Außer Atem: Das Berlinale Blog

Kommt nicht an in Peking: "Chun nuan hua kai - From Tomorrow on, I Will" von Ivan Markovic und Wu Linfeng (Forum)

Von Anja Seeliger
13.02.2019.


Li ist Nachtwächter in einem großen Bürogebäude in Peking. Tagsüber hat er ein Bett in einem fensterlosen Zimmer, das nachts von einem Mitbewohner benutzt wird. Wobei man Li nicht viel schlafen sieht. Er ist ein aufmerksamer junger Mann. Wenn er die Pappbecher im Konferenzraum wegräumt, dann richtet er auch immer die Mikrofone auf den Tischen in eine Richtung. Er ist der Typ, der ein Plakat in einer Abstellkammer gerade hängt, dessen Klebstreifen sich am Rand verkrisselt hat.

Wir wissen nicht viel über Li: Er ist seit ein paar Jahren in Peking und will bleiben. Und er hat Träume. Zumindest sieht er seinen Zustand nicht als gottgegeben an. Warum sonst hätte er eine Anzughose, die er ab und zu kurz anzieht, um sich im Spiegel zu bewundern, und die er dann wieder sorgfältig zusammenfaltet und unter die Matraze schiebt?

Einen Abend geht er mit seinem Mitbewohner und Bekannten auf einem Straßenmarkt essen und ein Bier trinken. Es dauert, bis sie zu ihrem Essen kommen, denn der eigentliche Markt, zu dem sie wollten, ist inzwischen abgerissen worden. Bei der Gelegenheit erfährt Li, dass sein Mitbewohner ausziehen will, er hat eine neue, bessere Wohnung, allerdings sehr weit draußen. Was das für Li bedeutet, erfahren wir nicht.



Am nächsten Tag sehen wir Li durch die Stadt gehen. Wir begleiten ihn durch die Straßen, sehen ein bisschen von Peking, ohne uns wirklich ein Bild machen zu können. Und wir gehen mit Li in ein Geschäft, wo er ein schönes blaues Hemd kauft. Li spaziert in dem neuen Hemd weiter, versucht sich dem fließenden Verkehr anzupassen. Man merkt, dass er eigentlich immer noch ein Fremdkörper in dieser Stadt ist und nicht wirklich dazugehört. Nach einiger Zeit ist das Hemd durchgeschwitzt, er will ein Fahrrad mieten, aber auf seinem Handy ist nicht mehr genug Geld. Schließlich legt er sich auf eine Parkbank und schläft ein.

Es ist ein schöner kleiner Film, den Wu Linfeng und Ivan Markovic (Kameramann auch von Angela Schanelecs Wettbewerbsbeitrag "Ich war zuhause, aber") gedreht haben. Es ist auch ein sehr trauriger Film. Fremde, die neu in eine Stadt kommen - das ist ein klassisches Sujet amerikanischer Filme aus den 30ern. Wieviele Komödien und Liebesfilme gibt es da - man lernt sich auf einer Parkbank kennen oder im Warenhaus, teilt notgedrungen eine Wohnung oder gibt sich aus Geldnot als Köchin-Butler-Ehepaar aus usw.. Immer ist damit die Hoffnung verbunden, irgendwo anzukommen. Einen Halt zu finden und plötzlich dazuzugehören. Li lernt niemanden kennen. So eine Art Film ist das auch nicht, stimmt schon. Aber das der Film menschlichen Kontakt außerhalb kommerzieller Transaktionen nicht einmal als Möglichkeit in Betracht zieht, lässt einen doch ganz schön frösteln.

Chun nuan hua kai - From Tomorrow on, I Will. Regie: Ivan Marković, Wu Linfeng. Mit Li Chuan, Wei Ruguang, A Long, Gu Yueqing, Wang Luying. Deutschland / Volksrepublik China / Serbien 2019, 60 Minuten (alle Vorführtermine).