Außer Atem: Das Berlinale Blog

Verschiebung und Variation: Hong Sangsoos 'Nobody's Daughter Haewon' (Wettbewerb)

Von Elena Meilicke
15.02.2013.


Ein paar Hong-Sangsoo-Filme habe ich gesehen und immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ich mich hinterher schon bald nur noch schemenhaft an sie erinnern konnte. Immer wieder greift Hong die gleichen Motive, Schauplätze und Figuren auf, rekombiniert und rearrangiert sie, als wären alle seine Filme in Wirklichkeit ein einziger. Differenz und Wiederholung, Verschiebung und Variation, darum kreisen Hongs Filme, so sind sie gemacht. Das Resultat ist eine Ähnlichkeit, aber auch eine ganz eigene spielerische Leichtigkeit und Flüchtigkeit, die es so schwer machen, Hongs Filme zu fassen zu kriegen, sie festzunageln und ordentlich in Gedächtnisschubladen abzulegen.

Auch in "Nobody's Daughter Haewon" trifft man auf bekanntes Hong-Material: Da sind Figuren, die ziellos durch leere und gesichtslose Stadtlandschaften spazieren. Ein Filmprofessor, der eine Affäre mit einer seiner jungen Studentinnen hat. Ein Park auf einer Anhöhe über der Stadt. Das Trinken. Anders als in den meisten Filmen von Hong aber ist es diesmal eine junge Frau, die im Mittelpunkt der Geschichte steht. Haewon schreibt Tagebuch und erinnert sich, es geht um einige Wochen Ende März, Anfang April 2012. Die Bäume sind noch kahl, der Himmel ist grau, der Frühling hat noch nicht angefangen. Haewons Mutter verlässt Korea, um nach Kanada zu ziehen, zum Abschied schlendern Mutter und Tochter umher, setzen sich auf eine Parkbank, trinken Tee. Dann geht die Mutter, und mehrere Männer betreten den Film: Haewons geheimer Geliebter, der Filmprofessor, von dem sie sich trennen möchte oder auch nicht. Ein junger Mann, der seine Zigaretten halbaufgeraucht wegwirft. Ein älterer Professor aus San Diego, der mit Martin Scorsese telefoniert und telepathisch ein graues Taxi herbeirufen kann.

Das ist eigentlich auch schon alles, was der Film an Erzählung entwickelt, es wirkt auf souveräne Weise locker hingeworfen und lose verknüpft, eingefangen von einer idiosynkratischen, unordentlichen Kamera, die gerne schwenkt und zoomt. Ob das, was wir auf der Leinwand sehen, Wirklichkeit oder Wunschtraum ist, lässt sich dabei kaum sagen: zwei Mal sehen wir Haewon aufwachen, sie muss geschlafen, geträumt haben. Auf der Ebene der Bilder aber - wie immer bei Hong sind es uneitle, nüchterne, fast dürftige Bilder - gibt es keine Differenz zwischen Traum und Realität, keine Markierungen, die Klarheit schaffen würden. So wirkt "Nobody's Daughter Haewon" zwar auf den ersten Blick schlichter als Hongs frühere Film-im-Film-Verschachtelungen und Metafilmkonstruktionen. In Wahrheit aber ist er nicht weniger rätselhaft.



Denn es ist ein sehr seltsames Universum, das der Film entwirft, eines, in dem (fast) alles mindestens zwei Mal passiert, eines, in dem die Figuren sich wie auf unsichtbaren Bahnen bewegen, gefangen in Wiederholungsschleifen. Der Soundtrack zu dieser geschlossenen, sich wiederholenden Welt ist eine leiernde Easy-Listening-Version von Beethovens 7. Sinfonie, die Haewons Geliebter immer wieder von seinem Walkman abspielt, um damit Affekte zu triggern: Gefühle im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit.

Ein singuläres Ereignis aber gibt es in der Wiederholungsschleifenwelt von "Nobody's Daughter Haewon". Es steht nicht am Ende, wo es als Resolution und Happy End lesbar werden könnte, sondern ganz am Anfang des Films, als herrlich erratischer Einstieg: da trifft Haewon eine Frau, die nur einmal auftaucht, eine Frau aus der Fremde, einen Star. Und Jane Birkin gibt ihr ihre Telefonnummer.

Elena Meilicke

"Nugu-ui Ttal-do Anin Haewon" (Nobody's Daughter Haewon). Regie: Hong Sangsoo. Mit Jung Eunchae, Lee Sunkyun u.a., Republik Korea 2013, 90 Minuten (alle Vorführtermine)