9punkt - Die Debattenrundschau

Die Chinesen pflegen die Silberrücken

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.09.2023. In Deutschland läuft es schlecht? Da müssten Sie mal nach Frankreich, Kanada, Estland oder Finnland gucken, meint die FAZ. Naja, und in Nigeria läuft es auch nicht so gut, ergänzt hpd.de. Optimistisch sein darf eigentlich nur die Generation Z, die reichste Generation, die es jemals in Deutschland gegeben hat, findet die Welt. Die Welt recherchiert auch zu dubiosen Kontakten zwischen der CSU und China. Aber China ist nur eines von fünf Imperien, die hoffen, den versagenden Westen zu besiegen, fürchtet Bernard-Henri Lévy.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.09.2023 finden Sie hier

Politik

Dass der ehemalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping heute ein inniger China-Freund ist, war schon länger bekannt. Hans-Martin Tillack bringt jetzt in der Welt eine große Recherche über enge und zuweilen reichlich dubiose Kontakte zwischen China und der CSU. Zu den begeistertsten China-Lobbyisten gehört heute der CSU-Abgeordnete und ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Überhaupt Bayern: "Eine gewisse Offenheit für Kontakte mit der Volksrepublik ist in Bayern Regierungspolitik. Das ist sicher auch erklärbar durch die großen Firmen im Land, die im Reich der Mitte Geschäfte machen. Und auch in anderen Parteien gibt es Politiker, die sich mit einer gewissen Hingabe um die Beziehungen zu China kümmern. Nicht zufällig geht es häufig um Männer, die ihre Karriere in der Bundespolitik hinter sich haben. 'Die Chinesen pflegen die Silberrücken, rollen ihnen den roten Teppich aus', sagt Thorsten Benner, Direktor des Thinktanks GPPI in Berlin. 'Das ist eine Mischung aus Geld, Ego und Überzeugung', vermutet er über die Motive der Umworbenen."

Und es gibt noch mehr China Liebhaber! Thomas Heberer, Seniorprofessor für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg-Essen, und Helwig Schmidt-Glintzer, Professor für Sinologie und Direktor des China Centrum Tübingen, sind "auf eigene Initiative" wie die beiden betonen, mit drei weiteren Wissenschaftlern nach Xinjiang gefahren, wo China die Uiguren unterdrückt. Aber das war dem islamistischen Terror geschuldet und jetzt wird es auch schon viel besser, versichern die beiden in einem Bericht für die NZZ, der sich wie von der chinesischen Regierung geschrieben liest. "Aufseiten der uigurischen Bevölkerung stoßen die von der Zentralregierung angestoßenen Modernisierungen in Sachen Bildung, medizinische Versorgung und Arbeit unübersehbar auf Sympathie. Die während der Hochphase des Kampfs gegen den Terror entstandenen verschiedenen Lager, ist zu vernehmen, sollen inzwischen weitgehend aufgelöst worden sein. Dies deutet auch der kritische Xinjiang-Experte Adrian Zenz, der in den vergangenen Jahren die meisten Dokumentationen zur Entwicklung in Xinjiang vorgelegt hat, in einem jüngst erschienenen Papier an." Vielleicht sollte die EU die Sanktionen gegenüber China einstellen, regen die beiden an.

Im Verwesungsduft des Trumpismus, der leider nicht nur Amerika verpestet, erleben wir einen nie dagewesenen Rückzug des Westens, schreibt Bernard-Henri Lévy in La Règle du Jeu und nennt etwa den Rückzug aus Afghanistan oder die Gleichgültigkeit gegenüber den Kurden und Armenien als Beispiele. "Und dann ist diese Welt zweitens die Welt von fünf Imperien, die man für tot hielt, die aber angesichts der Leere, die der Westen hinterlässt, ihre Stunde kommen sehen und von einer möglichen Wiederauferstehung träumen: Erdogan und sein osmanisches Delirium ... der Iran und sein schiitischer Halbmond, der von Beirut über Bagdad bis Teheran das von uns geschaffene Vakuum besetzen würde ... die chinesischen Seidenstraßen ... der radikale Islam, der sein Glück in den verlorenen Gebieten der Weltrepublik versucht ... und, natürlich, Russland, bei dem nicht oft genug daran erinnert werden kann, dass es in die Ukraine einmarschiert ist, nicht weil ihr Nato-Betritt drohte, sondern im Gegenteil weil die Nato klargestellt hatte, dass sie ihr nicht beitreten würde."

Die nigerianische Polizei hat eine Hochzeitsfeier gesprengt und unzählige Personen festgenommen - wegen des Verdachts auf Homosexualität, berichtet Hella Camargo bei hpd.de. Ihnen droht nach den Gesetzen des Landes, wo Homosexualität verboten ist, bis zu 14 Jahren Gefängnis. Die Polizei stellte Bilder von der Festnahme unverpixelt ins Netz und gefährdet die Festgenommenen so auch noch: "Jegliche Kritik wies Polizeisprecher Bright zurück. Für ihn ist das Verbot der Homosexualität, welche den als Männern geltenden Eheleuten und auch vielen der Gäste vorgeworfen wird, Nigerias Gesetz, an das sich alle zu halten hätten. Damit spricht er vielen Menschen in Nigeria noch immer aus dem Herzen. Oft wird Homosexualität, aber auch zum Beispiel trans als Einfluss aus westlichen Ländern gesehen, welcher nigerianische Werte untergrabe."

In Deutschland läuft es schlecht? Da müssten Sie mal nach Frankreich, Kanada, Estland oder Finnland gucken, meint die FAZ, die in allen vier Ländern große Probleme diagnostiziert: Frauke Steffens stellt fest, dass Kanada als Einwanderungsland auch nicht so optimal ist, wie es oft beschrieben wird. Zwar werden so viele Einwanderer und Flüchtlinge aufgenommen wie nirgends sonst, aber auch in Kanada kann die Bürokratie nicht mehr Schritt halten und es gibt inzwischen zu wenige Wohnungen. Und willkommen sind die Einwanderer auch nicht überall, Diskriminierung und Rassismus gibt es auch hier: "Der Anpassungsdruck ist hoch: 65 Prozent der Kanadier glauben, dass Zuwanderer nur aufgenommen werden sollten, wenn sie sich zu 'kanadischen Werten' bekennen. Und wer neu ins Land kommt, findet ein viel homogeneres Umfeld vor als etwa in den Vereinigten Staaten: Oft müssen Zuwanderer in Kanada ohne die Unterstützung großer Gemeinschaften aus ihrem Herkunftsland auskommen. Auch wenn laut der Zensusbehörde hier Menschen mit 450 unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten leben: Mit knapp 70 Prozent definiert sich die überwiegende Mehrheit der Kanadier als weiß, 11,8 Prozent sind asiatischer Abstammung, 6,2 Prozent der Menschen gehören indigenen Nationen an, und 4,3 Prozent sind schwarz."
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Europa

Niklas Bender sieht in einem zweiten FAZ-Artikel schon die nächste Revolte in Frankreich ausbrechen. Zwar sehen die wirtschaftlichen Daten besser aus als in Deutschland, gibt er zu, aber Nahrungsmittelpreise, Benzin- und Mietpreise sind gestiegen, eine Wohnung kaufen kann auch keiner mehr. Und dann noch die Skandale in Alten- und Kinderheimen, die der Profitgier geschuldet seien: "Der Staat scheint einem rücksichtslosen Markt die Schwächsten der Gesellschaft in den Rachen zu werfen. In weiten Teilen der Bevölkerung setzt sich so der Eindruck von wirtschaftlichem Niedergang und gezielter Vernachlässigung fest."

In Finnland gibt die rechtsextreme Partei "Wahre Finnen", die mit den Konservativen die Regierung stellt, nach wie vor rassistische Parolen aus. Und in Estland fügte Premierministerin Kaja Kallas ihrem Land Schaden zu, weil sie sich nicht zu den Exportgeschäften ihres Mannes nach Russland äußern will, berichtet Jüri Reinvere im dritten FAZ-Artikel: "Juristisch ist das Handeln ihres Mannes nicht angreifbar. Die Güter, die er exportiert, fallen nicht unter die Sanktionsrichtlinien. Er ist nur Zulieferer für sanktionspflichtige Waren, die erst in Russland hergestellt werden. Die Unbeirrbarkeit, mit der Kallas jede Rechenschaft den Abgeordneten und dem Präsidenten gegenüber verweigerte, veranlasste die führende Tageszeitung Postimees zu dem Kommentar: 'Estland ist auf dem Weg in die Autokratie.'"

Wem das zu deprimierend ist, der kann eine Dosis Optimismus in der Welt tanken, wo der Zukunftsforscher Daniel Dettling der Generation Z versichert, dass mitnichten ihre Zukunft ruiniert werde, im Gegenteil: Sie wird die reichste Generation sein, die es jemals in Deutschland gegeben hat, dank Erbschaften und hervorragender Jobaussichten. Und mehr noch: "Ökologisch geht das Ende des fossilen Zeitalters einher mit immensen technologischen Innovationen und nie dagewesenen neuen Geschäftsmodellen. ... 2020 betrug das weltweite Volumen für Green Tech noch 4,6 Milliarden Euro, bereits 2030 soll es Schätzungen zufolge doppelt so hoch sein. Immer mehr Länder sind auf grüne Energie angewiesen. Die heute Jungen werden in einer grünen, weitgehend emissionsfreien Zukunft alt."

In der taz hat Fatima Moumouni, die vor zehn Jahren nach Zürich ausgewandert ist, überhaupt keine Lust, der Schweiz, der sie Rassismus und Überheblichkeit vorwirft, zum 175. Geburtstag zu gratulieren: "Tatsache ist, dass ich nach zehn Jahren in diesem Land immer noch keinen Pass habe und in meinem spezifischen Fall zehn weitere Jahre warten müsste, bis ich überhaupt das Einbürgerungsverfahren in Angriff nehmen könnte. Und das, obwohl ich für eine Deutsche ungewöhnlich gut integriert bin! Nicht dass ich je angestrebt hätte, mich mit irgendwem in dieser in deutschsprachigen Diskursen anmaßenden Disziplin 'Integration' zu messen. Aber weiße Deutsche reden ja immer nur von Integration, doch wenn man dann mal schaut, wie es in den Enklaven der Auslandsdeutschen aussieht: mangelhaft. Sogar eine Plakatkampagne musste die Deutschen zur besseren Integration mahnen: Hier sage man 'Ich hätte gern ein Brötchen', nicht: 'Ich krieg ein Brötchen.'"
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Ideen

Im Interview mit der NZZ erklärt die amerikanische Philosophin Susan Neiman noch einmal, was sie unter links versteht. In der FAZ gratuliert Christian Geyer dem Philosophen Otfried Höffe zum Achtzigsten.
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Stichwörter: Neiman, Susan

Medien

Natürlich gibt es einen "Genderzwang", jedenfalls wenn man für Institutionen arbeitet, erklärt der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder in der Welt: "Als Wissenschaftsjournalist schreibe und arbeite ich für etwa vierzig verschiedene Auftraggeber, nicht nur Zeitungen und Magazine, sondern auch Behörden, Firmen, Forschungsinstitute und Universitäten. Fast überall gibt es inzwischen verbindliche Vorgaben oder Genderleitfäden, in denen vorgeschrieben wird, wie man zu gendern hat, ohne dass die Mitarbeiter jemals gefragt worden wären." Obwohl er auch Kollegen in Pressestellen kennt, die das sprachlich eigentlich unsinnig finden, wagt es niemand, sich offen gegen das Gendern auszusprechen. Der Grund: Sie haben Angst "als konservativ und rückständig gebrandmarkt zu werden. Diese Angst ist berechtigt. So ordnet beispielsweise die Amadeu-Antonio-Stiftung, die ein 'antifeministisches Meldeportal' betreibt, Gendergegner als 'demokratiefeindlich', 'frauenfeindlich' bis 'rechtsextrem' ein. Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, von dem man sich erst einmal erholen muss."
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Geschichte

Silvia Dzubas "Untertauchen Übrigbleiben", Fotoserie, 2013. Jüdisches Museum Berlin


"Jüdisch in der DDR" ist eine Sonderausstellung im Jüdischen Museum in Berlin betitelt, die sich den Juden widmet, die meisten von ihnen Kommunisten, die nach der Shoah in die DDR zogen. Ein Zuckerschlecken wurde es nicht gerade, berichtet Klaus Hillenbrand in der taz. "Der Stalinismus triumphierte, und mit ihm ein staatlicher Antisemitismus, der jeden und alles verdächtig machte. Kontakte nach Israel? Ein West-Agent, vielleicht gar Zionist! Hilfspakete aus den USA empfangen? Gewiss ein Ami-Spion. ... Hunderte Jüdinnen und Juden flohen damals zur Zeit der Slansky-Prozesse aus der DDR in den Westen. Jüdische SED-Mitglieder beschuldigten andere Juden bei der Stasi aufgrund von Nichtigkeiten 'verbrecherischer Verbindungen' zu Imperialisten, wohl wissend, welche furchtbaren Folgen dies haben konnte. Man kann das heute alles in Stasi-Akten nachlesen. An diesem Punkt wirkt die Berliner Ausstellung ein wenig weichgespült. Tatsächlich galt jüdisches Leben in der DDR auch als ein permanenter Verdachtsfall für die Staatssicherheit, die die wenigen Gemeinden und ihre Mitglieder durchleuchtete."
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