Magazinrundschau
Seid psycho!
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.11.2009. Der New Yorker sucht den entscheidenden Unterschied zwischen männlich und weiblich. Elet es Irodalom kommentiert das Kertesz-Interview in der Welt. Prospect begutachtet die Entwicklung des schwedischen Krimis. Walrus lässt sich von dem Dirigenten Yannick Nezet-Seguin, warum Werktreue manchmal etwas Gewalt braucht. In Polityka bittet der Historiker Jerzy W. Borejsza, die Angepassten, Assimilierten und Kollaborateure nicht aus der Geschichte zu werfen. Im Guardian verteidigt Zadie Smith den Roman gegen den Essay.
New Yorker (USA), 30.11.2009

James Wood bespricht das neue Buch von Paul Auster "Invisible". David Denby sah im Kino das Drama "Me and Orson Welles" von Richard Linklater und den Krimi "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans" von Werner Herzog mit Nicolas Cage. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Midnight in Dostoevsky" von Don DeLillo und Lyrik von Sarah Arvio und Philip Schultz.
Elet es Irodalom (Ungarn), 13.11.2009

Der Wirtschaftswissenschaftler Tamas Bauer meint, dass es in der Beurteilung des Interviews nur auf eines ankommt: "Ist es rechtens, dass Kertesz sein Urteil auf das ganze Land ausweitet, und nicht nur auf einige politische Kräfte? Gibt es denn in Ungarn nichts außer der von der Fidesz angeführten Rechten? Schon, nur steht dem Nationalismus der Fidesz keine selbstbewusste politische Kraft gegenüber. [?] In der ungarischen Öffentlichkeit und in der Politik ist die weiter westlich so klare Grenze zwischen demokratischen und extremistischen Äußerungen völlig unklar geworden. Kertesz sagt daher zu Recht, dass in Ungarn heute die Rechtsextremen das Sagen haben. Vorerst ist nicht absehbar, ob eine politische Kraft in den kommenden Jahren oder gar Jahrzehnten erscheinen wird, die sich ihnen widersetzen könnte."
Prospect (UK), 01.12.2009

Durch Konsum neuer Medien schrumpfen die Aufmerksamkeitsspannen, berichtet John Naish und schildert etwa die Auswirkungen auf den Werbemarkt. Aber auch auf einem anderen Gebiet zieht der Mangel an Geduld Konsequenzen nach sich: "Der Brettspielproduzent Hasbro hat beschleunigte Versions seiner Spielebestseller Monopoly und Scrabble auf den Markt gebracht, und zwar mit dem Slogan 'mach mal zwanzig Minuten Pause mit einem Spiel'. Das neue Scrabble Express hat jeweils nur zwei Wörter auf einmal auf dem Brett, und der 'Q'-Stein ist durch ein 'Qu' ersetzt worden. Monopoly Express hat keine Hotels, keine Zufallskarten und noch nicht einmal Bargeld (das ist durch eine EC-Karte ersetzt). Wer hat schon Zeit, Banknoten zu zählen? Phil Jackson, Chef der Spieleabteilung bei Hasbro, erklärt, dass Marktanalysen erwiesen hätten, dass die Spieler sich beim umständlichen Endspiel von Monopoly langweilen."
Tygodnik Powszechny (Polen), 23.11.2009

Mit Verwunderung nimmt Joanna Batkiewicz-Brozek die große Identitätsdebatte in Frankreich auf. "Die Debatte wird wie eine Revolution vorbereitet. Das Problem ist nur, dass ein vorgeblich richtiger und wertvoller Gedankenaustausch sich geradewegs gegen die Einwanderer richten kann". Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kontroversen der letzten Jahre, wie des Kopftuchstreits, ist der Ausgang der Debatte ungewiss. "Nationale Werte sind natürlich sehr wertvoll, aber wozu kann Ignoranz gegenüber anderen Kulturen, verbunden mit plötzlicher Mobilisierung und Distanz gegenüber den Bräuchen der - bis dahin angeblich so großzügig empfangenen - Immigranten führen?", fragt rhetorisch die Publizistin.
Walrus Magazine (Kanada), 01.12.2009

Hier spielt er mit dem London Philharmonic Orchestra Ravels "La valse":
La vie des idees (Frankreich), 20.11.2009
In einem ausführlichen Artikel stellt Pauline Peretz die jungen jüdischen Verband J Street vor, die den etablierten jüdisch-amerikanischen Interessengruppen ihr Monopol als Meinungsmacher für die Sache Israels abspricht. Die liberale, unter anderem etwa von Jimmy Carter und in Israel vom Schriftsteller Amos Oz unterstützte Organisation setzt sich in den USA für den sofortigen Stopp des israelischen Siedlungsbaus und die Verhandlung einer Zwei-Staaten-Lösung ein und nimmt sich im Gegensatz zur einflussreichen konservativen Gruppe Aipac das Recht heraus, Israel und seine Politik scharf zu kritisieren. "Für ihre in Washington seit mehreren Jahrzehnten etablierten Rivalen sind sie eine radikale Organisation, die die Einheit der Gemeinschaft bedroht und die Positionen der israelischen Regierung diskreditiert; aus diesen beiden Gründen müsse man ihren Einfluss bekämpfen. Für die liberalen Juden dagegen steht J Street für eine Chance, endlich in Washington Gehör zu finden. Und für die Regierung Obama ist J Street ein geschätzter Bündnispartner, weil man dort fähig ist, seine kritischen Positionen zu Israel einem Gemeinwesen gegenüber zu behaupten, das dazu neigte, sich neuen Kursen zu widersetzen. Die Medien ihrerseits sind fasziniert vom Aufschlagen dieses Meteoriten in der jüdischen Welt."
Polityka (Polen), 19.11.2009

Espresso (Italien), 19.11.2009

HVG (Ungarn), 18.11.2009
Am 11. Oktober hat die Bürgerrechtsorganisation der Roma mit etwa 300 Sympathisanten nach einem Fußmarsch aus der von Budapest ca. 100 km entfernten Ortschaft Jaszladany in die ungarische Hauptstadt dem Staatspräsidenten Laszlo Solyom eine Petition "gegen Apartheid" überreicht. Gergely Fahidi fragte Ernö Kallai, den parlamentarischen Beauftragten für die Angelegenheiten der Minderheiten, weshalb dieser Marsch nur so wenige Menschen mobilisieren konnte - während sich an der Bürgerrechtsbewegung in den USA vor einem halben Jahrhundert neben Afroamerikanern doch auch viele "Weiße" beteiligt hatten: "Etwas glimmt in der Tiefe, aber jene Menschen, die aus dieser Situation heraustreten könnten, neigen zur Zeit eher dazu, sich so stark wie möglich zu assimilieren. Heutzutage ist es nicht leicht, als Roma-Intellektueller in diesem Land zu leben [?]. Auch hier wird sich die Situation erst dann verschärfen, wenn eine kritische Masse der Roma-Intellektuellen entsteht, die zwar aufgrund ihrer Herkunft in den Hintergrund gedrängt wird, aber bereits stark genug wäre, sich zu wehren. Zwar gibt es manche Vorbilder, die aus den USA übernommen wurden - wie beispielsweise, die Segregation in der Schule vor Gericht zu bekämpfen: Noch ist das ungewohnt, aber auf jeden Fall berechtigt. Der Marsch von Jaszladany hat aber gezeigt, dass die Initiative nach amerikanischen Muster hier und jetzt noch nicht funktioniert."
Guardian (UK), 21.11.2009
Einen wunderschönen, subtil in sich widersprüchlichen Essay schreibt Zadie Smith über... den Essay. In Wahrheit ist es aber eher eine Verteidigung des Romans gegen die Essays eines offensichtlich gerade bei Studenten (aber auch bei Coetzee und Jonathan Lethem) schwer angesagten Bandes von David Shields: "Reality Hunger: A Manifesto". Shields kritisiert darin die Künstlichkeit von Romanen, Essays könnten die Welt viel realistischer beschreiben. Seine Devise: "Warum die Welt neu erschaffen, wenn sie schon existiert?". Da mag Smith aber nicht zustimmen, die diesen Spruch eher als Ausdruck von Schreibblockade und Arroganz sieht - auf der Suche nach einer langweiligen Perfektion, die in Romanen unerreichbar ist: "Es gibt eine bestimmte Art Autoren - meistens männlich, aber nicht nur - mit einem unstillbaren Hunger nach Reinheit und Perfektion, und dieser Typus wird den Essay immer in Ehren halten. Denn Essays ermöglichen so etwas wie Perfektion. Romane dagegen sind idiosynkratisch, uneben, peinlich und ziemlich häufig Übelkeit erregend - vor allem, wenn man selbst einen geschrieben hat. Innerhalb der Grenzen eines Essays oder - noch besser! - eines Aphorismus, kann man der Schriftsteller sein, der man gerne wäre. Kein Wort am falschen Platz, keine offensichtlichen Schwachpunkte (Dialog, die überzeugende Darstellung anderer Menschen, Handlung), keine Auslassungen, keine Mängel. Ich glaube es sind die Grenzen des Essays, und der Realität, die Schriftstellern so gefällt." Shields' Essayband erscheint im Februar. Hier, als pdf-Dokument, eine Leseprobe.
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