Post aus der Walachei

Die türkisch-rumänische Apfelsine

Von Hilke Gerdes
20.01.2006. Rumänien ist ein Land der Widersprüche: Der Zoll zum Beispiel kontrolliert lieber die Pakete der Rentnerinnen als die Koffer der Vielflieger. Und Istanbul liegt zwar näher als Budapest, aber man betont eher die Bindung zum Westen.
Mal wieder bei der Post

Es stehen noch mehr Leute vor der Paketausgabe als kurz vor Weihnachten. Alle Sendungen, die einen bestimmten Umfang überschreiten, werden nicht zugestellt, sondern sind abzuholen. Voluminösere Briefe bei dem einen Postamt, Pakete bei einem anderen, Expresssendungen wiederum woanders. Briefe darf man bei dem einen, Pakete muss man bei einem anderen abgeben. Gehen letztere ins Ausland, ist noch eine andere Stelle zuständig. Selbst für die Einheimischen ist die Orientierung in diesem komplexen System nicht einfach.

Einige warten schon mehr als eine halbe Stunde an der Ausgabe für ausländische Pakete. Etwas ist anders als sonst: An der Tür, die in den kleinen Raum der Paketausgabe führt, ist ein neuer DIN A4-Zettel geheftet mit der Aufschrift "birou vama" (Zollstelle). Die Tür bleibt geschlossen. Nichts bewegt sich.

Langsam kommt unter den Wartenden Unruhe auf. Jemand erwähnt die EU-Standards; "für uns gibt es sie noch nicht", knurrt ein anderer. Ein Mann mittleren Alters spricht sanft von Gott, dem das Fluchen nicht gefalle, eine ältere Dame mit Pelzjacke erwidert energisch, man müsse sich ja nun nicht alles gefallen lassen. Wer vorsichtig die Tür aufmacht, wird im scharfen Ton zurückgepfiffen.

Endlich wird ein Name aufgerufen, die betreffende Person verschwindet hinter der Tür, wieder wird gewartet, nach ewig langen Minuten kommt sie heraus, im Arm ein Paket aus Kanada, wo wohl Sohn oder Tochter leben. Eigentlich war die Sendung für Weihnachten gedacht, aber der alljährliche Ansturm von Weihnachtspost, -päckchen und -paketen scheint für die rumänische Post alljährlich eine Überraschung zu sein.

Und jetzt ist auch noch eine Kontrolle der Zollkontrolle. Ein streng blickender Uniformierter steht neben der Angestellten, die jedes Paket, jedes verpackte Teil im Paket aufmacht. Ist der argusäugige Beamte nicht dabei, und das ist der Normalfall, begnügt sie sich zumeist mit einem kurzen Blick in das geöffnete Paket. Doch heute heißt es aufpassen. Und für alle Paketempfänger sich in Geduld üben. Der Stress ist der Miene der Frau abzulesen. Nachdem sie alles mühsam ausgepackt hat, muss sie auch noch die Gebühr für die Paketaufbewahrung ausrechnen, in kleinen Formularstreifen eintragen, stempeln, Formularstreifen abreißen, die Summe kassieren und Wechselgeld geben. Der ganze Vorgang für umgerechnet 25 Cent. Wer sein Paket nicht sofort abholt, zahlt für jeden Tag, den das Paket länger auf dem Amt liegt.


Permanente Veränderung

Fragt man nach der Recht- und Verhältnismäßigkeit dieser Zollkontrolle, erntet man Achselzucken. Die meisten haben es aufgegeben, solche Art Fragen zu stellen. Oder damit gar nicht erst angefangen.

Wer verschickt schon Waffen, radioaktives Material oder Drogen mit der Post? Verbotenes wird mit Schmiergeld und in Lastern über die Landesgrenzen gebracht. Schmuggelt der rumänische Verbraucher so viel Zollpflichtiges, dass so streng kontrolliert werden muss? Misstraut man den Deklarierungen auf den Paketen und Formularen?

Man stelle sich vor, jemand hätte Produkte der ausländischen Erotikindustrie bestellt. Besteht ein Einfuhrverbot für aufblasbare Gummipuppen oder Delphindildos? Wahrscheinlich, denn im Postamt weist ein Zettel darauf hin, dass Obszönes und Unmoralisches nicht verschickt werden darf. Dann wird man es wohl auch nicht erhalten dürfen. Oder doch, gegen eine entsprechende Zollgebühr, Luxussteuer oder Ähnliches?

Eindeutige Informationen über Einfuhrbestimmungen sind schwer zu bekommen. Mit Detailfragen darf man die Zollstelle schon gar nicht quälen. Man kann sich telefonisch erkundigen, sollte jedoch nicht gleich ärgerlich werden, wenn unter der gerade erhaltenen Nummer doch nicht der richtige Ansprechpartner zu erreichen ist, irgendwann gelangt man zur zuständigen Stelle. Zollgebühren werden für elektronische Geräte, Lederwaren, Computer und so weiter erhoben, heißt es. Auf die Bitte hin das "und so weiter" zu präzisieren, wird nur geseufzt, ständig ändere sich etwas.

Die Kommunikationswege sind träge, wer weiß schon, was vor Wochen beschlossen wurde. Und so schickt man den Verbraucher an Informationsstellen, die gar nicht mehr existieren oder sagt schlicht und einfach "nu stiu" (ich weiß es nicht).


Kontinuität

Ohne Kenntnis einer komparativen Studie des weltweiten Paketkontroll-Procederes - in Serbien werden keine Pakete aus dem Ausland geöffnet, weiß eine Freundin - sollte man mit landesspezifischen Begündungen vorsichtig sein, dennoch: Diese Form von Zollkontrolle erinnert an die alte Staatsdoktrin, dass Rumänien sich vor dem feindlichen Ausland zu schützen habe.

Das Land sollte groß und stark und autonom sein. Darauf zielte die Wirtschaftspolitik ab, die zu desaströsen Fehlentscheidungen führte. Rumänien von den Auslandsschulden zu befreien, war Ceausescus Manie im letzten Jahrzehnt seiner Herrschaft. Die Bevölkerung durfte dafür in kalten Wohnungen sitzen, auch sonnabends arbeiten und für Grundnahrungsmittel Schlange stehen. Wer den wenigen Ausländern, die ins Land kamen, begegnete, hatte der Polizei Bericht zu erstatten.

Noch während der Demonstrationen Ende 1989 erfanden die Strippenzieher hinter den Kulissen ominöse Terroristen mit ausländischem Hintergrund, die die neue Freiheit in Gefahr bringen würden. Es entstand ein kalkuliertes Wirrwarr. Vor kurzem wurde zum ersten Mal im rumänischen Fernsehen offen gesagt, dass es diese Terroristen nicht gegeben hat. Erstaunt hat es die meisten nicht.

Das grobe Wort "Volksverarschung" passt ebenso zur Zollkontrolle in der Post. Wer es sich leisten kann zu fliegen und sein Shopping im Ausland erledigt, dem wird das Gepäck mit 90prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht durchwühlt. Die Kofferinhalte sehen nicht so aus, als ob sie genauestens untersucht werden. Kontrollen am Ausgang sind selten.

Vielflieger ins Ausland könnten leicht in Versuchung geraten, sich am zunehmenden Schmuggel von synthetischen Drogen und Kokain aus dem Westen Richtung Osten oder Heroin und Cannabis Richtung Westen zu beteiligen. Denn aufgerissen wird eher das Weihnachtspäckchen der Rentnerin, die dafür auch noch ewig anstehen darf. Einen zollpflichtigen Mp3-Player oder Ecstasy wird man bei ihr wohl nicht finden. Allerhöchstens ein Blutdruckmessgerät. Wahrscheinlich ist auch das zollpflichtig.


Handelswege

Bukarest liegt fast auf der Luftlinie zwischen Budapest im Nordwesten und Istanbul im Südosten. Bis zur ungarischen Hauptstadt sind es 640 Kilometer, bis zur türkischen zweihundert weniger. Keine anderthalb Stunden braucht das Flugzeug, um den letzten Zipfel Europas zu erreichen.

Die dort inflationär vorhandene Berufskategorie, die Passanten in das Geschäft oder Restaurant zu locken hat, spricht neben Englisch, Französisch und Deutsch manchmal sogar ein bisschen Rumänisch. Den Deutschen wird erklärt, sie seien die besten Kunden. Rumänen würden nichts kaufen. Den Amerikanern wird wahrscheinlich erklärt, sie seien die besten Kunden, die Deutschen würden nichts kaufen. Einer hat einen Bruder in Bukarest, der da "Business" macht. Die Türkei hat eine Industrie- und Handelskammer in der rumänischen Haupstadt.

Im großen Stil ist Ülker dort aktiv. Das Unternehmen, das in Deutschland eher Kunden der türkischen Tante-Emma-Läden und weniger mit seiner Cola Turka als mit knusprigen Sesamstangen bekannt sein dürfte, produziert von Süßwaren über Windeln bis Waschmittel nahezu alles. Bei Bukarest hat der bis nach China exportierende Konzern eine erste Keksfabrik bauen lassen. Weitere Investitionen sind geplant, mit 3,8 Millionen Euro finanziell beteiligt ist die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG). Der in Rumänien verantwortliche Ülker-Manager ist ein rumänischer Tatare, der auch schon einmal in Bremerhaven gearbeitet hat, um für ein Großunternehmen im Lebensmittelbereich den südosteuropäischen Markt zu erschließen.

Handelswege sind verschlungen und abhängig von geopolitischen Entwicklungen. Auf dem Istanbuler Basar kann man Holzdosen aus Afghanistan und reich verzierte Reiterhelme aus Turkmenistan kaufen. Turkmenen stehen in Reihen allabendlich vor den Ablegestellen der Fähren, um bei den Massen von Pendlern zwischen dem europäischen und asiatischen Teil der Stadt ihre Mäntel, Westen und Mützen aus Fell loszuwerden.

Nimmt man vom Istanbuler Flughafen den Bus ins Zentrum, wechselt am Aksaray-Platz in die Straßenbahn und steigt in der Nähe des Topkapi-Palastes aus, erblickt man als erstes eine Filiale der rumänischen Automarke Dacia. Deren Export-Modell Logan ist allerdings noch nicht in Mengen auf den Straßen Istanbuls zu bemerken.


Herrschaft und Küche

Auffälliger als wirtschaftliche Verbindungen sind die kulinarischen. Die türkische Küche hat so manches Gericht an die rumänische vererbt. Als Nebeneffekt der jahrhundertelangen türkischen Herrschaft in Rumänien. Viele Bezeichnungen sind direkt oder abgeleitet in den rumänischen Wortschatz übergegangen. So heißt beispielsweise die Apfelsine auf Türkisch "portukal", auf rumänisch "portokal". (Abgeleitet von "Portugal", von wo aus im 16. Jahrhundert die ersten Orangenbaumsetzlinge in die Türkei gekommen sein sollen.) Süßes und Salziges in Blätterteig ist auch in Rumänien beliebt als Zwischenmahlzeit und fast überall im Straßenverkauf zu haben. Der Steinbutt trägt im Türkischen und Rumänischen den gleichen Namen ("kalkan/calcan). Ebenso wie die "hamsi" (Sardinen), die man frisch gegrillt an der rumänischen Schwarzmeerküste bekommt. Dort, zwischen der großen Hafenstadt Constanta im Süden und Tulcea am Donaudelta im Norden, lebt die Mehrheit der kleinen türkischen Minderheit Rumäniens. Das Gebiet ist die so genannte Dobrudscha (rumänisch Dobrogea), die als erste nach dem Sieg über die Serben und Bulgaren von den Türken Ende des 14. Jahrhunderts besetzt wurde und erst 1878 an Rumänien fiel.

Bis auf die Bukowina gibt es kaum eine andere Region in Rumänien, in der so viele verschiedene Ethnien und Nationalitäten lebten und teilweise heute noch leben: Türken, Tataren, Griechen, Armenier, russische Lipowaner, Aromunen, Ukrainer, Rumänen, Roma, Bulgaren und aus Russland eingewanderte Deutsche.

Mit Menschen einiger dieser Minderheiten haben junge Wissenschaftler der Universität Potsdam Interviews durchgeführt. Wie sich die Lebensbedingungen im Zuge der politischen Veränderungen gewandelt haben, wie die unterschiedlichen Ethnien miteinander auskommen, welche Perspektiven es für diese Region gibt, die bald eine Außengrenze der EU sein wird, ist in dem jüngst von Josef Sallanz im Universitätsverlag Potsdam herausgegebenen Band "Die Dobrudscha: Ethnische Minderheiten - Kulturlandschaft -Transformation. Ergebnisse eines Geländekurses des Instituts für Geographie der Universität Potsdam im Südosten Rumäniens" spannend nachzulesen (zu bestellen hier).


Vorlieben

Der türkische Botschafter Rumäniens betont im Interview mit Radio Romania Cultural die enge kulturelle Beziehung zwischen Rumänien und seinem Land. Davon wollen viele Rumänen nichts hören. Sie werden nicht müde, die vielfältigen Kontakte zu Westeuropa in der Zwischenkriegszeit zu betonen. Für sie ist Bukarest immer noch das "Paris des Ostens". Für sie verbindet sich mit der Türkei die historische Besatzungmacht, die das Land wirtschaftlich ausgesaugt und die Sitte des Bakschisch eingeführt habe.

Tatsächlich darf man annehmen, dass die Zahlungen und Naturalabgaben der einzelnen Landesfürsten an die Hohe Pforte (die Regierung des Osmanisches Reichs) sowie Handelsbeschränkungen die Entwicklung der einheimischen Wirtschaft stark behindert haben.

Eine Region wie die Dobrudscha, die orientalischer geprägt ist, erwähnt man nicht so gern, wenn es um Europa geht. Zumal es wirtschaftlich dort wenig hoffnungsvoll aussieht. Doch sie gehört genauso zu Rumänien wie das viel lieber zitierte Siebenbürgen, das mit Sibiu (Hermannstadt), der europäischen Kulturhauptstadt 2007, ein weit ins Land leuchtendes Beispiel vorbildhafter Investitionspolitik zu bieten hat.


Racheakte

Wenn man einigen Theorien folgt sowie Ursache und Wirkung bestimmter Handlungen ein wenig durcheinander wirbelt, sind die Türken letztlich auch noch Schuld am Dracula-Image Rumäniens. Wieso das?

Es ist eine komplizierte Geschichte mit dem Dracula. Im Westen kennt jeder die Filme, manche noch deren Vorlage, den Roman von Bram Stoker. Wie schon in deutschen und lateinischen Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts sind in Stokers Werk verschiedene Mythen, wie der Vampirismus, mit einer historischen Person verquickt worden: Graf Dracula.

Ein Fürst der Walachei hatte den Beinamen Dracul, weil er vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, Sigismund, 1431 zum Mitglied des Drachenordens ernannt worden war. Ursprünglich deutete der Name also eine Auszeichnung an. Diesen Beinamen übertrug man auf seinen Sohn Vlad, der für seine grausame Bestrafungsmethode des Pfählens bekannt wurde (weshalb man ihn häufiger "der Pfähler", auf Rumänisch "Tepes" nannte). So wurde aus dem positiv konnotierten Beinamen ein negativer.

Was haben die Türken damit zu tun? Vlad Tepes extreme Grausamkeit wird von einigen Historikern psychologisch begründet. Als 11jähriger soll Vlad in die Türkei verschleppt worden sein, sozusagen als Faustpfand, als Druckmittel, dass sein Vater schön regelmäßig seine Abgaben zahle und nicht aufsässig werde. Auch wenn nichts über eine besonders schlechte Behandlung bekannt ist, die sechs Jahre Gefangenschaft in der Ferne habe er psychisch nicht verkraftet und deshalb eine übersteigerte Form von Brutalität entwickelt.

Dass er gar nicht so sadistisch gewesen sei, sondern die Horrorgeschichten, die insbesondere über deutschsprachige Pamphlete in Umlauf kamen, auf Übertreibungen der Siebenbürgener Sachsen zurückgehen, ist eine andere Theorie. Sie sollen sich für Handelseinschränkungen gerächt haben.