Post aus der Walachei

Asta e

Von Hilke Gerdes
14.12.2004. Bei den Präsidentenwahlen in Rumänien siegte der oppositionelle Kandidat. Seinen Gegnern werden Wahlfälschungen vorgeworfen. Westliche Medienkonzerne spielen eine unrühmliche Rolle.
Vorschnelle Freude

Premierminister Adrian Nastase war am 1. Dezember in Alba Iulia, wo vor 86 Jahren die Vereinigung Siebenbürgens mit dem Altreich beschlossen worden war. Seitdem ist dieser Tag ein nationaler Feiertag. Adrian Nastase hielt patriotische Reden und ließ sich und seine Partei, die regierende PSD, feiern. Sie hatte bei den Parlaments- und Senatswahlen am 28. November um die sechs Prozent mehr Stimmen erhalten als die oppositionelle "Allianz für Gerechtigkeit und Wahrheit" (Wahlbündnis der demokratischen und nationalliberalen Partei, PD, und PNL). Und Nastase hatte seinen Konkurrenten im Kampf um das Präsidentenamt, Traian Basescu von der PD, besiegt

Doch das war vorschnell. Da der Präsident des Landes mindestens 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen muss, kam es am 12. Dezember zur Stichwahl. Und die brachte eine Überraschung für die siegesgewisse PSD: Nach dem vorläufigen offiziellen Wahlergebnis, das am 13. Dezember um 11 Uhr morgens verkündet wurde und das sich wahrscheinlich nicht mehr grundlegend ändern wird, haben 51,8 Prozent für Basescu gewählt. Nastase hat 48,2 Prozent erreicht. Bereits nach den ersten Hochrechnungen am Vorabend, die einen Gleichstand für jeden der beiden Kandidaten anzeigten, wirkte Nastase sichtlich verunsichert.


Allianz mit dem Wetter

Am Nationalfeiertag war es trübe in Bukarest. Der graue Himmel passte zu den politischen Vorkommnissen der vorhergehenden Tage. Zwar konnte sich die PSD und ihre Klientel über den Wahlerfolg freuen, doch gut getan hatte er ihrem Image nicht. Angesichts einer Reihe von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl sehen sich viele in ihrem Misstrauen gegenüber der Regierungspartei und den staatlichen Institutionen bestärkt.

Busladungen von Menschen waren nach Bukarest gekarrt worden, um hier wiederholt für die PSD zu wählen. Den Aufkleber am Personalausweis, der bescheinigt, dass man gewählt hat, konnte man leicht abziehen und so in anderen Wahllokalen über zusätzliche Wahllisten mehrmals wählen. Die Auszählung der ungültigen Stimmen soll nicht korrekt verlaufen sein.

Die Opposition sprach von Wahlbetrug und forderte die Annullierung der Wahl. Und das zum Nationalfeiertag.
Den Vorwürfen folgten Gegenvorwürfe: Die Opposition übertreibe die "nicht das Wahlergebnis beeinflussenden Probleme" und beschädige damit, so Nastase, das Image Rumäniens in Europa. Hier war es wieder: das Europa-Argument.

Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) ließ nur verlauten, dass es zwar Probleme gegeben habe, die Wahl insgesamt aber professionell und effektiv organisiert worden sei. Wie es scheint, ist der schnelle Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen wichtiger als die Untersuchung undemokratischer Wahlpraktiken.

Am 12. Dezember schien die Sonne. Und sie scheint auch jetzt noch. Doch Wolkenbildung ist garantiert: Der zukünftige Premierminister, der vom Präsidenten ernannt wird, braucht Koalitionspartner, auch die, die mit Nastase regieren wollten.


Hinter den Kulissen

Im Vergleich zu der Situation vor den Bürgermeisterwahlen blieben beim jetzigen Wahlkampf die Bukarester Straßen und Fassaden nahezu frei von plakatierten Politikerköpfen. Und es gab keine Gratiskonzerte oder Mici- und Bierpartys. An den wenigen Parteiständen standen lustlos Personen herum, die augenscheinlich nur einen Job machten. Eine alte Fahne der Sozialistischen Partei Rumäniens der Vorkriegszeit wehte verloren neben einem menschenleeren PSD-Stand.

Nur am zentralen Boulevard hatte sich in den letzten Tagen vor der Wahl ein Wettkampf im "Wer hat die stärkere Musikanlage" entwickelt. Der PSD vor dem Nationaltheater, dem Aushängeschild kommunistischer Baukunst, stand die PD/PNL-Allianz auf der Universitätsseite gegenüber, wo 1990 unter der Iliescu-Regierung die demonstrierenden Studenten brutal niedergeknüppelt worden waren. Symbolischere Standorte gibt?s nicht. Die Musik unterschied sich allerdings nicht so sehr.

Man wurde das Gefühl nicht los: Der Wahlkampf fand hinter den Kulissen statt. Dazu passte, was Romania Libera veröffentlichte: geheime Sitzungsprotokolle der PSD-Sitzung, die unter anderem von ihrem Einfluss auf unabhängige staatliche Institutionen zeugten. Die Echtheit dieser Papiere wurde sofort in Frage gestellt.


Geteiltes Land

"Wir werden die Kommunisten nie los", stöhnte die Bekannte, die allwöchentlich mit einem Haufen anderer Mütter und Väter am Fussballfeld steht und ihrem Sohn beim Bolzen zuschaut. "Das Ganze ist eine große Schweinerei". Sie ist die Einzige, die mir gegenüber mit Zorn reagierte. Die meisten zuckten mit den Schultern.
Ob Nastase oder Basescu, das sei doch einerlei, sagt die Frau am Bankschalter, als ich Geld wechsle. Der Euro fällt und fällt. Sie kann es sich nicht erklären und glaubt, dass er nach der Stichwahl wieder steige und einige daran verdient haben werden.

Misstrauen überall: "In diesem Land ist noch viel zu Stehlen, weshalb die Regierung weiter an der Macht bleiben will."

Für viele ist die Wahl nur ein Votum zwischen "schlecht" und "sehr schlecht". Meine Nachbarin hat für Nastase gestimmt, denn Basescu gefällt ihr nicht. Die Tierliebhaberin, in deren kleinen Wohnung unterm Dach drei Katzen und ein Hund leben, hat sofort die Begründung parat: Weil er in seinem Amt als Bukarester Bürgermeister Straßenhunde kastrieren lässt. Und vom Erscheinungsbild mache der schmächtige Mann mit schütterem Haar nichts her. Sie bezieht ihre Informationen hauptsächlich aus dem staatlichen Fernsehen, wo sie schon kurz nach der ersten Hochrechnung minuntenlang Nastase sehen konnte, wie er sich als Wahlsieger feiern ließ. Und wo die Vorwürfe des Wahlbetrugs heruntergespielt wurden.

Das Fernsehen ist oft die einzige Informationsquelle in den ärmeren ländlichen Regionen. Die PSD verspricht die soziale Abfederung des Transformationsprozesses. Mag davon auch wenig zu spüren sein, bei dem wirtschaftsliberaleren Kurs der oppositionellen Allianz fürchten in diesen Gegenden viele, die wirtschaftlichen Verlierer zu sein. So ist es kein Wunder, dass dort die PSD die Mehrheit hat. Wo investiert wird, wo wirtschaftliche Zuwächse zu verzeichnen sind und wo unabhängige Informationen zugänglicher sind, sieht es anders aus. Geteiltes Land. Die Stichwahl bestätigt es noch einmal.


Rumänische Demokratie

Bei einem der wenigen privaten Radiosendern mit längeren Wortbeiträgen (Radio Total) konnte jeder anrufen und seine Meinung zum Wahlskandal äußern. Empörung ist herauszuhören. Und eine selbstkritische Frage wird gestellt: Warum lassen wir uns das alles gefallen? Die Lage wird mit der Ukraine verglichen. Dort sei das Volk mutig, hier nicht. Warum? Die Antwort bleibt offen. "Asta e", so ist es eben, sind hier häufig zu hörende Worte. Dass die rumänische Gesellschaft nicht mit einer Welle der Entrüstung auf die Wahlpraktiken reagiert hat, ist für Horia-Roman Patapievici, einen der bekanntesten kritischen Intellektuellen hier im Land, das Schlimmste an der ganzen Sache.

Radio Guerrilla, das zu seiner Erstausstrahlung am 29. November mit Che Guevara-Porträt, Handgranate und dem Slogan "Wir befreien das Radio" wirbt, sendet Donna Summers "I will survive". Zufall? Anders als die Werbung verspricht ist das Programm enttäuschend unpolitisch. Nur in den Nachrichten wird von einem Flash Mob vor dem Sitz der PSD berichtet. Keine Parolen wurden gerufen, sondern Bonbons gelutscht. Auch eine Form von Kundgebung. Ansonsten bleibt es ruhig.

Erst am 12. Dezember wird bis in die eisige Nacht für Basescu vor der Universität demonstriert. Es sind hauptsächlich Jüngere, die protestieren, weil sie nicht mehr haben wählen können. In Rumänien gibt es keine Briefwahl. Reisende oder Leute, die nicht am Meldeort wohnen, durften bei der Stichwahl nur in einigen wenigen Wahllokalen wählen (um die Gefahr des "Wahltourismus" wie beim ersten Durchgang zu vermeiden), vor denen sich gegen Abend lange Warteschlangen bildeten. Viele sollen noch draußen gestanden haben, als um 21 Uhr die Lokale geschlossen wurden.


Deutsche Demokratie
"Deutsche, seid auch in Rumänien Demokraten!", steht auf dem Plakat eines Redakteurs der Romania Libera. Er steht mit Kollegen und Mitgliedern solidarischer Gewerschaftsverbände vor der Deutschen Botschaft. Die "Initiative R" hat am 9. Dezember zum Protest gegen den WAZ-Medienkonzern aufgerufen.

Der WAZ-Fall ging durch die deutsche Presse, ohne große Resonanz hervorzurufen. Hier ist er Dauerthema, denn hier geht es um eine der wenigen regierungskritischen Tageszeitungen, die vom Mehrheitseigner WAZ angewiesen worden sein soll, weniger regierungskritisch zu berichten. Der Direktor von Romania Libera, einer der auflagenstärksten Zeitungen im Lande, Petre Mihai Bacanu ist eine Leitfigur des unabhängigen Journalismus in Rumänien. Sein Protest hat eine Welle der Empörung über das Gebaren der Deutschen ausgelöst. Auch wenn die WAZ jetzt versucht, Bacanu zu diskreditieren, für die kritischen Journalisten Rumäniens ist der Fall klar: Die von westlicher Seite so häufig angemahnte Pressefreiheit Rumäniens wird von den Deutschen mit Füßen getreten.

Und es kursieren Gerüchte, dass wirtschaftliche Interessen seitens der deutschen Regierung mit im Spiel seien. Schließlich hat der WAZ-Geschäftführer mal für Schröder gearbeitet.


Marktwirtschaft

Für viele RumänenInnen ist es sonnenklar, dass sich Investoren mit der Regierung gutstellen müssen. Besonders hier, wo die Macht Zuckerbrot und Peitsche austeilt. Im Medienbereich bedeutet dies: Anzeigenaufträge oder Klagen. Gegen Romania Libera sollen bereits Hunderte von gerichtlichen Klagen seitens brüskierter Politiker eingereicht worden sein.
"Die Deutschen sind die Besitzer. Und der Besitzer darf mit seinem Besitz machen, was er will", meint ein pensionierter Anwalt zum WAZ-Fall. So einfach kann man es sehen.

Es begegnen mir hier nicht wenige, die Marktwirtschaft als Survival of the Fittest begreifen, wo ethische Prinzipien nichts zu suchen haben.


Gute Kontakte

Die WAZ-Mediengruppe ist ein interessanter Fall. Ihr Geschäftsführer, der ehemalige SPD-Kanzleramtsminister Bodo Hombach, hat seit seiner Zeit als Koordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa gute Kontakte dorthin. Und so konnte die WAZ in den letzten Jahren nicht nur in Rumänien, sondern auch in Kroatien, Serbien, Mazedonien und Montenegro in den Zeitungsmarkt einsteigen. In Bulgarien hatte die WAZ ein Monopol und erst nach gerichtlichem Einschreiten und dem Verkauf mehrerer Verlagshäuser liegt er jetzt knapp unter der gesetzlichen Grenze des Verbotenen. Mit ihrer Finanzstärke kann der Medienkonzern bessere Vertriebswege organisieren und niedrigere Verkauspreise anbieten als andere Zeitungen. All das wird in Medienkreisen mit Besorgnis registriert. (mehr dazu auf englisch hier)

Das Dilemma ist nicht, dass ausländische Firmen in südosteuropäischen Printmedien-Bereich investieren. Wer hat schon eine vergleichbare Finanzkraft im Land selbst? Diejenigen, die sie haben, investieren lieber in Bereiche, die schnell Geld bringen. Ein Problem entsteht dann, wenn zu viel in einer Hand ist. Und sich ausländische Investoren, aus welchen Gründen auch immer, zu sehr auf das Spiel der inländischen Politiker einlassen. Besonders im meinungsbildenden Bereich der Medien. Und dazu noch im Wahljahr.