Intervention

Nun ist es an den Europäern

Von Richard Herzinger
25.03.2021. Die Biden-Regierung steht nicht nur vor der Aufgabe, der amerikanischen Führungsrolle in der Welt neue Geltung zu verschaffen, sondern auch, der Idee der Demokratie insgesamt auf der globalpolitischen Bühne wieder eine mächtige Stimme zu verleihen. Die kommenden Jahren werden entscheidend dafür sein, ob die demokratische Welt die Tendenz zur Dominanz autoritärer Mächte in der Weltpolitik noch einmal umkehren kann. Einige außenpolitische Akzentsetzungen Bidens sind richtig.
In den ersten zwei Monaten seiner Amtszeit hat US-Präsident Joe Biden außenpolitische Akzente gesetzt, die einen deutlichen Richtungswechsel gegenüber der Politik Washingtons unter Donald Trump erkennen lassen. Die stärkste Botschaft sandte Biden jüngst an Wladimir Putin, als er ihn in einem Interview einen "Killer" nannte.

Ein solch deutliches Wort über den Kreml-Herrscher aus dem Munde eines US-Präsidenten war längst überfällig. Die zahlreichen Morde und Mordversuche an Oppositionellen, von Anna Politkowskaja über Boris Nemzow bis Alexej Nawalny,  wären ohne Anweisung oder zumindest Billigung Putins nicht möglich gewesen. Der von ihm modellierte russische Staat beruht insgesamt auf der Herrschaft einer kriminellen Struktur - einer Symbiose aus jenseits gesetzlicher Schranken agierenden Geheimdiensten und dem organisierten Verbrechen. Für beide gehört das Liquidieren von Gegnern zum selbstverständlichen Repertoire - ein Mittel allerdings, das sie gegen den Willen ihres obersten Paten, als der Putin in dieser mafiaähnlichen Struktur fungiert, niemals einsetzen können.

Auch Worte können in der Weltpolitik eine erhebliche politische Wirkung entfalten. Die konsequente Eindämmung verbrecherischer Regimes beginnt damit, dass man ihre Anführer beim richtigen Namen nennt und ihnen damit klar macht, dass man sie als das durchschaut hat, was sie tatsächlich sind. Doch seinem verbalen Vorstoß muss Biden nun auch entsprechende praktische Schritte folgen lassen.

Zumal die ersten Sanktionen, die Washington unter Biden gegen Russland verhängt hat, eher moderat ausfielen. Sie richteten sich gegen einzelne Beteiligte an der widerrechtlichen Verurteilung Alexej Nawalnys durch die gelenkte russisches Justiz. Nunmehr aber steht eine angemessene Reaktion auf die massive Einmischung Moskaus in die US-Präsidentschaftswahl 2020 sowie die exzessive russische Cyberattacke auf US-Regierungsnetzwerke aus. Auf diese Angriffe gegen die Sicherheit der USA muss Biden eine weit härtere Antwort geben als in früheren Fällen, sollen seine starken Worte nicht als bloße Rhetorik verpuffen.

Auch im Verhältnis zu China stellt sich die Biden-Regierung neu auf. Dabei hält sie an dem von Trump eingeschlagenen harten wirtschaftspolitischen Kurs gegenüber Peking fest, erweitert diesen Ansatz jedoch um ein offensives Angehen gegen Menschenrechtsverletzungen durch das Regime in Peking. Der öffentlich geführte Schlagabtausch, den sich US-Außenminister Antony Blinken vergangene Woche mit seinem chinesischen Amtskollegen bei ihrem Treffen in Alaska geliefert hat, weist dabei in die richtige Richtung. Mit aggressiven Diktaturen zu verhandeln und Abkommen zu schließen, ist unausweichlich - doch die fundamentalen Differenzen, die eine demokratische Macht von diesen trennen, müssen jederzeit deutlich sichtbar bleiben. Und die Vereinbarungen, die man mit solchen Regimen trifft, dürfen nicht im Widerspruch zu den prinzipiellen Positionen stehen, die man ihnen gegenüber definiert hat.

In diesem Sinne geht der neue US-Präsident auch auf Distanz zu Saudi-Arabien, das unter Trump kaum Kritik aus Washington an seinen horrenden Menschenrechtsverletzungen zu befürchten hatte. Dagegen hat Biden den Saudis nicht nur die Unterstützung ihres ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung geführten verheerenden Bombenkrieg im Jemen entzogen. Er ließ auch den US-Geheimdienstbericht veröffentlichen, der Kronprinz Muhammad bin-Salman, den kurz "MbS" genannten starken Mann Saudi-Arabiens, als Auftraggeber des Mords an dem oppositionellen Journalisten Jamal Khashoggi benennt.  Daraufhin hat Washington Sanktionen gegen einige Verantwortliche für diese Untat verhängt. Davor, MbS selbst in die Strafmaßnahmen einzubeziehen, schreckte es allerdings zurück.

Anders als dies bei Obama der Fall war, verbindet Biden seine Distanz zu Saudi-Arabien aber nicht mit Nachgiebigkeit gegenüber dessen Erzfeind Iran. An die Rückkehr der USA in das von Trump aufgekündigte Atomabkommen mit Teheran und die Aufhebung von US-Sanktionen knüpft er Bedingungen: Iran müsse zuerst wieder die seine im Atomdeal festgelegten Verpflichtungen einhalten, und in Gespräche über eine Neuauflage des Abkommens müssten auch Fragen wie die destruktive Rolle Teherans in der Region einbezogen werden. Mit Sanktionen gegen das Mullah-Regime wegen  Menschenrechtsverletzungen und der Bombardierung proiranischer Milizen in Syrien hat Washington signalisiert, dass es den Druck auf die iranische Führung erhöhen will.

Die Biden-Regierung steht nicht nur vor der Aufgabe, der amerikanischen Führungsrolle in der Welt neue Geltung zu verschaffen, sondern auch, der Idee der Demokratie insgesamt auf der globalpolitischen Bühne wieder eine mächtige Stimme zu verleihen. Die kommenden Jahren werden entscheidend dafür sein, ob die demokratische Welt die Tendenz zur Dominanz autoritärer Mächte in der Weltpolitik noch einmal umkehren kann.

Noch lässt sich schwer einschätzen, ob die Kraft und der Wille der neuen US-Regierung dafür ausreichen, diese historische Wende herbeizuführen - oder ob ihr hoher Anspruch am Ende doch in halbherzigen Maßnahmen versanden wird. Der grundlegende Ansatz des Präsidenten und seines Außenministers stimmt indes immerhin zuversichtlich: Er kombiniert eine feste Position bei der Verteidigung des internationalen Rechts und der Menschenrechte weltweit mit der Bereitschaft zu Verhandlungen über die Verringerung internationaler Spannungen. Das beinhaltet auch das Bestreben Washingtons, seine Verbündeten in seine Initiativen einzubeziehen. So haben jüngst die USA, Japan und Südkorea mit Blick auf eine mögliche chinesische Aggression gegen Taiwan ihre enge militärische Kooperation bekräftigt.

Nunmehr ist es an den Europäern zu zeigen, was sie zu einer gemeinsamen festeren Haltung des Westens beizutragen bereit sind. Immerhin hat die EU jetzt erstmals seit dreißig Jahren Sanktionen gegen China beschlossen - wegen der Verfolgung der Uiguren in der Region Xinjiang. Doch bis zu einem wirklich illusionslosen Umgang der EU mit autoritären Mächten wie Russland und China ist es noch ein weiter Weg.

Richard Herzinger

Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine neue Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. D.Red. Hier der Link zur Originalkolumne.