Post aus New York

Strandlektüre

Von Ute Thon
24.07.2000. Strandlektüre: Eine Liste der forbidden pleasures.
Sonne, Strand, den unterversorgten Unterleib in eine luftige Speedo-Badehose verpackt und den überlasteten Kopf in ein Schmuddelbuch vertieft, so lassen sich die Sommerferien genießen. Diese Saison haben die Amerikaner in dieser Hinsicht wieder reichlich Auswahl. Ganz oben auf der Hitliste der forbidden pleasures steht Joe Eszterhas' neustes Buch "American Rhapsody", das schon Wochen vor seiner Veröffentlichung vom Alfred A. Knopf-Verlag als "brillante, eindringliche" Analyse des Sexskandals im Weißen Haus angepriesen wurde. Zwar gähnen die meisten Leute bei der Erwähnung des Namens Monica Lewinsky heute nur noch gelangweilt. Doch Drehbuchschreiber Eszterhas, bekannt für schlüpfrige Hollywoodfilme a la "Flashdance", "Basic Instinct" und "Showgirls" hat die Sache mit der Penetration wörtlich genommen. In seinem neusten Werk kommentiert er in deftiger Prosa die soziopolitischen Implikationen eines sexuell befreiten Präsidenten im Oval Office: "Indem Bill Clinton zugegeben hätte, 'ja, ich masturbiere und habe Spaß dabei!', hätte er Männer und Frauen überall auf der Welt von Vorurteilen und Verachtung befreien können... Clinton hätte damit eine Kombination aus Mandela, Walesa, Gandhi und Jeltzin werden können."

Da wo ihm intime Informationen fehlen, verbreitet Eszterhas seichte Gerüchte (z.B. Clinton ist scharf auf Sharon Stone, Kenneth Starr guckt heimlich Pornos im Internet) oder erfindet gleich seitenlange Monologe für seine Protagonisten. Den literarischen Höhepunkt bildet das letzte Kapitel, das aus der Sicht von Clintons Penis geschrieben ist. Kein Fall fürs prüde US-Feuilleton? Die New York Times, die seinerzeit nicht mal die Kinoanzeigen für "Showgirls" drucken wollte, rezensiert Eszterhas' Buch ausführlich, wenn auch mit spitzen Fingern angesichts von soviel Profanierung und "freischwebenden Verunglimpfungen". Das Time-Magazin zeigt pubertäre Schadenfreude ("Wer sonst hätte die berühmteste Episode von schlechtem präsidialen Sex besser chronologisieren können") und der New York Observer vermeldete angewidert voyeuristisch, im Grunde ginge es nur um "schmutzige Wäsche von Prominenten, üble Gerüchte über Bill und Hillary, Monica, Bob Dole, James Carville, Barbara Streisand...", um dann genau diese Gerüchte noch einmal wiederzugeben. Talk-Magazin organisierte letzte Woche sogar eine Lesung für Eszterhas, zu der sich New Yorks Literatur- und Politikprominenz im Douglas Fairbanks Theater einfand, darunter Erica Jong, George Plimpton, Harry Evans, Peggy Noonan und George Stephanopolus, der frühere Clinton-Berater.

Weniger sinnenfreudig, dafür aber umso giftiger sind zwei neue Bücher über Hillary Clinton. Für Laura Ingraham, Autorin von "The Hillary Trap" (Hyperion Verlag), steckt Amerikas First Lady hinter allen Gemeinheiten, die die Vereinigten Staaten dieser Tage plagen. Von fahrlässigen New Age-Religionen über miese Schulen, Internetpornographie bis hin zum Columbine-Massaker ist alles Hillarys Schuld, argumentiert die konservative Rechtanwältin, die als Wortführerin der neuen, telegenen Rechten gilt. Jerry Oppenheimers "State of the Union" wiederum seziert die Ehe der Clintons und entdeckt dabei Hillarys verborgenen Antisemitismus. Der ehemalige Reporter des Schmuddelblatts The National Enquirer hat Clintons Heimatstaat Arkansas noch einmal nach sensationellen Gerüchten durchkämmt und dabei zwei ehemalige Wahlhelfer gefunden, die sich nach 26 Jahren plötzlich an einen judenfeindlichen Ausspruch der Präsidentengattin erinnern wollen. Ein Rechercheresultat, dass Gail Collins (am 18. Juli) von der New York Times so kommentiert: "Es scheint, dass ganz Arkansas nur aus 100 extrem redseligen Leuten besteht, die alle entweder emotional verwirrt oder am Rande des Bankrotts sind und regelmäßig vom Brunnen der wiederentdeckten Erinnerung trinken". Trotz unseriöser Quellen fühlte sich Ms. Clinton zu einer tränenreichen Gegendarstellung vor laufender Kamera genötigt. Schließlich befindet sie mitten im Wahlkampf und muss schlechte Publicity abwenden.

New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani, Hillary Clintons schärfster Konkurrent im Kampf um einen Senatorenposten in Washington, hat dagegen freiwillig den Ring verlassen, noch bevor zwei neue ungnädige Biografien Wahlkampfschaden hätten anrichten können. In "Rudy! An Investigative Biography of Rudolph Giuliani" (Basic Books) enthüllt Village Voice-Reporter Wayne Barrett, dass die Familie von New Yorks selbstgerechtem Stadthalter enge Mafiaverbindungen hatte und dass Giulianis Vater wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in Sing-Sing einsaß. Daily News-Veteran Andrew Kirtzman berichtet in seinem Buch "Rudy Giuliani: The Emperor of the City" dagegen von den irrationalen Vendettas, die der Bürgermeister gegen seine Widersacher anzettelte. Höhere Mächte haben New Yorks Saubermann dennoch niedergebracht. Erst wurde Giuliani mit Prostatakrebs diagnostiziert (wie übrigens auch Polizeichef Howard Safir) ein Fakt, der Gerüchten neue Nahrung gab, dass da mächtige Voodoozauberer aus der durch jüngste Polizeiübergriffe verärgerten haitischen Gemeinde am Werke seien. Dann wurde der gläubige Katholik mit einer fremden Frau im Arm erwischt und musste sich öffentlich zum Ehebruch bekennen. Jetzt ist das Image vom moralisch unfehlbaren Familienvater kaputt, seine politische Karriere am Ende, und die Gesundheit angeschlagen. Selbst hartgesottene Giuliani-Feinde sorgen sich inzwischen öffentlich um das Wohl des einst so toughen Law&Order-Mannes - und verschlingen am Strand mit heimlicher Schadenfreude die neuesten Skandalgeschichten.