Post aus der Walachei

Von Stasi-Akten und Kursturbulenzen

Von Hilke Gerdes
04.04.2005. In Rumänien werden die Stasi-Akten geöffnet, allerdings nur zögerlich und nur vom Geheimdienst selbst. Die Rumänen selbst haben andere Sorgen: einige kümmert das Ende der Transhumanz, viel mehr kümmert der Kursanstieg des Leu.
Offenlegung

Berge von Radieschen, Frühlingszwiebeln und Kopfsalat zeigen an, dass es Frühling ist. Das Wetter hingegen lässt eher auf Herbst tippen. Ungemütlich. Ähnlich trüb sieht es bald auch für diejenigen aus, die mit dem früheren Außenhandelsunternehmen "Dunarea? verbunden waren. Die Securitate hat ihre Geschäfte über diese Firma abgewickelt. Nach 1989 sollen Millionenbeträge in private Hände übergegangen sein. So mancher Finanzmogul darf mit einer Untersuchung rechnen. Unter den Betroffenen soll auch Dan Voiculescu sein, der Vorsitzende der PUR-Partei, die zur großen Regierungskoalition gehört.
Der Inlandsgeheimdienst (SRI) hat Akten zur Forschung freigegeben, zwei Drittel der gesamten Securitate-Akten sollen es nach seinen Angaben sein, zwölf Kilometer. Bisher war vieles mit dem Argument, dass die "nationalen Sicherheit? gewahrt bleiben müsse, unter Verschluss gehalten worden. Trotz der Bemühungen des Rats zum Studium der Securitate-Akten (CNSAS).

Zuerst einmal müssen nun allerdings die Archive zusammengeführt werden, und das Zentralarchiv befindet sich nicht in Bukarest, sondern etwa 15 Kilometer südlich in einer kleinen Stadt namens Popesti-Leordeni. Obwohl es noch dauern wird: Die Vergangenheit rückt näher. Der junge Historiker allerdings, der mir von dem endlosen Papierkrieg und der Gebühr von 500 Euro für die Akteneinsicht berichtet, bleibt skeptisch. Ebenso wie Horia-Roman Patapievici. Der Publizist und neue Direktor des Rumänischen Kulturinstituts hat einige Jahre im Rat zum Studium der Securitate-Akten mitgearbeitet und hält es für ein Unding, dass der Geheimnisdienst bestimmt, was freigegeben wird und was nicht. Nur der SRI habe den Überblick, wieviel Akten es wirklich gebe. Und ohne Register sowie Klar- und Decknamenkarteien, die nicht übergeben worden sind, werde die Aufarbeitung Jahrzehnte dauern (ADZ, 19. März ). Patapievici beklagt zudem die Haltung des Westens. Der erkenne die kommunistischen Regierungen nicht als verbrecherisch an und verlange im Zusammenhang des EU-Beitritts nur die Aufarbeitung der faschistischen Zeit bis 1945.
Die breite Masse interessiert die Vergangenheit herzlich wenig. Schulterzucken und "Wir haben andere Sorgen" sind die gängige Reaktion auf die Frage nach den Securitate-Mitarbeitern.


Vergangenheit

"Unsere Lori, die gute Kuh, welche uns so viel Milch gibt, ist abgewogen worden, geht nach Russland als Zuchtkuh.? Regelmäßig kann man von Lori, Walter, Erna, der Kuh Berta und N.N. lesen. Die Zeitung der deutschen Minderheit in Rumänien (ADZ) druckt seit einigen Wochen in loser Folge die Tagebücher von Maria Truetsch ab. Man muss ihren Namen nicht kennen. Sie ist weder berühmt noch besonders. Sie ist eine normale Bäuerin aus Siebenbürgen. Ihre Berichte von 1945 und 1946 lesen sich wie eine Chronik des langsamen Untergangs des rumäniendeutschen Bauerntums, von der Deportation bis zur Enteignung. Die einfachen Notate der Ereignisse dokumentieren die Angst um den verschleppten Ehemann und die Angst vor den ständig zunehmenden Abgaben an das russische Militär, die an ihr nagenden Sorge um die Zukunft, um Haus und Hof. Solidarität gab es nicht mit Rumänen, sondern mit deutschen Soldaten, von denen auch sie einen versteckt hielt (N.N).

Etwa 60.000 Rumäniendeutsche kämpften in der Waffen-SS an der Ostfront, Rumänien und Deutschland hatten 1943 ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Nach dem Kriege gab es dafür die Strafe: Deportation und Enteignung. Was dazu geführt hat, dass die deutsche Minderheit in Rumänien von etwa 750. 000 Angehörigen 1938 bis 1956 auf 385. 000 absank.
Heute wird an das Unrecht und Leid erinnert. So wenig die Vergangenheit innerhalb der rumänischen Gesellschaft Thema ist, so dominant ist sie innerhalb der deutschen Minderheit in Rumänien. Ausgeblendet wird allerdings auch dort: Eine selbstkritische Sicht auf die Kooperation mit dem nationalsozialistischen Deutschland kommt so gut wie nicht vor (www.siebenbuerger.de).


Chefs Ende

Das Aufräumen und Stühlerücken seit dem Regierungswechsel geht weiter. Der Chef der rumänischen Polizei, der Chef der rumänischen Gendarmerie und der Chef der Grenzpolizei wurden innerhalb der letzten Wochen entlassen. Im reichen Wohnviertel wird beobachtet, wie jemand von der alten Regierung seine Villa räumt. Schlecht gewirtschaftet.
Mit seinem staatlichen Gehalt kann sich ein Politiker nicht viel leisten. Der Staatspräsident erhält umgerechnet etwa 1800 Euro, Minister um die 1450 Euro. Die Diäten der Parlamentarier betragen 1330 Euro. So mancher höherer Angestellter im Bank- oder Versicherungswesen verdient mehr. Ein zusätzliche Einnahmequelle ist da opportun.

Die Regierung hat im Kampf gegen die Korruption beschlossen, dass alle Amtsträger ihre Vermögenslage offen legen müssen: Haus- und Grundbesitz, Fahrzeuge, Schmuck, Kunstgegenstände sind anzugeben. Und wie man zu diesem Besitz gekommen ist. Das gibt ein kreatives Formulare-Ausfüllen.


Transatlantische Beziehungen

Begeistert hatte es die EU nicht, als der neue Staatspräsident bei Amtsantritt die Achse Washington-London-Bukarest als Grundlage seiner Außenpolitik bezeichnete. Letztens war er in Washington und hat mit Rumsfeld die Einrichtung von amerikanischen Militärbasen an der Schwarzmeerküste besprochen. Man ist sich so gut wie einig.

Auf einem anderen Gebiet wird es für die USA eher zu Schwierigkeiten kommen, wenn Rumänien erst einmal in der EU ist. Dann wird es komplizierter mit der Genehmigung für Feldversuche mit und Anbau von amerikanischem genveränderten Saatgut. Eine Delegation sondierte in Bukarest kürzlich die Lage für ihre "durch Biotechnologie produzierten Arten", wie es offiziell heißt.

Rumänien liegt neben Spanien an der Spitze des kommerziellen Anbaus von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen in Europa. Es sind vor allem herbizidrezistente Sojabohnen der amerikanischen Firma Monsanto, einem der wichtigsten Global Player in der Versorgung der Landwirtschaft mit Herbiziden und gentechnisch verändertem Saatgut, die hier auf einer Fläche von etwa 100.000 Hektar angebaut werden. Rumänien gehört damit zu den acht größten Produzenten von GV-Soja weltweit. Tendenz steigend (vgl. Bericht www.isaaa.org).

Kritiker der grünen Gentechnologie, wie die Gentechnik im Pflanzenbereich in Abgrenzung zur roten in der Biomedizin auch genannt wird und die nichts, wie man in Deutschland missverstehen könnte, mit ökologischen Aspekten zu tun hat, befürchten unter anderem ein Absinken der Artenvielfalt und eine Zunahme von Allergieerkrankungen.


Beliebt-unbeliebt

In den Supermärkten liest man nichts von gentechnischer Veränderung auf den Soja-Packungen. Doch man erhält Hinweise darauf durch die Anbieter, die damit werben, dass ihr Soja nicht gentechnisch verändert ist.

Während Soja bei den Deutschen als vegetarische Alternative zum Fleisch einen guten Ruf besitzt, stöhnen die Rumänen bereits auf, wenn sie das Wort nur hören: Soja war in Zeiten des großen Mangels Ersatz für nahezu alles. Berühmt-berüchtigt ist die Sojawurst, die zum Symbol der kulinarischen Misere im Lande wurde. Nur wer sich anderes nicht leisten kann oder zu den wenigen Vegetariern hier im Land gehört, greift heute noch zu diesem Lebensmittel.


Importwaren

Wer genug Geld hat, kauft italienische Nudeln, deutschen Frischkäse und französischen Camembert. Es beschleicht einen aber schnell das Gefühl, dass die importierten Nahrungsmittel irgendwie anders sind als man sie kennt: So ist die Oldenburger Butter hier wundersamerweise etliche Wochen länger haltbar als die in Deutschland gekaufte. Konservierungsstoffe? Genannt werden sie nicht.

Geht man auf dem bei Ausländern beliebten Markt im Zentrum von Bukarest, Piata Amzei, einkaufen, so bekommt man gleich zu hören: alles ökologisch. Die Obst- und Gemüseverkäufer dort haben schnell herausgefunden, wonach sich der industrialisierte Mensch sehnt.

Hier wird teilweise noch im Direktvertrieb verkauft. Der Apfelverkäufer kommt aus der Dobrogea, dem wirtschaftlich wenig entwickeltem Gebiet östlich von Bukarest. Er fährt fast drei Stunden, um hier zehn Stunden seine Ware anzubieten. Und sie sieht wirklich ökologisch aus, wenn man die zahlreichen Flecken und wurmstichigen Stellen als Indikator nehmen kann. Er gehört zu denen, die in der neu erbauten Markthalle einen Stand haben. Wer sich dies nicht leisten kann, verkauft seine paar Erzeugnisse aus dem eigenen Garten in gebührlichem Abstand zu ihnen. Es sind zumeist alte Frauen, die ein paar Sträuße Petersilie, schrumpelige Sellerie und Möhren anbieten. Doch es steht nicht gut um sie. Bereits die Hygiene- und Verpackungsvorschriften der EU werden viele in Schwierigkeiten bringen.

Und ob der Kaviar aus der Ukraine, der von Männern mit dicken Pelzmützen täglich am Markt angeboten wird, es noch über die Grenze schafft, wenn Rumänien erst einmal mit dem EADS-Grenzssicherungssystem ausgestattet sein wird?

Aber auch der EADS- Vertrag, der letztes Jahr im Beisein von Gerhard Schröder feierlich unterzeichnet wurde, wird zur Zeit überprüft. Schröder, Ex-Premier Nastase und Bodo Hombach von dem WAZ-Konzern (siehe Post aus der Walachei vom 14. Dezember 2005) sollen sich ja gut verstanden haben.


Artenvielfalt
Es gibt eine andere Gruppe von Grenzgängern, die immer seltener wird: Schafe. Um Mitte des 19. Jahrhunderts sollen es bis zu 2,5 Millionen Tiere gewesen sein, die bis nach Böhmen, zur Krim, in den Kaukasus oder nach Bulgarien zogen. Warum? Um die Futter- und Pachtkosten des Winterquartiers möglichst gering zu halten, wanderte man möglichst weit. So erklärt mir Sally Huband, die im Zuge ihrer Dissertation über Transhumanz, wie die Schafwanderung über große Distanzen in Fachkreisen genannt wird, forscht. Zwei- bis dreihundert Kilometer legen die zwischen 700 und 1.200 Tiere zählenden Herden auf ihrem Weg ins Winterquartier zurück. Privatisierter und kleinteiliger Landbesitz, zunehmender Verkehr, sinkende Einnahmen und größere Absatzschwierigkeiten durch Importe machen, so Huband, diese Form der Schafwirtschaft immer schwieriger. Hinzukommen die harten Arbeitsbedingungen für die Schäfer, das ständige Übernachten im Freien und vermehrte Konfrontationen mit Landbesitzern.

Traditionelle Bewirtschaftungsmethoden fördern die Artenvielfalt. Die englische Forscherin hat auf einem Hektar Bergwiese mehr Schmetterlingsarten gezählt als in ganz Großbritannien.


Kursturbulenzen


Rumänien importiert immer noch mehr als es exportiert. Die in den letzten Wochen stark gestiegene rumänische Währung, der Leu, erschwert das Exportgeschäft zusätzlich. Die Textilindustrie, Hauptexporteur des Landes, befürchtet große Einbußen. Sie hat schon durch die Liberalisierung des Textilhandels Schwierigkeiten mit Südostasien zu konkurrieren. Etwa die Hälfte der knapp 9000 Firmen seien konkursgefährdet, heißt es in Fachkreisen. Vielleicht höre ich bald nicht mehr meine Nachbarin morgens um 6.20 die Hoftür aufschließen. Sie arbeitet für umgerechnet etwa 120 Euro netto im Monat in einer Textilfabrik am Stadtrand. Häufig auch am Sonnabend. Wenn Sie ein "Made in Romania"-Hemd sehen, denken Sie an meine Nachbarin, die Anfang Vierzig ist und fünfzehn Jahre älter aussieht. Auch wenn es nichts ändern wird.

Der Kursanstieg des Leus treibt auch so manchem Devisenhändler Falten ins Gesicht. Und die Tausenden von Saisonarbeiter auf den Erdbeerfeldern Spaniens, den Gemüse- und Obstplantagen Deutschlands, die Altenpflegerinnen in den Privathaushalten Italiens können nur hoffen, dass es mit dem Euro wieder bergauf geht, schicken sie doch zusammengenommen fast 200 Millionen Euro jährlich nach Hause.