Efeu - Die Kulturrundschau
Ein Hund kann eben nicht lügen
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Film
Außerdem: Susanne Gottlieb wirft für den Standard einen Blick auf die Krise des althergebrachten Blockbusters, dessen etablierte Franchises derzeit der Reihe nach floppen. Marc Hairapetian spricht für die FR mit dem Filmemacher Rainer Erler, der am Samstag 90 Jahre alt wurde und vor allem in den Siebzigern für seine fürs deutsche Fernsehen umgesetzten Science-Fiction-Arbeiten bekannt wurde. Für die SZ bespricht Sofia Glasl Elegance Brattons "The Inspection" über seine Zeit als schwarzer, schwuler Marine. Dlf Kultur hat mit dem Regisseur gesprochen. Und wer immer schon mal hören wollte, wie Werner Herzog unflätigste Begriffe in den Mund nimmt, ist mit diesem vom Dlf Kultur wieder zugänglich gemachten Hörstück "The Peyote Dance" nach Antonin Artaud bestens versorgt - und Patti Smith ist auch dabei.
Musik
Außerdem: Juliane Reil sprach im Dlf Kultur mit Simon Reynolds über dessen neues Buch "Futuromania", das von der einstigen Zukunftseuphorie des Pop handelt. Die Kompaktkassette wird 60 Jahre alt, meldet Thomas Wochnik im Tagesspiegel. Juliane Leibert sprach für die SZ mit der Post-Punk-Synthpop-Band Cumgirl8: Zu erleben gibt es mit diesen "vier Reiterinnen der Apokalypse" mitunter "Lebenslust im Angesicht des Weltuntergangs".
Besprochen werden die Compilation "Klar!80" mit Düsseldorfer Undergroundmusik aus den frühen Achtzigern (taz) und Bebel Gilbertos neues Album, auf dem sie Bossanova-Stücke ihres legendären Vaters João Gilberto singt (Welt).
Kunst
Besprochen werden die Jubiläumsausstellung der Salzburger Residenzgalerie "Von 0 auf 100. 100 Jahre Residenzgalerie, 100 Gründe zum Feiern"(FAZ) und Lucy Beechs Ausstellung "Working with no waste" im Edith Russ Haus in Oldenburg (taz)
Bühne
"Zum Niederknien gut" findet Nachtkritiker Georg Kasch an Oliver Reeses Brecht-Abend am Berliner Ensemble vor allem die Hauptdarstellerin Katharine Mehrling: "Sie hat die Härte von Helene Weigel und Gisela May, kann aber auch jederzeit in Jazz-Taumel oder Musical-Jubel umschalten. Toll, wie sie 'Das Lied vom Weib des Nazisoldaten' gestaltet, als wilde Cabaret-Nummer im Hochzeitskleid - und dann die letzte Strophe a cappella erklingt...Oder wie sie in 'Mutter Beimlein' als unheimlicher Harlekin die Treppe heruntersteigt und dabei wie ein Maschinchen singt, völlig unsentimental." FAZ-Kritiker Simon Strauß verlässt pfeifend den Theatersaal. Zu Beginn hat er zwar mit seinen Antipathien gegenüber dem "Augsburger Bürgersohn" zu kämpfen, das Spiel von Mehrling und Paul Herwig, aber vor allem die Musik, lassen ihn diese aber rasch vergessen: "Unter der umsichtigen Regie von Oliver Reese spielt und singt sich das Duo schnell in die Herzen des Berliner Premierenpublikums." Für Christine Wahl fehlt es dem Abend hingegen ein wenig an Schwung, wie sie im Tagesspiegel schreibt. Die Idee, die Darsteller "eins zu eins" nachspielen zu lassen, was sie gerade singen, findet sie ein bisschen einfallslos. Irene Bazinger bespricht das Stück in der Berliner Zeitung.
Weitere Artikel: In der NZZ stellt Marianne Zelger-Vogt den italienischen Opernsänger Andrè Schuen vor. Taz-Kritikerin Sabine Seifert hat die Proben für Brechts Stück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" verfolgt, die das Gefängnistheater aufBruch mit Insassen der JVA Tegel erarbeitete. In der SZ resümiert Dorion Weickmann das Festival "Tanz im August", das ihn bis auf wenige Ausnahmen überzeugt hat. In der taz berichtet Dorothea Markus vom Start des Weimarer Kunstfests.
Besprochen werden Michael Webers Inszenierung von "Prinz Friedrich von Homburg" im Theater Willy Praml in Frankfurt am Main (FR), Stefan Puchers Inszenierung von Shakespears "Der Kaufmann von Venedig" beim Lausitz-Festival (nachtkritik) und Katja Langebachs Inszenierung von Raoul Schrotts Euripides-Version "Orestie" am Theater Luzern (nachtkritik).
Literatur
"Umberto Eco hätte sicherlich große Freude an dieser Geschichte gehabt", schreibt Karen Krüger in der FAZ mit Blick auf das seit Wochen anhaltende Rätselraten darum, was es wohl mit der Novelle "Carmen Nova" auf sich hat, die vor kurzem antiquarisch in Form einer angeblichen deutschen Übersetzung aufgetaucht ist. Ausweislich des Buchdeckels wird diese dem italienischen Semiologen und Schriftsteller zwar zugeschrieben, doch tatsächlich von ihm stammen dürfte sie wohl kaum (mehr dazu bereits hier). In Ecos engstem Umfeld hat niemand von dem Buch gehört, es "findet sich auch nicht im Katalog von Ecos 30.000 Bände umfassender moderner Bibliothek. Wahrscheinlich hatte der Universalgelehrte keine Kenntnis davon. Andernfalls hätte er sich sicherlich ein Exemplar des Buches besorgt, schließlich war Eco fasziniert von Fälschungen, Phantastereien, menschlichen Irrtümern und Lügen - unverrückbare Wahrheiten langweilten ihn eher. Die Lüge betrachtete er als fundamentalen Aspekt der Kommunikation, als "ein Sprechen über nicht existierende Welten". In einem Interview sagte er einmal: 'Über reale Welten kommunizieren kann auch ein Hund. Aber ein Hund kann eben nicht lügen.'" Die Universität Bremen hat das mutmaßlich von einem Prankster in den frühen Achtzigern in die Welt gesetzte Werk digital zugänglich gemacht.
Weitere Artikel: Jakob Hayner besucht für die Welt den früheren Landsitz von Peter Hacks in Brandenburg: Es "liegt ein Hauch von italienischer Grandezza über dem Hof, die Mauern mit Rosenspalier halten die Außenwelt auf Abstand." Maxim Biller erzählt in der Zeit von einer Begegnung mit Daniel Kehlmann, von dem er sich nichts sehnlicher wünscht als endlich einen Roman mit jüdischen Figuren: "Die Deutschen würden es hassen." Joachim Sartorius erzählt in der FAZ von seiner Reise nach Sri Lanka mit Nicolas Bouviers "Der Skorpionsfisch" im Gepäck. Gustav Seibt liest für die SZ die mitunter heißblütige Korrespondenz zwischen Goethe und Auguste "Gustchen" Gräfin Stolberg.
Besprochen werden unter anderem Cécile Wajsbrots "Mémorial" (Tsp), eine Neuauflage von Maria Lazars "Viermal ICH" aus den 1920ern (Standard), Toni Morrisons "Rezitativ" (Standard), Maxim Billers "Mama Odessa" (FR), Tobias Rüthers Biografie über Wolfgang Herrndorf (online nachgereicht von der Zeit), Ulrike Sterblichs "Drifter" (Tsp), Kerstin Ekmans "Wolfslichter" (online nachgereicht von der FAZ), Peter Henischs "Nichts als Himmel" (Standard), Elif Batumans "Entweder/Oder" (FAS), Leonhard Hieronymis "Der gute König" (Standard), Michael Vogts und Olaf Brills Comicausgabe von "Perry Rhodan" (Tsp), Martin Musers Jugendroman "WEIL" (SZ) sowie Anna Desnitskayas und Maria Bakharevas Bilderbuch "Märkte in aller Welt" (FAZ).
In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Gisela Trahms über Dieter Leisegangs "Vergangenheiten":
"Eben, beim Ausziehen, zufällig aus dem Fenster blickend -
Seh' ich das Treppenhaus gegenüber erleuchtet, einen
jungen Mann ..."