Mord und Ratschlag

Keine Moral ohne Eleganz

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
12.05.2015. Die italienische Autorengruppe Wu Ming schickt in "54" Cary Grant auf geheime Mission nach Jugoslawien, wo er mit Eleganz und Stil beinahe den Kalten Krieg entschärft hätte. Robert Brack durchkreuzt in "Die drei Leben des Feng Yun-Fat" buddhistische Weisheiten und die Prinzipien hanseatischer Kaufmannskunst.
Archibald Alexander Leach verweigerte sich der Rolle, in die er als Proletariersohn in Bristol hineingeboren worden war. Er entriss den Göttern die Idee der Perfektion, des vollkommenen Stils, und gab sie der Welt als Geschenk: Archie Leach machte aus sich einen neuen Menschen und schuf - Cary Grant. Dieser Neue Mensch marschierte nicht im Stechschritt, er war ganz und gar Homo Atlanticus: "Zivilisiert, aber nicht langweilig, gemäßigt, aber fortschrittlich; reich, natürlich, sogar unermesslich reich, aber nicht gleichgültig und schon gar nicht abgestumpft."

Die italienische Autorengruppe Wu Ming hat in ihrem Roman "54" eine wunderbare Rolle für Cary Grant geschaffen. Mit hochgezogener Augenbraue und unüberbietbarer Eleganz läuft und stolpert Cary Grant durch das Epochenjahr 1954: Frankreich droht Indochina zu verlieren, Triest soll Italien zugeschlagen werden, McCarthy wird entmachtet, die Tscheka in den KGB umgewandelt und Tito sucht nach einem Weg, für Jugoslawien aus dem Westen und der Sowjetunion zugleich so viel wie möglich herauszuschlagen. Vor allem aber bekommt Cary Grant von Alfred Hitchcock das Angebot, mit Grace Kelly an der Côte d"Azur "Über den Dächern von Nizza" zu drehen. Comeback für den Hollywoodstar, dem Marlon Brando und James Dean den Rang abzulaufen drohen. Aber auch der britische MI6 bietet ihm eine Rolle an: Er soll in einem Propagandafilm über Titos ruhmreichen Partisanenkrieg mitspielen, um den Jugoslawen zu schmeicheln und eine Wiederannäherung an die Sowjetunion nach Stalin zu verhindern. Auf geheimer Mission wird Cary Grant also an die Adria geschickt, wo bereits die Agenten des KGB darauf warten, ihn zu entführen.

Das Zusammentreffen von Cary Grant und Tito ist nur ein Strang in dieser wilden Weltgeschichte: Von Neapel aus macht sich derweil der aus den USA deportierte Lucky Luciano daran, den globalen Drogenschmuggel aufzubauen: "Auf den Schiffen der Legionäre von Indochina nach Marseille. Von Marseille nach Sizilien. Aus dem Mittelmeer nach Amerika." In Bologna ringen zwei kommunistische Brüder darum, den Weg ihres im Partisanenkrieg verschwundenen Vaters fortzusetzen: Sehr anrührend ist dieser Strang um das ungleiche Paar, bitter und hart der eine, ein Filuzzi-Tänzer voller Flausen der andere. Und durch ganz Italien jagen Geheimdienste, Polizei und Mafia einen amerikanischen Fernseher voller Heroin, Marke McGuffin.

Der Roman birst geradezu vor Geschichte und Geschichten, wahren und erfundene Figuren. Immer wieder kreuzen sich die Bahnen von Schauspielern und Hochstaplern, kleinen und großen Gangstern, Idealisten und Zynikern. "54" ist Liebesgeschichte, Mafiaroman, Spionagethriller und politische Debatte in einem. Aus ständig wechselnder Perspektive erzählt der Roman mal historisch präzise, mal kontrafaktisch, aber immer antirealistisch. Vor allem schreibt Wu Ming - was angeblich "ohne Namen" und zugleich "fünf Namen" bedeutet - nicht als normiertes Kollektiv, sondern als "Multitude", also wie es sich für eine avancierte italienische Kommunikationsguerilla geziemt, als "Singularitäten, die gemeinsam handeln". Das hat zur Folge, dass die einzelnen Stimmen gelinge gesagt von sehr unterschiedlicher erzählerischer Kraft sind. Mitunter bricht sich recht bleierne Politprosa Bahn, und leider muss sich die einzige Frau in dieser durch und durch maskulinen Geschichte mit einem recht passiven und gefühligen Part zufrieden geben. In seinen stärksten Passagen erzählt der Roman jedoch auf sehr einleuchtende und sehr vergnügliche Weise, wie unaufhaltsam der Wille des Menschen ist, sich neu zu erfinden, und dass keine Moral ohne Eleganz auskommt.

Wu Ming: 54. Roman Aus dem Italienischen von Klaus-Peter Arnold. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2015, 526 Seiten, 24,80 Euro


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Gewaltsamer kann ein Roman eigentlich kaum anfangen als Robert Bracks "Die drei Leben des Feng Yun-Fat": Das Hamburger Detektivbüro Rabe & Adler wird vom Hafen aus mit einer Granate beschossen. Doch einem Autor wie Brack liegt jede Brachialität fern. Statt Tod und Zerstörung bringt der Granatenangriff bei ihm eine federleichte, verspielte Krimihandlung in Gang, in der eine schlagfertige Replik den Punch abwehrt und eine romantische Parole den Angreifer entwaffnet: "Herzklopfen heißt das Spiel."

Lenina Rabe betreibt nicht mehr allein wie in den Vorgängerromanen, sondern zusammen mit der gestrandeten Polit-Aktivistin Nadine Adler ihr Detektivbüro mit Blick auf den Hamburger Hafen. Von hier aus haben sie einen guten Blick auf die Handelswege hanseatischer Kaufmannskunst: Kriegswaffen für den Mittleren Osten, Autos und Maschinen für China, Schrott für Westafrika. Das Büro hat ihnen Leninas Vater überlassen, ein berühmter Hamburger Ermittler, von dem der Ausspruch überliefert ist: "Der Tod ist Teil des Vertrages, den ich nicht unterschrieben habe." Wenn es das Risiko wert ist, gehen die beiden Detektivinnen keiner Gefahr aus dem Weg, ansonsten achten sie jedoch sehr gewissenhaft auf eine vegane Ernährung oder den probaten CO2-Abdruck ihrer Agentur. Früher waren sie noch dafür, dass die Phantasie an die Macht kommt. Heute denken sie ernüchtert: "Angstträume gehören in Ketten gelegt und ins Verlies verbannt."

Die meisten Aufträge bekommen sie von ihrem einstigen Genossen und mittlerweile sehr erfolgreichen Anwalt Jonni Simonson, der sich die beiden Paradiesvögel auch zur Beruhigung des eigenen Gewissens leistet. Und obwohl Lenina und Nadine in spektakulär-privilegierter Lage arbeiten, wohnen sie natürlich in Altona. Wie hieß noch das Blatt, das sie früher verteilt haben? Irgendwas mit Spartakus.

Wer oder was hat ihnen also den Granatenangriff beschert? Die Geschichte beginnt mit dem Verschwinden von Wang Shuo, dem Koch im Altonaer "Hongkong-Drachen". Mit ihm wollte Lokalbesitzer Feng Yun-Fat ein neues chinesisches Restaurant aufmachen, das seinen Namen verdient und nicht nur Fertiggerichte süßsauer aufwärmt. Fengs Tochter Mai-Lin torpediert jedoch alle Versuche, dem verschwunden Koch auf die Spur zu kommen. Sie will nicht mit dem neuen Kompagnon ihres Vaters verheiratet werden.

Die Suche nach Wang Shuo führt die beiden Detektivinnen durch die China-Küchen der Stadt, vor allem aber an Orte wie den gigantischen Asia-Großmarkt "Acht Köstlichkeiten", der sich mit seinem direktem Anschluss an den Hamburger Hafen als perfekter Umschlagplatz für Importe/Exporte aller Art erweist, oder in ein schwer bewachtes Barackenlager am Maschener Kreuz, in dem die Vertragsarbeiter kaserniert sind: "Chinesische Wachleute für chinesische Köche. Deutsche Wachleute für deutschen Grund und Boden." Vor allem aber führt der Roman in eine Welt der Lohnsklaverei, in der das staatliche Abkommen zwischen Deutschland und China es ermöglicht, chinesische Köche wie Leibeigene zu behandeln.

Auch wenn sich bald herausstellt, dass Wang Shuo gar nicht gefunden werden will, bleiben die beiden Detektivinnen tapfer auf dem Weg der Erkenntnis. Sie diskutieren den tendenziellen Fall der Profitrate, die Frage, ob Ray Chandler Taoist gewesen sein könnte, oder den materiellen Charakter buddhistischer Weisheiten: Sind das nicht auch nur Verkaufsslogans? Schlimmer, meint Nadine, "Herrschaft wird durch Worte gestützt. Der Glanz der Worte soll blenden."

Robert Brack ist nach seinen historischen Ermittlungen mit der Reporterin Klara Schindler wieder ins Hamburger Hier und Jetzt zurückgekehrt, oder sagen wir lieber: in den Diskurs der Gegenwart. Manchmal würde man sich in diesem schlanken und elegant erzählten Roman etwas mehr Realität, wahre Menschen und echte Recherche wünschen, aber das ist nicht unbedingt Bracks Sache. Der Mann ist ein ungeheuer belesener Autor, seine Romane sind voller literarischer Anspielungen, voller Selbstironie und einer geradezu skrupulösen Selbstreflektiertheit. Seinen streikenden Chinesen lässt er die anti-pinkerton.org zu Hilfe kommen, sozusagen als literarische Wiedergutmachung für die berühmte Detektei, für die Dashiell Hammett einst arbeitete und im Auftrag der Industriellen die streikenden Gewerkschafter verprügelte. Brack könnte niemals zuschlagen. Er liest, grübelt und träumt. Und dann schreibt er einen Roman, in dem sich die Ausgebeuteten der Welt endlich wieder organisieren. Bevor sie wieder vermöbelt werden.

Rober Brack: Die drei Leben des Feng Yun-Fat. Roman. Edition Nautilus. Hamburg 2015, 192 Seiten, 14,90 Euro