Außer Atem: Das Berlinale Blog

Erzählt von der Liebe mit 17: André Techinés 'Quand on a 17 ans'

Von Thekla Dannenberg
15.02.2016. Zwei jugendliche Außenseiter in der Provinz und eine Mutter: André Techiné zeigt mit großer Eleganz und Delikatesse verstohlene Blicke, gestohlene Berührungen und die vor Verlangen berstenden Körper.


In Mia Hansen-Loves "L'Avenir" beharrt Isabelle Huppert darauf, dass es sie glücklich macht, ein intellektuell erfülltes Leben zu haben. Begehren ist für sie etwas, über das Rousseau sehr bedenkenswert geschrieben hat. Sie ist Philosophie-Lehrerin, nicht mehr ganz jung und selbst von den härtesten Schlägen des Lebens nicht aus ihrer mustergültigen Pariser Intellektuellenexistenz zu werfen. Im zweiten französischen Wettbewerbsbeitrag, in André Techinés "Quand on a 17 ans", ist das Begehren etwas, was seine Figuren komplett aus der Bahn wirft. Auch sie haben im Unterricht gelernt, was Begehren bei Platon und was Bedürfnis bei Leibniz, und das ist ihnen total egal. Sie wollen wissen, was es für sie selbst bedeutet. Sie sind davon überwältigt, verängstigt und beglückt. Sie hassen, was sie begehren, sie lieben, was sie nicht begehren. Thomas und Damien sind siebzehn.

André Techiné erzählt in "Quand on a 17 ans" ("Mit siebzehn") von der Liebe und dem Leben mit siebzehn fernab von Paris, seit seinem Meisterwerk "Wilde Herzen" kommt der Meister des französischen Autorenfilms immer wieder auf sein Thema zurück. Das Drehbuch zu "Mit siebzehn" hat er zusammen mit der Regisseurin Céline Sciamma geschrieben, die in ihren eigenen Filmen - "Tomboy" und "Bande de filles" - ebenso wild und zärtlich zugleich von jugendlicher Identitätssuche, Verweigerung und Auflehnung erzählt.

Damien und Thomas leben in einer kleinen Stadt in den französischen Pyrenäen, Damien ist der Sohn einer Ärztin und eines in Mali stationierten Hubschrauberpiloten. Thomas ist von einem Paar adoptiert, das in den Bergen einen einsam gelegenen Bauernhof betreibt. Er mag es dort oben, er mag die Tiere und geht selbst in eisiger Kälte im See schwimmen. In ihrem Gymnasium sind die beiden gleichermaßen Außenseiter, schon eine der ersten Szenen zeigt ihren Status in aller Härte: Im Sportunterricht sind sie die letzten, die in die Mannschaften gewählt werden. Thomas ist afrikanischer oder maghrebinischer Herkunft, etwas verstockt, etwas aggressiv, aber auch unverkennbar liebesbedürftig. Damien ist schwul und bis über beide Ohren verknallt in diesen hübschen Jungen. Jedes Wort, jeder Blick Damiens bringt Thomas zur Weißglut, sie prügeln sich, beleidigen sich, jede noch so schmerzhafte Nähe ist besser als gar keine Berührung. Um die Schläge besser aushalten zu können, lernt Damien boxen.

Damiens Mutter, die Ärztin wird zur Intermediärin der jungen Liebe. Sie holt Thomas in ihr Haus, als dessen Mutter, nach etlichen Jahren doch noch schwanger geworden, ins Krankenhaus muss. Auch imponiert ihr die Entschlossenheit des Jungen, der jeden Tag von seinem Bauernhof drei Stunden Schulweg auf sich nimmt, um Tierarzt zu werden. Die schwanenhalsige Sandrine Kiberlain mit ihrer Schönheit wie aus der Spätrenaissance spielt die Marianne mit der heiteren Anmut eines jungen Mädchens und sehr französischer Lebensklugheit: "Ich bin stolz, dass Du sensibel geworden bist", sagt sie zu ihrem fragilen Sohn. Von den erotischen Verwicklungen der Jungen bekommt sie zunächst nichts mit, sie sieht in den beiden vor allem die Kinder, die sie eben auch noch sind. Doch das erotische Flimmern durchtränkt die gesamte Atmosphäre. Eines Nachts ertappt sie sich recht erschrocken beim Träumen von Thomas. Ihr allerdings gewährt Thomas vorbehaltlos die Zuneigung, die eigentlich Damien gilt.

Als Drama in drei Trimestern erzählt Techiné seine Geschichte der jugendlichen Liebe und des erotischen Erwachens, mit einem feinem Gespür für die emotionalen Konfusionen, für die Sinnlichkeit und all die Schlichen, mit denen junge Menschen vom Leben kosten, wie bitter es auch schmecken mag. Mit großer Eleganz und Delikatesse zeigt er verstohlene Blicke, gestohlene Berührungen und die vor Verlangen berstenden Körper. "Quand on an 17 ans" ist kraftvoller, körperlicher als "Wilde Herzen", aber auch hier gibt es wieder einen in der Ferne ausgetragenen Krieg, der seine Schatten wirft. In einer berührenden Szene findet Marianne, die sich von ihrer Trauer durchaus aus der Bahn werfen lässt, ihren alten Übermut zurück und verkündet: "Ich werde lieber eine Schnapsdrossel als depressiv." Techiné beweist mit seinem schönen und klugen Film auch, dass er nicht nur die Jugend, das Glück und die Liebe im Sommer inszenieren kann, sondern auch im Winter.

Quand on a 17 ans - Being 17. Regie: André Téchiné. Mit Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila, Alexis Loret. Frankreich 2016, 116 Minuten. (Vorführtermine)