palme. Der Tagesspiegel erstarrte in Julia Ducournaus Schocker "Titane" vor Schreck. Die NZZ diagnostiziert: Wir lesen aneinander vorbei und wendet sich dann dem fröhlichen Designerkollektiv Memphis Milano zu. Die Kunstkritiker trauern um Christian Boltanski. Auf ZeitOnline schreibt die Schriftstellern Noémi Kiss ihrem Landsmann Péter Esterházy einen traurig-zornigen Brief ins Jenseits.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
15.07.2021
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Kunst


Weiteres: Katharina Rustler unterhält sich für den Standard mit dem Musiker und Maler Parov Stelar. Stephan Hilpold berichtet im Standard über die Premiere der Gmunden Photo. Besprochen wird die Ausstellung "Becoming Feininger" in Quedlinburg (Zeit).
Film

In Cannes wird Ryusuke Hamaguchis "Drive My Car" als erster Palmen-Favorit gehandelt, berichtet Tobias Kniebe in der SZ: Die dreistündige Adaption einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami handelt von einem Regisseur und einem Schauspieler, die sich auf eine "Onkel Wanja"-Produktion am Theater vorbereiten und "ist ein perfektes Beispiel für die Belohnungen, die hinter den scheinbaren Leerstellen und Wiederholungsschleifen tatsächlich warten. So trauert der Regisseur etwa um seine verstorbene Frau, die ihm während dem Sex gern erotische Geschichten erzählte, die mit zunehmender Lust aus ihr heraussprudelten, als habe sie die Poesie ihres Unbewussten wunderbar angezapft. Das ist sehr erotisch, und nach den wenigen Beispielen, die man zu sehen bekommt, trauert man um diese Figur dann fast so sehr wie der Mann, der sie verloren hat."

Wenig Einigkeit herrschte unterdessen bei Julia Ducournaus Schocker "Titane", der das Publikum laut Tagesspiegel-Kritiker Andreas Busche "schwer polarisierte". Nach ihrem kannibalistischen Liebesfilm "Grave" vor ein paar Jahren ist dieser Film "noch mal ein ganz anderes Biest - aus Metall, Motorenöl und notdürftig zusammengehalten von ausgemergelter, mürber Haut, die sich allmählich zum Zerreißen spannt. Das französische Model Agathe Rousselle liefert eine Tour de Force als junge Frau, die nach einem schweren Autounfall von ihrem Vater (der Regisseur Bertrand Bonello) eine Titanplatte in den Schädel implantiert bekommen hat. Ihrer Liebe zu Autos tut das keinen Abbruch: Alexia tanzt halbnackt auf Motorhauben und hat auf dem Rücksitz eines Amischlittens Bondage-Sex mit sich selbst. Oder doch mit dem Wagen? Nebenbei schlachtet sie jeden ab, der oder die ihr zu nahe kommt."
FAZ-Kritiker Andreas Kilb zieht da eher die großen Kinodiven vor, die sich anschmachten lassen: Im Print verbeugt er sich vor Léa Seydoux, die auf dem Festival in Arnaud Desplechins "Tromperie", Ildikó Enyedis "A feleségem története" und Bruno Dumonts "France" zu sehen ist. Insbesondere bei Desplechin ist sie "eine Augenweide", schwärmt Kilb: "ihre Eleganz, ihre Lässigkeit, die fast kindliche Schönheit ihres Gesichts." Im FAZ-Blog hingegen berichtet er von einer Fragestunde mit Isabelle Huppert, die sich mal wieder in Gesten der Demut übt: "Ich glaubte ihr nichts." Ihre "Intelligenz kann Filmemacher und Produzenten verschrecken, deshalb spielt sie sie in der Öffentlichkeit herunter."
Besprochen werden Lee Isaac Chungs Migrationsdrama "Minari" (taz), der auf DVD veröffentlichte Debütfilm "Palm Springs" von Max Barbakow, dem Ekkehard Knörer in der taz eine große Karriere voraussagt (taz), Daniel Brühls Regiedebüt "Nebenan" nach einem Drehbuch von Daniel Kehlmann (Standard, SZ), der neue Teil der Autoaction-Reihe "Fast & Furious" (ZeitOnline, Tagesspiegel), die Dokumentarfilme "Grenzland" und "Wer wir waren" (FAZ), Gonçalo Waddingtons Missbrauchsdrama "Patrick" (taz), Baltasar Kormákurs Netflix-Serie "Katla" (taz) und die auf Sky gezeigte Serie "Paris, Police 1900" (FAZ).
Bühne
Besprochen werden Rebbekka Kricheldorfs Aschenputtel-Variante "Der goldene Schwanz" in Kassel (FR) und "Die gestürzte Pyramide", ein Sammelband mit Essays von Jürgen Flimm (nachtkritik)
Design

Architektur
SZ-Kritikerin Evelyn Vogel lernt in der Ausstellung "Taiwan ACTS!" im Münchner Architekturmuseum, wie Architektur aussehen kann, wenn gesellschaftliche Verantwortung bei der Planung im Mittelpunkt steht: "Kommunale Projekte zeigen, wie Architektur - von engagierten Laien oder Bürgerinitiativen angestoßen und umgesetzt - neu mit Leben gefüllt wird; in der Stadt wie auf dem Land. Oder wie Neubauten, selbst wenn hier mitunter das Top-Down-Prinzip zum Tragen kommt, auf bestehende Architektur reagieren und mit ihr interagieren können, ohne die Identität des Vorhandenen zu verraten. Andere Initiativen veranschaulichen, wie Architekturbüros in Taiwan ihre Autorenschaft im Entwurfsprozess neu definieren. "
Literatur
Zum fünften Todestag von Péter Esterházy schreibt die Schriftstellern Noémi Kiss ihrem Landsmann auf ZeitOnline einen traurig-zornigen Brief ins Jenseits: "Warum brauchten Sie als Ungar Berlin? Das Deutsche? Das haben Sie mir nie zugeflüstert. Nur dass wir weit von hier wegfahren sollten! Dieses Land ist beschissen, doch natürlich haben Sie es insgeheim geliebt. Kommen Sie doch zurück nach Csillaghegy, Sternenhimmel, Ihren Geburtsort! Es gibt noch viele, die an Sie denken, aber es werden immer weniger… (oder sollte ich lieber nicht ehrlich sein?). Die Welt ist beschissen. Ein Scheißhaufen. Mit Plastikfolie verhüllt. ... Unser Leben ist leer, Sie fehlen so sehr, wir lachen nicht. Keiner ist glücklich, weder Gräser noch Käfer. Es gibt keine Typen, keine starken Typen, Figuren. Es gibt kein Lachen, keine Humorpublizistik. Nur Blasse schreiben in Lebenundliteratur. Ein Mistkerl ist der Ministerpräsident, und Mistkerle sind seine Opposition. "
Paul Jandl kommt in der NZZ auf die Debatte um Moritz Baßlers Essay "Der neue Midcult" (unsere Resümees finden Sie hier, dort und hier), zieht dabei aber die Position des leicht amüsiert beobachtenden Zaungasts vor und hält fest, "selbst hellsichtigste Lektüren kommen ohne Umnachtung der Gefühle nicht ganz aus. Debatten darüber, bei wem die größere Dunkelheit herrscht, führen zwar nicht wirklich weiter, aber wahr ist auch: Das Komplexe in der Literatur hatte auch schon einmal mehr Fürsprecher." Alles in allem "scheint der Befund deutlich: Wir lesen aneinander vorbei. Das ist dramatisch, aber nicht schlimm."
Weitere Artikel: In der Dante-Reihe der FAZ wirft Stefana Sabin einen Blick auf Dantes Melancholie. Frankreich hat für 4,55 Millionen Euro de Sades Originalmanuskript von "Die 120 Tage von Sodom" gekauft, meldet Nicolas Freund in der SZ.
Besprochen werden unter anderem Adelheid Duvanels "Fern von hier" mit sämtlichen Erzählungen (Freitag), Mathias Énards "Das Jahresbankett der Totengräber" (online nachgereicht von der FAZ), Franziska Meiers "Besuch in der Hölle" über Dantes "Commedia" (SZ), Wendy Law-Yones "Dürrenmatt and Me" (FAZ) sowie die Ausstellung "Arbeit am Gedächtnis - Transforming Archives" zum Themenkomplex Gedächtnis, Erinnerung und Archiv in der Berliner Akademie der Künste (FAZ).
Paul Jandl kommt in der NZZ auf die Debatte um Moritz Baßlers Essay "Der neue Midcult" (unsere Resümees finden Sie hier, dort und hier), zieht dabei aber die Position des leicht amüsiert beobachtenden Zaungasts vor und hält fest, "selbst hellsichtigste Lektüren kommen ohne Umnachtung der Gefühle nicht ganz aus. Debatten darüber, bei wem die größere Dunkelheit herrscht, führen zwar nicht wirklich weiter, aber wahr ist auch: Das Komplexe in der Literatur hatte auch schon einmal mehr Fürsprecher." Alles in allem "scheint der Befund deutlich: Wir lesen aneinander vorbei. Das ist dramatisch, aber nicht schlimm."
Weitere Artikel: In der Dante-Reihe der FAZ wirft Stefana Sabin einen Blick auf Dantes Melancholie. Frankreich hat für 4,55 Millionen Euro de Sades Originalmanuskript von "Die 120 Tage von Sodom" gekauft, meldet Nicolas Freund in der SZ.
Besprochen werden unter anderem Adelheid Duvanels "Fern von hier" mit sämtlichen Erzählungen (Freitag), Mathias Énards "Das Jahresbankett der Totengräber" (online nachgereicht von der FAZ), Franziska Meiers "Besuch in der Hölle" über Dantes "Commedia" (SZ), Wendy Law-Yones "Dürrenmatt and Me" (FAZ) sowie die Ausstellung "Arbeit am Gedächtnis - Transforming Archives" zum Themenkomplex Gedächtnis, Erinnerung und Archiv in der Berliner Akademie der Künste (FAZ).
Musik
Nadine Lange porträtiert im Tagesspiegel die Sängerin Adi Amati. Markus Ströhlein informiert sich für die Jungle World, ob Trommeln Sport ist. Die NMZ meldet via dpa, dass sich bei einem Musikfestival in Utrecht trotz Sicherheitsvorkehrungen offenbar 1000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben.
Besprochen werden eine Bach-Aufnahme von Les inAttendus mit Akkordeon (SZ), ein Baden-Badener Beethovenabend des Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin (FAZ) und das neue Album von The Go!Team (taz, mehr dazu bereits hier). Wir hören rein:
Besprochen werden eine Bach-Aufnahme von Les inAttendus mit Akkordeon (SZ), ein Baden-Badener Beethovenabend des Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin (FAZ) und das neue Album von The Go!Team (taz, mehr dazu bereits hier). Wir hören rein:
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