Post aus der Walachei

Blühende Landschaften

Von Hilke Gerdes
13.09.2004. Schwimmen im Schwarzen Meer, Flanieren in Kronstadt, Tuica trinken in der Maramures. Und Dracula? Ein Sommer in Rumänien.
Schwimmen im Schwarzen Meer

Kommt man nicht gerade im Juli oder August, wenn Tausende von Rumänen hier Urlaub machen und die Hitze groß ist, sondern in den Monaten vor und nach der Hauptsaison, lässt es sich ganz gut aushalten am Schwarzen Meer. Das Wasser ist nicht karibikblau, aber auch nicht so dunkel wie die Nordsee.

Auf eins sollte man sich einstellen, besucht man die Küstenorte: Ruhe findet man höchst selten. Jede der am Strand aneinander gereihten Getränkebuden beschallt mit stumpfen Beat gnadenlos alles, was sich vor ihr tümmelt: Bier trinkende Papas, Sand schaufelnde Kleinkinder, sie bewachende Mamas, Ball spielende Jugendliche. Selbst an entlegenen Meeresstellen findet sich noch immer ein Lokal, das die perfekte Naturidylle mit den aktuellen Sommerhits zu vergiften vermag.

Wer Jazz oder Rock dem Technopop vorzieht, sollte gen bulgarische Grenze fahren. Im Grenzort zu Bulgarien, Vama Veche, trifft man auf diejenigen, die eher zu diesen Musikrichtungen ihre Strandpartys feiern. Hier wie in dem Ort mit dem kuriosen Namen 2. Mai (Tag der Jugend während kommunistischer Zeit) kann man mit viel Glück kleine musikfreie Zonen finden.

Besonders Vama Veche ist a la mode bei allen, die Sommerhits hassen. Obwohl die wirklich gute Zeit vorbei sei, wie man mir erklärt, da der Geheimtipp sich herumgesprochen habe. Auch Investoren interessieren sich inzwischen für diese Gegend, weshalb es eine Protestbewegung gibt, die versucht, die Hotelanlagen zu verhindern (salvativamaveche.ro). Diese Bewegung ist bereits so bekannt, dass selbst das staatliche Fernsehen auf sie verweist und das inzwischen ebenso etablierte Rockfestival Stuffveche von dort überträgt.


Transsilvanien - das Land jenseits des Waldes

Als Kind hatte mir jemand erzählt, dass Dracula aus Transsilvanien komme. Wo das lag, war mir völlig unklar, nur dass es weit, weit weg von meinem Zuhause sein musste. Ich stellte mir ein Land mit riesigen dunklen Wäldern vor, voll heulender Wölfe und eben dem Blut saugenden Mann, der sich eine Fledermaus verwandeln konnte.

Und jetzt, dreißig Jahre später, bin ich hier. Der Name klingt für mich heute noch geheimnisvoll. Der Rest ist wie vermutet viel normaler als in meiner kindlichen Vorstellung. Die Lichtverhältnisse in den Wäldern Transsilvaniens entsprechen denen Westeuropas. Zwar gibt es hier Wölfe, aber die verstecken sich lieber vor den Menschen, als sie zu erschrecken. Wie die Bären; nur einige degenerierte Exemplare haben sich angewöhnt, gegen Mitternacht in den Mülltonnen am Stadtrand von Brasov (Kronstadt) herumzuwühlen und sich von besonders tapferen jungen Männern mit Keksen von Mund zu Maul füttern zu lassen. Wildnis und Zivilisation liegen nah beieinander.


Teppiche und Kunst

In Kronstadt steht die größte gotische Kirche Siebenbürgens. Osmanische Gebetsteppiche hängen über dem Kirchengestühl und an den Seitenemporen. Sie wurden von den hier ansässigen deutschstämmigen Kaufleuten gestiftet. Diese Art Teppiche war auch in westeuropäischen Kirchen verbreitet, wie man von niederländischen Gemälden weiß.

Verbindungen nach ganz Europa waren selbstverständlich.

Keine 30 Jahre nach Luther wurde hier die Reformation eingeleitet, von dem Siebenbürger Humanisten Honterus, alias Johannes Gros, dem man neben der Kirche ein Denkmal errichtet hat.

Für die weltliche Kunst muss man nach Hermannstadt (Sibiu) fahren. Eine berühmte Sammlung europäischer Malerei brachte Simon von Brukenthal in seinem Stadtpalais unter. Der Bau aus dem 18. Jahrhundert ist saniert, wie vieles in Sibiu, wo die zufriedensten Bürger Rumäniens leben sollen. Manche schwärmen regelrecht mir gegenüber. Es hat sicherlich mit der recht erfolgreichen Stadtpolitik des deutschstämmigen Bürgermeister Klaus Johannis zu tun. Er scheint bei der rumänischen Bevölkerung großes Vertrauen zu genießen (was Politiker hier selten schaffen). Bei der letzten Wiederwahl erhielt er über 90 Prozent der Wählerstimmen. Und er verfügt über gute Kontakte nach Deutschland, vermag Investoren und Sponsoren zu überzeugen. 2007 ist der Ort in den Karpaten gemeinsam mit Luxemburg Kulturhauptstadt Europas.


Und Dracula?

Mehr Legende als Wirklichkeit. Diese Figur geht auf eine historische Gestalt zurück, die als Fürst im 15. Jahrhundert erfolgreich gegen die Türken kämpfte. Und sie zur Abschreckung pfählen ließ. Wie auch siebenbürgisch-sächsische Kaufleute, deren Handel mit der Walachei er einschränkte. So steht es zumindest in Keno Versecks Länderkunde. Erzählt hat mir davon niemand. Nach Verseck haben schon deutschstämmige Kaufleute die Geschichte vom Blut saugenden Dracula nach Westeuropa getragen, die durch Bram Stokers Vampir-Roman und vor allem durch die Verfilmungen dann bald jedes Kind kannte.

Wer trotz oder wegen aller Legendenbildung unbedingt Dracula erleben möchte, muss nach Bran fahren. Schon bei der Einfahrt in das kleine Örtchen kann man an den zahlreichen Hinweisen auf Übernachtungsmöglichkeiten erkennen, dass hier der Tourismus brummt. Nach dem großen Busparkplatz fangen dann die Souvenirstände an. Und je dichter der Fußgängerverkehr wird, desto näher dran ist man an der Dracula-Burg. Hier soll der Fürst für kurze Zeit gelebt haben, was allerdings wohl auch ins Reich der Legenden gehört.


Kirchenburgen

Authentischer sind die Kirchenburgen Siebenbürgens. Diese mit Verteidigungsmauern umgebenen Kirchen dienten den Dorfbewohnern als Schutz gegen die Türken. Waren diese im Anmarsch, zog jede Familie in die eigene Kammer im Verteidigungsring, die in friedlichen Zeiten der Speckaufbewahrung diente, weshalb sie auch die Speckkammer genannt wird. In der Nähe von Kronstadt, in Tartlau (Prejmer), kann man in den Wehrgang gehen, durch die Schießscharten und Pechnasen gucken und sich die Sachsen vorstellen, wie sie ihren Angreifern wacker Paroli boten. Unser Sohn ist ganz im Kampfeseifer. An der Kirchenkanzel steht geschrieben "Halt was du hast".


Vergangenheit

Auf dem evangelischen Friedhof in Hermannstadt lese ich von den Söhnen, die in Russland gefallen sind. Und von jungen Frauen, die während der Zwangsdeportation nach Russland oder im Arbeitslager dort umgekommen sind. Eine erste Auswanderungswelle der Deutschen setzte in dieser Zeit der Deportationen und Enteignungen ein. Und wer konnte, verließ das Land auch noch, als der Eiserne Vorhang sich zugezogen hatte. Mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, die für jedes Ausreisevisum 8000 DM bezahlt haben soll.

Seit 1990 sind die meisten Rumäniendeutschen nach Deutschland, vor allem Süddeutschland gezogen. Ihre Tochter und Schwester leben seit Jahren in Freiburg, erzählt mir die blonde Mitfünfzigerin in Tartlau, rumänisch Prejmer. Sie wollte nie weg, hat sie doch Generationen von Kindern in ihrem deutschsprachigen Kindergarten erzogen. Heute seien dort keine deutschen Kinder mehr. Das Deutsche genießt aber einen hohen Stellenwert bei bildungsbeflissenen Rumänen. Und so kann sich die Kindergärtnerin über mangelnde Nachfrage nicht beschweren.

Zumeist sind es jedoch Alte oder mit Rumänen Verheiratete, die hier heute noch leben. Für die "Demokratischen Foren der Deutschen in Rumänien" schickt das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa, Stuttgart) Kulturassistenten. "Sterbehilfe" nennt es eine der Gesandten.

Wie es sich früher beziehungsweise vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Siebenbürgen als Angehöriger der deutschen Minderheit lebte, erfährt man auf anschauliche Weise in dem Roman "Der geköpfte Hahn" von Eginald Schlattner (mehr hier).


Sighet

Beim Anblick der kahlen, fensterlosen Zelle, die nur mit einem Ring in der Mitte des Bodens ausgestattet ist, an den man die Häftlinge kettete, fällt mir Schlattner wieder ein. In seinem Roman "Die roten Handschuhe" hat er seine Erlebnisse als politischer Gefangener beschrieben. Elf Stufen waren es bis zum Verhör- und Folterraum, die er mit verdeckten Augen fast täglich hinunterstieg. Hier, im politischen Gefängnis in Sighetu Marmatiei, an der Grenze zur Ukraine, zähle ich vierzehn zwischen den einzelnen Stockwerken.

Das von verschiedenen Intellektuellen Rumäniens initiierte Museum im Gefängnis ist den Opfern des Kommunismus und den Widerstandskämpfern gewidmet. Es ist das Einzige in Rumänien.


Holz

Die Maramures, die nördlichste Region Rumäniens an der Grenze zur Ukraine, ist ein waldreiches Gebiet. Holz ist hier nach wie vor ein wichtiges Baumaterial. Die Gehöfte schließen zur Straße hin mit großen Holztoren ab. Prachtvolle Portale mit Baldachin und kunstvollen Schnitzereien zeigen den Wohlstand ihrer Besitzer an. Es ist eine lebendige Tradition. Wir sehen auch Tore, die erst vor wenigen Jahren entstanden sind.

Berühmt sind die Holzkirchen der Maramures. Die älteste aus dem 14. Jahrhundert steht versteckt am Rande eines kleinen Dorfes, das nur über einen Abzweig von der Hauptstraße durch das Tal zu erreichen ist.Für einen kleinen Moment fühle ich mich ins 19. Jahrhundert versetzt. Auf der Dorfstraße fährt kein einziges Auto. Männer in Gummistiefeln rumpeln auf Pferdefuhrwerken vorbei. Vor den hölzernen Hoftoren sitzen Frauen in kleinen Gruppen zusammen. Mit einer Spindel in der Hand spinnen sie Fäden aus der gewaschenen Schafswolle.

Um zur Kirche zu gelangen, müssen wir eine kleine Hängebrücke überqueren. Auf einem kleinen Gehöft an der anderen Bachseite steht ein Kleinlastwagen mit deutschem Kennzeichen. Auch der Eiertransporter, der uns bei einem Regenschauer mitgenommen hatte, trug noch Münchner Kennzeichen.

Dass selbst hier Touristen hinkommen, wird deutlich, als eine Frau mich freundlich anlächelt und im nächsten Moment auf Englisch fragt, ob ich nicht Interesse an den Erwerb ihrer Handarbeiten hätte.

Die Frau, die uns die Kirche aufschließt, bietet uns selbst gebrannten Tuica (hier aus Äpfel und Birnen) zum Kauf an. In ihrem kleinen Wohnzimmer steht eine ganze Batterie von 2-Liter-Plastikflaschen auf dem Tisch. Wir kaufen eins der "Desinfektionsmittel".


Gold

Aus eigener Erfahrung weißt ich: Man kann noch Gold finden in Rumänien. Unter dem Dorf Rosia Montana, im Nordwesten des Landes gelegen, soll sich eine der größten Goldablagerungen Europas befinden. Ein kanadisch-rumänisches Joint Venture will das Gold im offenen Tagebau unter Einsatz von Zyanid gewinnen. Dort, wo heute das Dorf ist, wird ein vier Quadratkilometer großer zyanidhaltiger See entstehen. Die Planung birgt Umweltrisiken unwägbaren Ausmaßes. 2000/2001 gab es bereits mehrere schwere Zyanidunfälle in Rumänien, die ein großes Fischsterben zur Folge hatten. Widerstand regt sich: Vor kurzem fand eine mehrtägige Protestaktion in Bukarest statt.


Armut

Ein zahnloser Alter sagt etwas zu mir, als ich im "Magazin mixt", dem Gemischtwarenladen, den es in jedem noch so kleinen Dorf gibt, am Tresen stehe, um zwei Bier und eine Fanta zu kaufen. Ich verstehe nur, dass es um unseren Sohn geht. Er verlässt den Laden. Draußen schenkt der Alte dem Wohlstandskind 10.000 Lei (25 Cent, mehr als ein Weißbrot kostet).


Moldau-Klöster

Es regnet und regnet auf dem Weg in die südliche Bukowina. Kinder haben die aus dem Boden schießenden Pilze gesammelt und bieten sie am Straßenrand an. Die dunklen Wolken hängen tief. Zwischen Regenschauern besuchen wir die kulturellen Highlights Rumäniens.

Die Klöster mit ihren berühmten Außenwandmalereien, die inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, sind gut organisiert. Am Eingang sitzt eine zumeist streng blickende Nonne, die den Eintritt von umgerechnet einem Euro kassiert. Film- und Fotoerlaubnis kosten extra, das Zweieinhalbfache des Eintrittspreises, weshalb man immer wieder Besucher beobachten kann, die nervös um sich schauend schnell ein Foto schießen. Mit prüfendem Blick taxiert die Nonne jeden Eintretenden. Entspricht seine Kleidung dem sittlichen Anstand nicht, wird stumm auf am Eingang hängende lange Schürzen gezeigt.

Nachdem wir den obligatorischen Souvenirstand mit Postkarten, Heiligenbildern und Kreuzen aller Art passiert haben, überrascht mich der Anblick der Malereien. Keine Abbildung vermag das Zusammenspiel der noch immer sehr intensiven Farben so wiederzugeben wie das Original. Dutzende von Bibelszenen und Heiligen bilden eine auf den ersten Blick verwirrende Fülle. Hat man mehrere Kirchen gesehen, wird deutlich, dass die Malereien mit wenigen Abweichungen einem festen Bildprogramm folgen. Politische Anspielungen fehlen nicht: So tragen die Sünder im Jüngsten Gericht orientalische Züge. Und die Eroberung Byzanz' durch die Türken bleibt - zumindest in der bildlichen Darstellung - erfolglos.


Landwirtschaft

Was soll aus den Menschen werden, die überall selbst gemachten Käse und Tuica, Honig, selbst geerntetes Gartengemüse und Obst am Straßenrand verkaufen, wenn die EU-Gesetze ihre Krallen zeigen? Die Hygiene- oder Tierhaltungsvorschriften zum Beispiel sind für die meisten Kleinstbetriebe nicht umsetzbar.

Zwar hat sich Rumänien Übergangsfristen ausbedungen, dennoch: Es steht ein immenser Wandel in der rumänischen Landwirtschaft an. Heute hat auf dem Land noch jeder eine Kuh, ein paar Hühner, ein oder zwei Schweine. Und sichert somit seine Existenzgrundlage. Mit großer Bereitschaft und Stolz zeigt man mir Stall und Garten. Auch wenn man mit deutschen Produktivitätsraten nicht mithalten kann. Kunstdünger ist für viele viel zu teuer. Weshalb dem deutschen Gast gegenüber gern betont wird, dass alles "natürlich" sei. Und die rumänische Tomate hat bei mir ja bleibenden Eindruck hinterlassen (siehe die erste Post aus der Walachei). Was aus ihr wird, wenn erst einmal die Gesetze gelten, die die Großbetriebe besser einhalten können, ist uns Nachbarn von Holland klar. Andererseits sollte man die aktuelle Lage auf dem Lande auch nicht verherrlichen: Die Arbeitslosen, die die kaputte Industrie sozialistischer Zeit in ländlicher Region hinterlassen hat, sind zumeist als mithelfende Familienangehörige in der Landwirtschaft untergeschlüpft. So müssen noch mehr Personen von dem leben, was die wenigen Hektar hergeben. Von sozialer Absicherung gar nicht zu reden.

Auch wenn die EU Fördermittel für die ländliche Entwicklung zur Verfügung stellen will, was wird davon in die Hände der Kleinbauern gelangen? Und Kredite bekommt man erst ab einer bestimmten Betriebsgröße und Produktionsrate.

EU-Politik ist der Spagat zwischen Anpassung an die Norm und Bewahrung regionaler Traditionen. Letzteres wird bei der jetzigen Politik schwierig. Rumänien wird in absehbarer Zeit einen seiner größten Schätze, die Schönheit seines ländlichen Raums, verlieren. Untergegangen im Dschungel der überall gleichen Gesetze.