Intervention

Keine Angst vor China

Von Richard Herzinger
30.11.2022. China unterstützt Länder wie Russland und Iran, um den geopolitischen Einfluss des Westens zu zerstören. Die Deutschen aber hoffen, wie schon bei Putin, aus Furcht vor einem übermächtigen Gegner auf diplomatische Lösungen, auf Wandel durch Handel. Doch der Koloss hat auch Schwachstellen.
Die Befürworter intensiverer diplomatischer Bemühungen Deutschlands um die Beendigung des russischen Kriegs gegen die Ukraine klammern sich an eine neue Lieblingsvorstellung. Sie besteht darin, China könne für das Ringen um eine "diplomatische Lösung" gewonnen werden, weil es grundsätzlich an stabilen und friedlichen weltpolitischen Verhältnissen interessiert sei.

Einen kräftigen Schub erhielt dieses Wunschdenken durch die umstrittene Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Peking Anfang November. Dass sich Xi Jinping anlässlich dieses Besuchs gegen den Einsatz von Atomwaffen aussprach, wurde in der deutschen Öffentlichkeit als bedeutender diplomatischer Erfolg des Berliner Regierungschefs gewertet.

Zwar trifft es wohl zu, dass Peking keine atomare Eskalation durch seinen Verbündeten Russland wünscht. Doch wer aus Xis Äußerung ableiten zu können glaubt, das chinesische Regime werde nun Druck auf Russland ausüben, seine Aggression gegen die Ukraine zumindest zu zügeln, verkennt dessen wahres Wesen sowie die Schlüsselrolle Pekings bei der aktuellen Großoffensive autoritärer Regime gegen die westlichen Demokratien.

Russland und Iran bilden eine antiwestliche Kriegsachse, die den historischen Moment zur Zertrümmerung der liberalen Weltordnung gekommen sieht. In diese Phalanx fügen sich mit Nordkorea und Kuba zwei der letzten verbliebenen kommunistischen Diktaturen ein. Als ein Zeichen dafür enthüllte Wladimir Putin kürzlich in Moskau ein Denkmal für den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro.

Diese Regime könnten jedoch nicht derart aggressiv auftrumpfen, würde ihnen nicht von der ökonomisch weitaus potenteren VR China der Rücken gestärkt. Peking braucht und benutzt sie für sein strategisches Hauptziel, den globalpolitischen Einfluss des Westens zu zerstören. Deutsche Träume von einer "multilateralen" globalen Friedenssicherung werden daran nichts ändern.

Die chinesische Führung ist zwar noch nicht offen auf kriegerischen Konfrontationskurs mit dem Westen gegangen. Doch mit wachsender Aggressivität droht es, sich Taiwan militärisch einzuverleiben - ein demokratisches Land, das politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich-kulturell eindeutig der westlichen Welt zuzurechnen ist. Dass Xi Jinping auf dem jüngsten Parteitag der KP Chinas die letzten Reste kollektiver Führung beseitigen und sich zum nunmehr gänzlich unumstrittenen Alleinherrscher einsetzen ließ, ist ein bedrohliches Indiz dafür, dass der Überfall auf Taiwan bald stattfinden könnte. Braucht Xi doch gerade im Blick auf einen bevorstehenden Kriegszug einen ihm vollständig hörigen Machtapparat.

Dass Olaf Scholz dem chinesischen Staats- und Parteichef unmittelbar nach dessen Inthronisierung zum absoluten Despoten die Aufwartung machte, bedeutete für den starken Mann in Peking eine willkommene internationale Aufwertung. Ein kleines "Gastgeschenk" wie die von Berlin ersehnte Absage an den Atomkrieg hat ihn da nicht viel gekostet. Wie glaubhaft und verlässlich solche Signale sind, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Angesichts der euphorischen Reaktionen darauf in Deutschland fühlt man sich an Scholz' Moskau-Reise zu Putin kurz vor dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine erinnert. Nachdem Putin ihm ins Gesicht gelogen hatte, er plane keine Invasion, war Scholz damals von der SPD bereits als Retter des Friedens in Europa gefeiert worden.

Dass sich die Bundesregierung die weltpolitische Rolle Chinas schönzureden versucht, hat freilich vor allem wirtschaftliche Motive. Angesichts des Einbruchs der Gasversorgung aus Russland und den daraus folgenden strukturellen Probleme für die deutschen Wirtschaft glaubt man sich in Deutschland nicht auch noch Einbußen im China-Geschäft leisten zu können. Dass Scholz gegen sicherheitspolitische Bedenken selbst aus der eigenen Regierungskoalition der chinesischen Staatsreederei Cosco eine Beteiligung an einem Container-Terminal im Hamburger Hafen genehmigt hat, sendet das entsprechende Signal. Ungeachtet aller Rhetorik von der "Zeitenwende" wagt Berlin nicht, einen politischen Paradigmenwechsel im Verhältnis zu dem totalitären China zu vollziehen. Ähnlich wie zuvor in Bezug auf Russland redet man sich lieber ein, trotz der zunehmenden globalpolitischen Aggressivität des Pekinger Regimes ließen sich mit ihm "normale" wirtschaftliche Beziehungen aufrechterhalten.

Hinter der Verdrängung der damit verbundenen Gefahren steckt eine tief sitzende Furcht vor der chinesischen Übermacht, gegenüber der ein konfrontativer Kurs aussichtslos sei. Tatsächlich ist die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China unvergleichlich höher als die von Russland. Doch das in den vergangenen Jahren im Westen gewachsene Bild von China als einem unaufhaltsam wachsenden wirtschafts- und machtpolitischen Riesen, mit dem man sich unter allen Umständen gut stellen müsse, hat sich zu einem Mythos verfestigt, der zunehmend in Kontrast zur Realität gerät.

Das Regime der VR China wirkt zwar erheblich stabiler als die maroden Autokratien Russlands und Irans. Es beherrscht ein Land mit gewaltiger Wirtschaftskraft und verfügt über Überwachungstechnologien, die seinen Untertanen fast jede unkontrollierte Bewegung unmöglich machen - von organisierter oppositioneller Tätigkeit ganz zu schweigen. Doch die rigorose Corona-Politik des Regimes mit der Totalabsperrung ganzer Mega-Metropolen wie Shanghai schürt Unmut und Verzweiflung in der Bevölkerung. Das vormals exorbitante Wirtschaftswachstum ist ins Stocken geraten, und hinter der monolithischen Fassade der überalterten kommunistischen Machtelite blühen Korruption und kriminelle Bandenwirtschaft. Die Schere zwischen Arm und Reich wächst ins Gigantische, und unter der Landbevölkerung herrscht in weiten Teil nach wie vor Elend. Hinzu kommen katastrophale Umweltprobleme und eine dramatisch rückläufige demografische Entwicklung. Die jüngsten Unruhen in China zeigen, dass auch dieses scheinbar hermetische totalitäre System plötzlich in seinen Grundfesten erschüttert werden könnte.

Nicht zuletzt diese Schwachstellen im chinesischen Herrschaftssystem sollten auch Deutschland zu einer festeren Haltung gegenüber dem Pekinger Regime ermutigen. Dessen Eindämmung ist in der China-Politik das Gebot der Stunde.

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Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. D.Red. Hier der Link zur Originalkolumne.
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