Post aus Ouagadougou

Kleine Gefälligkeiten

Von Marie Luise Knott
06.03.2009. Die Filme des Festivals von Ouagadougou zeigen, dass Recht noch immer nicht herrscht, sondern eingefordert werden muss. Aber einige Filmemacher glauben trotzdem schon an neue afrikanische Wirklichkeiten.
Die Straßen in Ouagadougou sind voll, Autos, Fahrräder, Motorräder kurven in dicht gedrängtem Miteinander durch die Straßen. Bürgersteige gibt es kaum, und wenn, dann sind es Händlersteige. Einer natürlichen Hierarchie ganz alltäglicher Gefährdungen folgend liegen hier und da Fahrradfahrer am Boden. Doch so undurchsichtig für unsereins das Reglement des Vorankommens ist - es geht geregelt vonstatten, nicht zuletzt dank der unscheinbaren Gegenwart der Polizei, die überall in der Menge präsent ist. Vor unserem Hotel ist die Straße gesperrt, denn gegenüber liegt der Eingang zu einem großen Markt, und die möglichen Käufer (also Fespaco Besucher) sollen nicht durchs Verkehrschaos vom Shoppen abgehalten werden.



Foto: Marie Luise Knott

Die Staatsmacht kontrolliert vieles in diesem Land, in dem von den sankaristischen, moskautreuen Zeiten auf den ersten Blick nur architektonische Reminiszenzen geblieben scheinen. Und noch etwas: die Tradition der Themenstoffe. Tatsächlich tragen die Frauen hier zu festen, feierlichen Anlässen vorsätzlich denselben Stoff, den sie sich je individuell auf den Leib schneidern lassen. An einzelnen Tagen des Jahres laufen sie dann - freiwillig gleichgekleidet - durch die Straßen, erzählt eine der Hiesigen, die sich gerade ein Kleid aus dem Stoff des diesjährigen internationalen Frauentags nähen lässt.

Die Volksrepubliken sind passee, das Haus des Volkes steht heute leer, das Volk ist geblieben, und es scheint, als lasse sich die Macht und das Volk heutzutage gegenseitig wenn möglich links liegen. Gelassen, ohne jede Geste von Machtdemonstration, stehen die Polizisten an den Absperrungen und patrouillieren an ausgewählten Ecken der Innenstadt.

Ähnliches kann man auch in den Filmen des Festivals beobachten. Nach den Schrecken der Kolonialherrschaft und den enttäuschten Hoffnungen in die nationalen Erhebungen, dominierte in afrikanischen Filmen lange Jahre eine Ohnmacht angesichts der als korrupt und selbstherrlich erfahrenen Macht, die im Zweifelsfall über viele Leichen ging. "Tezla", der Wettbewerbs-Beitrag des in Washington lebenden äthiopischen Regisseurs Haile Gerima hat in scharfen Schnitten und mitunter taumelartiger Montage mit dem Budget eines Kurzfilmes ein trauriges Resümee gezogen - dreißig Jahre äthiopische Geschichte, in denen auf Imperialismus Marxismus folgte, ohne dass die Macht je ein menschliches Antlitz erhielt. Auch der aus Mali stammende Film "Fantan Fanga? der Regisseure Adama Drabo und Ladji Diakite beschreibt korrupte Zustände in Wahlzeiten.

In vielen Filmen aber hat die Staatsgewalt heute ein anderes, neues Gesicht. Der algerische Filmregisseur Amor Hakkar etwa erzählt in seinem Film "La Maison jaune" in langsamen, reduzierten Bildern aus dem Leben einer Berber-Familie, die in ärmlichsten Verhältnissen von den Kartoffeln und Tomaten lebt, die sie der Erde abringen und die der Vater auf seiner Lambretta, einem dreirädrigen anachronistischen Landfahrzeug mit Anhänger, in die nahe Stadt auf den Markt fährt. Zu Beginn sieht man eine Hochzeitsgesellschaft über Land fahren. Dahinter ein Polizeiauto, das der Familie die Nachricht überbringt, der einzige Sohn sei in der Armee bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der Vater wird vorgeladen, den Toten zu identifizieren.

Eine absurde Odyssee beginnt, doch entgegen der Erwartung, wird dieser Berber auf seinem Weg in die ferne Stadt mit seinem vorsintflutlichen Gefährt an der Straßensperre nicht aufgehalten. Vielmehr überlässt ihm einer der Polizisten eine Baustellen-Warnlampe für seinen Anhänger, sodass in der nächsten Einstellung sekundenlang ein kleines gelbes Licht von rechts nach links über die ansonsten völlig nachtschwarze Leinwand flackert. Dann ist die Nacht vergangen, und angekommen im Leichenschauhaus packt der Vater kurzerhand die nicht freigegebene Leiche seines Sohnes in einen Sarg und auf seinen Anhänger. Wieder reagiert die Obrigkeit zum allgemeinen Erstaunen gelassen, dem Vater wird der Entlassungsschein ins Dorf gebracht. Amor Hakkar zeigt still und leise und eindringlich, dass die Welten in seiner algerischen Heimat zwar aufeinanderprallen, tatsächlich aber nicht ohne Verständnis füreinander bleiben; die Menschen scheinen zu wissen, dass sie nicht ohne ein Miteinander existieren können. Das Sinnbild der gemeinsamen Lebenswelt ist in dieser kargen, präzise eingesetzten Bildersprache die Wäsche auf der Leine - ein Anblick der im Film Stadt und Land verbindet. Den hiesigen Preis, den Goldenen Hengst von Ouagadougou, wird dieser Film wahrscheinlich nicht gewinnen, aber seine filmischen, an Abbas Kiarostami erinnernden Setzungen überzeugten.



Foto: Marie Luise Knott

Szenen, in denen Recht und Ordnung einfach herrschen und nicht eingefordert werden müssen, sind noch eine Seltenheit in den Filmen des Fespaco. Ob tatsächlich neue afrikanische Wirklichkeiten bevorstehen, ist ungewiss. Der bisherige Held des Festivals jedenfalls, der Regisseur Missa Helie, dessen Serie "Le Commissariat de Tampy" (2007) - eine humoreske Parodie gängiger Verbrechensbekämpfungsvorstellungen a la "Tatort" - hier von allen Straßenverkäufern angeboten wird, glaubt fest daran: "L'Afrique bouge. L'Afrique se construit." Er spricht von einer "nouvelle race de femmes et d?hommes", und die Leute glauben gerne daran. Sein nur unter großen finanziellen Mühen rechtzeitig fertiggestellter Film "Le Fauteuil" war gestern die Attraktion. Eine ästhetisch anspruchslose, witzige, für unseren Geschmack allzu pädagogisch aufgebaute Geschichte über die Überwindung der Korruption in Afrika, zu deren Vorführung sogar der Präsident des Landes erschien! Bis auf den letzten Bodenplatz war das Kino besetzt und die Zuschauer gingen mit - sie lachten und kommentierten. Sie kennen sich bestens aus in den vielen Facetten der kleinen Gefälligkeiten. Das ist offensichtlich.