Außer Atem: Das Berlinale Blog

Hier ist das Positive!

Von Ekkehard Knörer
14.02.2009. Aktualisierung vom Samstagabend: Und was sollen wir sagen? Die Jury hat auf Ekkehard Knörer gehört: "La teta asustada" bekommt den Goldenen Bären! / Es gibt bei der diesjährigen Berlinale überhaupt nur einen einzigen plausiblen Kandidaten für den Goldenen Bären, nämlich "La teta asustada" von Claudia Llosa.
Aktualisierung vom Samstagabend, 20,35 Uhr: "La teta asustada" bekommt den Goldenen Bären. Und "Alle Anderen" (siehe ebenfalls unten) wurde ebenfalls bedacht. Alle Preise hier.

In anderthalb Sätzen sei es, Zusammenfassung muss sein, einmal noch gesagt: Der Wettbewerb der Berlinale in diesem Jahr war, schlicht und gar nicht ergreifend: unterirdisch in weiten Teilen; unbeholfener Holzhammer-Archaismus ("Katalin Varga") stand neben Haudrauf-Historienfilm ("Cheri"), politisch arg korrekte Simplizität ("London River") neben Putzigkeit ("Gigante"), bleiernes Kunstwollen ("Tatarak") neben nicht ganz so bleiernem Kunstwollen ("Forever Enthralled"), politische Didaktik ("Storm") neben kompletter Sinnlosigkeit ("Ricky"). Weil aber die tiefen Täler, die es zu durchwandern galt, von uns hier in ihrer ganzen abgrundtiefen Torheit bereits ausgemalt sind, möchte ich auf die notorisch ironisch gemeinte Kästner-Frage "Und wo bleibt das Positive?" für einmal ganz unironisch antworten: hier.

Burger und Spitzenküche

Also erstens nochmal zu Maren Ade. Über ihren Film "Alle anderen" bzw. dessen Protagonisten, ein in allen Details sich in den Haaren liegendes Paar, hat sich der hoch geschätzte Autor und tazler und Sonst- eigentlich-alles-immer-aus- Prinzip-lieber-Super-Finder Detlef Kuhlbrodt sehr aufgeregt ("Futonficker aus 61"). Eher unbestritten ist ja, dass die in diesem Film Porträtierten die Grenze zum Unerträglichen jedenfalls entlangschlingern und sie womöglich auch öfter mal überschreiten. Wie sehr er Distanz hält zu seinem narzisstisch passiv-agressiven Thirtysomething-Pärchen, macht der Film in der Tat keineswegs klar. Was ihm aber gelingt - und eine Reaktion wie die Detlef Kuhlbrodts macht das erst recht deutlich - ist das ungemein präzise Porträt einer soziologisch genau verortbaren Beziehungsbefindlichkeit. Natürlich ist das Miniaturmalerei und, wie jede gelungene Miniaturmalerei, eine Sache der Sorgfalt in Denken und Tun.

Recht unverhohlen hat Schauspieler Lars Eidinger in der Pressekonferenz durchblicken lassen, dass ihn die große Tugend von Maren Ade teils in den Wahnsinn trieb: Sie hat so lange an den einzelnen Szenen gearbeitet, bis alles haargenau stimmt. Und wenn es fünfzehn Takes derselben Einstellungen dafür braucht. Diese fünfzehn Einstellungen sieht man dem Film an. Mag sein, er weiß zu viel über sich, mag sein, er ist ängstlich fast überkontrolliert (wie so viele Filme jener Schule der Filmgeschichtsbewussten, die man eher sinnloserweise nach einem Ort die "Berliner" nennt) - dem Großteil des sonst im Wettbewerb so Gezeigten hat er aber die Selbstverständlichkeit voraus, die an diesem Ort keine ist: In jeder Einstellung steckt ein, und sei es unbewusster, filmischer Gedanke.

Dies als Minimum von einem Film zu verlangen, ist kein Intellektualismus, sondern einzig die Forderung danach, dass eine/r als RegisseurIn weiß, was er oder sie tut. Es ist ja nicht mehr als der eigentlich minimale Anspruch, dass eine/r auf einer ganz elementaren Ebene seine Sprache beherrscht und nicht einfach nach Gutdünken Unvergorenes manscht und Fusel aus Unverstandenem panscht oder, was noch üblicher und noch uninteressanter ist, Versatzstücke einer Sprache aus Plastik per Plot notdürftig zusammenklebt. Oder in der Vorstellungswelt des Dieter Kosslick formuliert: Man muss nicht einmal etwas gegen Fast Food aller Art haben, um zu finden, dass ein McDonalds-Burger, aber auch ein gewöhnliches Wiener Schnitzel in einem Wettwerb, in dem es um Spitzenküche gehen soll, eher wenig verloren haben.

Warum "Mammoth" eine Verteidigung lohnt

Zweitens eine Verteidigung. Kaum ein Film wurde so ausgebuht und verlacht wie Lukas Moodyssons "Mammoth". Was, auch wenn das Werk gewiss seine Probleme hat, sehr ungerecht war. "Mammoth" ist ein naiver Film, der einfache Dinge nicht kompliziert machen will und in mitunter ergreifender, mitunter verstörender, aber immer aufrichtiger Schlichtheit elegant zur Bildsprache bringt, was er auf dem Herzen hat. Er zeigt - ohne sie im mindesten psychologisch zu erklären - Menschen, die leiden. Und nicht einfach leiden am Elend der Welt, sondern durchaus an sehr konkreten Dingen: an der Abwesenheit ihrer Mutter, am Verlust des geliebten Kindermädchen, an dem, was Menschen einander antun. Und er zeigt dies Menschen als solche, die suchen, die gerettet und erlöst werden wollen.

"Mammoth" ist nicht frei von Klischees. Man liegt wohl nicht falsch, wenn man zu verstehen glaubt, dass die Haltung, die dahinter steht, wollte man sie direkt verrechnen, konservativ und, horribile dictu, christlich zu nennen ist. Auch als linker Atheist wird man doch fragen dürfen: Spricht das per se schon gegen einen Film - obwohl er genau für diese Haltung einen entsprechenden ästhetischen Ausdruck findet? Und was als größte Schwäche von "Mammoth" begriffen wurde, ist sowieso seine eigentliche Stärke. Er verzichtet weitgehend auf Plot-Konstruktionen (dass es immer noch eher zuviel als zuwenig davon gibt, ist eines der Probleme des Films), er individualisiert seine Figuren nicht, sondern entwirft sie naiv und in aller Einfachheit als Träger von Haltungen und Gefühlen. Weil er auf diese Weise wirklich anders geartet war als der Rest des Wettbewerbs, war "Mammoth" - von allen vorherrschenden Tendenzen des kommerziellen wie des künstlerischen Films gleich weit entfernt - tatsächlich das erratischste, das ungewöhnlichste Werk im Wettbewerb. Und man musste ihn nicht einmal wirklich gelungen finden, um von seiner Aufrichtigkeit berührt zu sein.

Der einzige plausible Kandidat für den Goldenen Bären

Eine große Entdeckung gab es dann doch im Wettbewerb, leider haben nur die wenigsten sie gemacht. Vom ersten Bild an - es ist ein Schwarzbild, man hört dazu einen Klagegesang - macht die Peruanerin Claudia Llosa in "La teta asustada" klar, dass sie eine Meisterin ihres Fachs ist. Es ist erst ihr zweiter Film, aber jede Einstellung sitzt und jede Metapher, jedes Symbol, das sie einführt, macht nicht nur Sinn, sondern eröffnet auch faszinierende Ambivalenzräume. Natürlich gilt das zuallererst für die zentrale Metapher, die keimende Kartoffel nämlich in der Vagina der Heldin. Sie erfüllte einst, als die Terroristen des "Sendero Luminoso" vergewaltigend durch Peru zogen, den Zweck, die Vergewaltiger abzustoßen. Auch nach dem Ende der Guerilla-Kriege aber weigert sich die Heldin Fausta, die Kartoffel zu entfernen, die Schmerzen verursacht, die sie - als Metapher, die sehr konkret mitten im Leben sitzt - daran hindert, ins Leben zu finden.


Der Film erzählt dann in reicher Textur die einfache Geschichte des schwierigen Wegs seiner Heldin Fausta ins Leben. Llosa findet die ingeniösesten Bilder dafür. Ein Tor, das eine abgeschiedene Villa vom lebendigsten Straßengedränge in Lima trennt. Wände mit Aufschrift, an denen Fausta, die das Offene scheut, entlanghetzt. Faustas Weg nach Hause ins Dorf in den Bergen, den sie, weil er schutzlos liegt, nur in Begleitung geht. Ein Grab, das zum fröhlichen Planschbecken wird. Außerdem: Absurde Hochzeits- und andere Rituale. Die hoch komplexe quasi-vampirische Beziehung Faustas zu einer Musikerin. Und vor allem: Die Quasi-Liebesgeschichte zu einem Gärtner, der Fausta sehr buchstäblich - und was für ein Bild: Fausta mit Blume im Mund! - zum Aufblühen verhilft. "La teta asustada" ist ein so reicher Film, dass Llosa wunderbare Ideen und Schriften und Geschehnisse auch mal in den Hintergrund und die Unschärfe verlegt.

Heraus kommt die merkwürdigste Mischung aus Sprödigkeit und Barock, ein völlig transparenter Symbolismus - und das alles mit einer umwerfenden Laien-Hauptdarstellerin Magaly Solier, die Llosa für ihren ersten Film "Madeinusa" entdeckt hat. Mit einem Wort: Es gibt bei der diesjährigen Berlinale überhaupt nur einen einzigen plausiblen Kandidaten für den Goldenen Bären, nämlich "La teta asustada" von Claudia Llosa.