Außer Atem: Das Berlinale Blog

Lissette Orozcos Doku 'Adriana's Pact' (Panorama)

Von Anja Seeliger
15.02.2017.


Die chilenische Regisseurin Lissette Orozco hat einen Dokumentarfilm über ihre Tante Adriana gedreht: eine gutaussehende lebhafte Frau, immer berufstätig gewesen, voller Unternehmens- und Lachlust, die in Australien lebt. Bei einem Besuch bei den Verwandten in Chile 2007 wird sie verhaftet. Der Vorwurf: Sie soll für Pinochets Geheimpolizei DINA gearbeitet, Gefangene "befragt" und gefoltert haben. Adriana streitet das vehement ab, und hier beginnt der Dokumentarfilm.

Orozco filmt ihre Tante, die ihre Unschuld beteuert, zeigt Ausschnitte aus Fernsehinterviews, lässt sich filmen, wenn sie selbst mit ihrer Tante oder Zeugen spricht. Adriana hat sie um diesen Film gebeten, sie soll Zeugen aufspüren und sich von ihnen Adrianas Unschuld bestätigen lassen. Der Film zeigt das. Und er zeigt auch, wie sich für Orozco immer mehr herauskristallisiert, dass Adriana lügt.

Ja, sie hat für den Geheimdienst gearbeitet, sagt sie. Sie war jung, hübsch, konnte gut Englisch und wurde von den Offizieren hofiert. In welchem Beruf hätte sie solche Möglichkeiten gehabt? Sie saß mit Staatsoberhäuptern in einem Raum, durfte mit ihnen speisen. Das Leben war aufregend, und sie genoss es. Wie sie das so erzählt, kann man es gut nachvollziehen. Sie strahlt immer noch so viel Lebendigkeit und Neugierde auf das Leben aus. Von geheimen Gefängnissen, Folterungen und Morden habe sie nichts gewusst, ruft sie leidenschaftlich, das sei eine Verwechslung. Doch je tiefer Orozco bohrt, desto klarer wird, dass das nicht stimmt.



Adriana gibt ein verheerendes Fernsehinterview, in dem sie die Taten des Pinochet-Regimes verharmlost. Nach dem Motto: Man musste doch foltern, sonst hätten die Kommunisten nichts verraten, verteidigt sie ein Regime, dem Tausende Chilenen zum Opfer fielen. Auch die Zeugen, die Adriana nennt, erinnern sich ganz anders als sie. Orozco spricht auch mit Historikern, aber eigentlich braucht sie das nicht mehr, denn die Wahrheit ist klar.

2011 flieht Adriana zurück nach Australien. Von da an kann sie nur noch über Skype mit ihrer Nichte kommunizieren. Das gibt dem Film ein ganz eigenes 21.-Jahrhundert-Gepräge. Immer wieder sehen wir Adriana über Skype, manchmal hält Orozco ihr Handy an den Bildschirm, damit ihre Tante selbst mit den Zeugen sprechen kann. So ungefähr würde man es selbst machen. Und vielleicht sogar ähnlich reagieren wie die Orozcos Mutter, Adrianas Schwester: Sie verstehe inzwischen, was Adriana getan hat. Aber so erinnere sie sich nun mal nicht an sie. Sie hat immer nur das fröhliche Mädchen, die lebenslustige junge Frau vor Augen. Wie schwer es sein muss zu begreifen, dass man die eigene Schwester gar nicht kennt.

In Australien sind Exilchilenen inzwischen auf Adrianas Spur gekommen. Sie demonstrieren täglich vor ihrem Wohnhaus, nennen immer wieder ihren Namen, halten ihr Foto hoch und fordern sie über Lautsprecher auf, die Wahrheit zu sagen. Sie tut einem trotz allem leid. Wie ein gehetztes Tier wirkt sie. Sie weint jetzt, wenn sie mit ihrer Nichte spricht. Doch die hält es nicht mehr aus, sie bricht den Kontakt ab. Ich glaube nicht, dass Adriana sich stellen wird.
 
El Pacto de Adriana - Adriana's Pact. Regie: Lissette Orozco. Dokumentarfilm, Chile 2017, 96 Minuten (Vorführtermine)