Außer Atem: Das Berlinale Blog

Was Katzenhaar ist, und was Filmkorn: 'Aus einem Jahr der Nichtereignisse' im Forum

Von Lukas Foerster
11.02.2017. Die Geduld der Welt und der Zusammenhang zwischen Filmmaterial und Katzenfell. René Frölkes "Aus einem Jahr der Nichtereignisse" feiert aquarellartiges Licht und beobachtet die Sturheit eines alten Bauern.


Wenn es stimmt, dass jeder gute Film auch etwas am Kino als Medium offenbart, dann ist Ann Carolin Rennigers und René Frölkes "Aus einem Jahr der Nichtereignisse" der Film, der die bislang verborgene Nähe von analogem Filmmaterial und Katzenfell sichtbar macht. Mindestens zweimal kommt die Kamera einer der vielen Katzen, die auf dem norddeutschen Bauernhof, dem fast der gesamte Film gewidmet ist, weitgehend autonom herumstromern, so nahe, dass die ganze Leinwand Fell wird. Genauer gesagt wird sie zu einer grisslig vibrierenden, brodelnden Textur, und weil "Aus einem Jahr der Nichtereignisse" fast durchweg mit niedrig auflösenden 8- und 16mm-Kameras gedreht ist, kann man gar nicht so recht entscheiden, was an dem organisch wabernden Bildereignis nun Katzenhaar ist, und was Filmkorn.



"Aus einem Jahr der Nichtereignisse" wird leider Gottes, so sind die Verhältnisse nun einmal, digital projiziert, ist aber dennoch ein Film, der mit (filmischer) Haut und (tierischen) Haaren den hoffentlich noch sehr lange fortdauernden letzten Tagen des analogen Kinos angehört. Renninger und Frölke halten mit analoger Technik eine menschliche Existenz fest, die sich langsam selbst entgleitet, aber gleichwohl auf Autonomie pocht: ein fast neunzigjähriger Bauer lebt alleine auf dem Hof, den er seit Jahrzehnten bewirtschaftet. Die Innenräume sind mit Kram aller Art zugestellt, es führt durch sie jedoch jeweils ein freigelassener Pfad, auf dem der Alte sich mit seiner Gehhilfe langsam, Schritt für Schritt, fortbewegen kann. Eine unglaubliche Zähigkeit und Sturheit bildet sich da ab: Schon das Öffnen einer Tür ist mit mehreren mühevollen Manövern verbunden, und doch öffnet er nach wie vor jede Tür selbst, er kocht selbst, kleidet sich selbst, versorgt die Tiere selbst.

Mit Einsiedlertum hat das nichts zu tun. Wenn zwischendurch Besuch von Freunden kommt, lebt der Landwirt auf, dann wird kundig über verschiedene Beerdigungsoptionen parliert. (Nicht nur in dieser Szene beweist der Film ein Gespür für Komik der deadpanernen Sorte.) Das ist einfach ein Leben, das mit fortschreitendem Alter näher an die Ding-, Pflanzen- und Tierwelt gerückt ist. "Aus einem Jahr der Nichtereignisse" findet für diese Form des In-der-Welt-Seins eine berückende filmische Form: Das ist kein klassischer Portraitfilm, der auf eine psychologische oder biografische Schließung hinaus will, sondern eine Art poetische Zustandsbeschreibung, die sich in eine Serie von mal ganz kurzen, mal etwas längeren Miniaturen auflöst und den Protagonisten dadurch in eine flexible Beziehung zu seiner physischen Umwelt setzt. Das Bild wechselt dabei immer wieder von Schwarz-Weiß zu Farbe (und was für eine Farbe! Mir ist noch kein digitaler Film untergekommen, der ein derart umwerfendes, aquarellenes Leuchten und Oszillieren zustande gebracht hätte), von grobkörniger Fastabstraktion zu malerisch-pastoralem Impressionismus, immer wieder bleibt die Leinwand ganz schwarz, auch mal eine halbe oder ganze Minute lang, der Film weiß, dass die Welt, die er zeigt, ebenso geduldig ist wie er selbst.



Es geht dabei nicht um eine bloße Präsenzästhetik. Es gibt eine Geschichtlichkeit in den Dingen, aber sie ist nicht unmittelbar zugänglich, man muss sie erst freilegen. Mehrmals dringt in den Film eine Erzählung ein, die man nur allmählich als Erzählung vom Krieg rekonstruieren kann; einmal gibt es, dieser Erinnerungsspur folgend, einen ebenso wagemutigen wie unmarkierten Sprung nach Italien. Die entscheidende Bewegung des Films ist aber eine andere: Mit fortlaufender Dauer ist der Bauer immer öfter nur noch eine unter mehreren Attraktionen auf der Leinwand, irgendwann ist er nur noch gelegentlich im Bild. Es ist nicht so, dass der Mensch aus dem Bild gedrängt würde, eher lässt sich das Bild von anderen Dingen abgelenkt. Von den Katzen und Gänsen insbesondere, die nicht nur draußen herumwuseln, sondern sich auch, neugierig und selbstbewusst, die Innenräume anzueignen beginnen.

Aus einem Jahr der Nichtereignisse, Deutschland 2017. Regie/Produktion/Kamera: Ann Carolin Renninger und René Frölke. (Vorführtermine)